Nachtragsliquidator haftet für Nichttilgung bekannter und bereits entstandener Steuerforderung bei Fälligkeit

Anwalt

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner ist bei der IHK Berlin als Nachtragsliquidator registriert

Die Tätigkeit des Nachtragsliquidators ist haftungsträchtig. Insbesondere muss der Nachtragsliquidator dafür Sorge tragen, dass die zu liquidierende Gesellschaft ihre gesamten Steuerverpflichtungen erfüllt. Unter Umständen haftet er für nichterfüllte Steuerverbindlichkeiten der zu liquidierenden Gesellschaft. Dies verdeutlichen Entscheidungen des Finanzgerichts Hamburg und des Verwaltungsgerichts Stade. Die Entscheidungen ergingen in der Sache wie folgt:

FG Hamburg, 10.02.2009 – 2 K 251/07

Hier stellte das Gericht fest, dass der Nachtragsliquidator einer gelöschten GmbH persönlich haftet, wenn er den Erlös aus einer Grundstücksveräußerung vorab an die Gesellschafter auskehrt, obwohl eine Verteilung des Gesellschaftsvermögens an die Anteilseigner erst nach Befriedigung der Gläubiger erfolgen darf. Denn so vereitelt er, dass das Finanzamt als Gläubiger der Gesellschaft aus dem Vermögen der GmbH befriedigt werden kann. Dies gilt nicht nur bei bereits festgesetzten Steuern, sondern auch wenn er außer Stande ist, eine bereits entstandene und ihm bekannte Steuerforderung bei Eintritt der Fälligkeit zu tilgen.

VG Stade, 02.04. 2014 – Az. 3 A 1404/12

Der Entscheidung lag ein Fall zu Grunde, bei dem der Liquidator (unten im Text auch: ‚Kläger‘) als gesetzlicher Vertreter im Juni 2008 das Liquidationsverfahren beendet und so das Erlöschen der zu liquidierenden Gesellschaft bewirkt hat. Er hatte sich dadurch außer Stande gesetzt, die zuvor im Jahre 2005 bereits entstandene, aber noch nicht fällig gewordene Gewerbesteuerforderung zu erfüllen.

Die Haftung des Liquidators hat das Gericht bejaht und den ergangenen Haftungsbescheid bestätigt. Es hat u.a. folgendes zur Begründung angeführt:

Die Haftung des Liquidators findet ihre Rechtsgrundlagen in §§ 191 Abs. 1 Satz 1, 69 AO. Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann derjenige durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, der kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Nach § 69 Satz 1 AO haften u. a. die in § 34 bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht erfüllt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge (§ 69 Satz 2 AO). Eine Haftung auslösen können insbesondere die Verletzung der Pflichten, Steuererklärungen abzugeben und fällige Steuern zu entrichten (Rüsken in Klein, AO, Kommentar, 11. Auflage 2012, § 69 Rn. 46; Pahlke/König, AO, Kommentar, 2. Auflage 2009, § 34 Rn. 17).

Der Nachtragsliquidator erfüllt den weiteren Haftungstatbestand nach § 69 AO. Er gehört zu den in § 34 Abs. 1 Satz 1 AO bezeichneten Personen. Nach dieser Vorschrift haben u.a. die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten. So liegt der Fall hier. Denn der Liquidator war der gesetzliche Vertreter der aufgeloesten Gesellschaft in diesem Fall einer GmbH & Co. KG (vgl. §§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 149 HGB).

Eine Pflichtverletzung des Liquidators i.S.v. § 69 AO liegt vor. Zu den durch einen Liquidator zu erfüllenden steuerrechtlichen Pflichten gehört es insbesondere, die vor der Auflösung und während der Liquidation entstandenen Steuern der juristischen Person zu entrichten (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 01.04.2010 – 9 LA 400/08 – mit Bezug auf Loose, in Tipke/Kruse, AO, Kommentar, Band I, Stand März 2010, § 34 Rn. 33). Eine die Haftung begründende Pflichtverletzung kann insofern auch darin liegen, dass sich der gesetzliche Vertreter durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise außerstande setzt, eine bereits entstandene, aber erst künftig fällig werdende Steuerforderung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu tilgen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 01.04.2010 – 9 LA 400/08 – mit Bezug auf BVerwG, Urteil vom 09.12.1988 – 8 C 13/87 – juris; BFH, Urteil vom 26.04.1984 – V R 128/79 – juris; vgl. auch etwa BFH, Urteil vom 21.12.2004 – I B 128/04 – juris; FG Hamburg, Urteil vom 10.02.2009 – 2 K 251/07 – juris).

Zur ‚groben Fahrlaessigkeit‘ teilte das Gericht mit:

Grob fahrlässig handelt derjenige, der die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt (Rüsken in Klein, AO, Kommentar, 11. Aufl., 2012, § 69 Rn. 32 m.w.N.). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Liquidator, der bis zum 20. April 2007 (Zeitpunkt der gesellschaftsrechtlichen Auflösung der „H. GmbH“) Geschäftsführer der „H. GmbH“, der Komplementärin der „H. KG“, und zeitgleich als Mitgesellschafter der „B. GbR“ deren Kommanditist sowie später – wie erwähnt – ihr Liquidator war, über die zur Ausübung dieser Funktionen notwendigen, hohen persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte und verfügt. Hätte er die ihm danach mögliche Sorgfalt walten lassen, hätte ihm ohne Weiteres klar sein können und müssen, dass mit der „vorläufigen“ Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages unter dem „Vorbehalt der Nachprüfung“ das Besteuerungsverfahren für die Gewerbesteuer 2005 nicht beendet ist und es – gerade im Hinblick auf den Vorbehalt der Nachprüfung in dem Bescheid vom 1. September 2006 – zu abweichenden Einschätzungen durch das Finanzamt und damit auch zu Steuerfestsetzungen gegenüber der Steuerpflichtigen „H. KG“ kommen könnte. Im Rahmen des Besteuerungsverfahrens ist es dem Finanzamt nicht verwehrt, einen von der Steuererklärung abweichenden „Ansatz“ zu wählen. Dadurch, dass er diese nahe liegende Möglichkeit, die tatsächlich nach erfolgter Außenprüfung im Jahre 2011 eingetreten ist, außer Acht gelassen hat und nicht dafür Sorge getragen hat, dass ausreichende Mittel zur Deckung noch nicht fälliger oder streitiger Verbindlichkeiten vorhanden sind – wie es zu seinen steuerrechtlichen Pflichten als Liquidator gehört hätte (§§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 155 Abs. 2 Satz 2 HGB; vgl. auch BFH, Urteil vom 16.06.1971 – I R 58/68 – juris) -, sondern das Liquidationsverfahren beendet hat, hat er seine Sorgfaltspflichten in ungewöhnlich hohem Maße verletzt.

Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, er sei steuerrechtlicher Laie und habe das Steuerberaterbüro mit der Erstellung der Gewerbesteuererklärung für das Jahr 2005 beauftragt. Denn das Liquidationsverfahren wurde von dem Kläger betrieben. Er ist in dieser Stellung als Liquidator verpflichtet, sich selbst mit elementaren handelsrechtlichen und allgemeinen steuerrechtlichen Pflichten und in dem Zusammenhang geltenden Grundsätzen vertraut zu machen (vgl. BFH, Urteil vom 12.05.1992 -VII R 52/91 – sowie Urteil vom 03.12.2004 – VII B 178/04 – jeweils juris). Zu diesen zählt es, dass ein Besteuerungsverfahren nicht mit Erlass eines vorläufigen und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Gewerbesteuermessbetragsbescheides beendet ist und bis zur Beendigung des Verfahrens, mithin mit Ablauf der jeweiligen Festsetzungsfrist bzw. dem Erlass eines – ggf. abändernden – Gewerbesteuermessbetragsbescheides unter Aufhebung der Anordnung der Vorläufigkeit, mit von der Steuererklärung bzw. der vorläufigen Festsetzung abweichenden Beurteilungen und Festsetzungen gerechnet werden muss.

Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für Umsatzsteuer

Zur Umsatzsteuerhaftung in der GmbH entschied das Finanzgericht München:

Der Geschäftsführer einer GmbH haftet nicht für Steuerschulden der Gesellschaft, wenn die Steuern erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig werden. Hinsichtlich Steuerschulden, die 14 Tage vor Beantragung des Insolvenzverfahrens entstehen, ist davon auszugehen, dass zur Bezahlung keine Geldmittel mehr vorhanden gewesen sind. Insofern scheidet eine Haftung ebenfalls aus.

Finanzgericht München 14. Senat, Beschluss vom 27.04.2011, 14 K 3235/09

Anwalt

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner ist bei der IHK Berlin als Nachtragsliquidator registriert

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich gegen den Bescheid vom 18. Mai 2009, mit dem er für Steuerschulden GmbH in Haftung genommen worden ist.

Der Antragsteller war seit 26. Februar 2008 alleiniger Geschäftsführer der GmbH.
Am 30. Juni 2008 nahm die GmbH eine Gewerbeabmeldung bei der Gemeinde vor, am 4. August 2008 stellte der Antragsteller beim Amtsgericht einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH, der vom Amtsgericht mit Beschluss vom 2. November 2009 mangels Masse abgelehnt worden ist.
Für die Zeiträume Januar bis Dezember 2007 sowie Januar bis August 2008 wurde eine Umsatzsteuersonderprüfung durchgeführt. Dabei wurden die steuerpflichtigen Umsätze zu einem Steuersatz von 19 % für das Jahr 2007, in dem die Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten erfolgte, anhand des festgestellten Zahlungseingangs angesetzt. Für die Voranmeldungszeiträume Januar bis August 2008, in denen die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten erfolgte, nahm das Finanzamt (FA-Antragsgegner) eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor, da die Kontoauszüge nur lückenhaft zur Prüfung vorgelegt worden seien. Jeweils mit Vorauszahlungsbescheid vom 11. März 2009 wurde die Umsatzsteuer für den Prüfungszeitraum geändert.
Nachdem die GmbH die sich aus der geänderten Umsatzsteuerfestsetzung ergebende Nachzahlung nicht entrichtet hatte und die Beitreibung der Steuerrückstände erfolglos geblieben war, nahm das Finanzamt den Antragsteller mit Bescheid vom 18. Mai 2009 für rückständige Umsatzsteuer des Zeitraums März 2007 bis Mai 2008 sowie Körperschaftsteuer für 2006, für das vierte Kalendervierteljahr 2007 und das dritte Kalendervierteljahr 2008 sowie Nebenleistungen und Verspätungszuschläge in Höhe von insgesamt 85.850,70 € in Haftung. Die Inhaftungnahme wurde damit begründet, dass der Antragsteller als Geschäftsführer nicht dafür Sorge getragen habe, dass die Steuern bei Fälligkeit aus Mitteln der GmbH ordnungsgemäß entrichtet wurden.
Das dagegen gerichtete Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg, mit Entscheidung vom 28. September 2009 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück.
Mit seiner dagegen eingelegten Klage trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass ihn das FA zu Unrecht in Haftung genommen habe. Seit 11. Februar 2009 stünden ihm aufgrund der Beschlagnahme durch die Steuerfahndung X keinerlei Unterlagen der GmbH zur Verfügung. Er werde in der Wahrnehmung und Ausübung seiner Rechte behindert und könne daher zu den Prüfungsfeststellungen des FA nicht Stellung nehmen. Insbesondere habe das FA die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen in weit überzogener Höhe vorgenommen. Das FA habe auch nicht berücksichtigt, dass die GmbH ihr Gewerbe bereits mit Schreiben vom 30. Juni 2008 bei der Gemeinde abgemeldet habe und deswegen in den Monaten Juli und August 2008 keine Umsätze mehr erwirtschaftet habe.
Im gegenwärtigen Verfahren hat der Antragsteller mit derselben Begründung unter Vorlage einer Erklärung über seine wirtschaftlichen Verhältnisse beantragt, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Das FA ist dem Antrag entgegengetreten, da keine hinreichende Aussicht auf Erfolg der Klage bestehe. Der Antragsteller sei zu Recht in Haftung genommen worden. Da für den Zeitraum 1-8/2008 von der GmbH keine Buchhaltungsunterlagen vorgelegt worden waren, habe die Prüferin die Voranmeldungszeiträume 4-8/2008 geschätzt. In den Haftungsbescheid sei jedoch nur die Umsatzsteuer bis einschließlich des Voranmeldungszeitraums Mai 2008 aufgenommen worden.
Der Einwand, dass der Antragsteller die Buchhaltungsunterlagen aufgrund der Beschlagnahme durch die Steuerfahndung nicht vorlegen habe können, greife nicht durch, weil die Umsatzsteuerprüfung zum Zeitpunkt der Beschlagnahme am 1. Februar 2009 bereits seit einem halben Jahr begonnen habe. Nachdem das Verfahren bei der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes noch nicht abgeschlossen sei, könnten die Unterlagen nicht herausgegeben werden. Der Antragsteller habe jedoch die Möglichkeit, die Unterlagen bei der Steuerfahndung einzusehen, im Übrigen habe der Antragsteller auch dort seinen Wohnsitz.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten sowie die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag hat Erfolg.

Gemäß § 142 Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihrem persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung im Haupt- oder Nebenverfahren nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht dann, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für seinen Eintritt spricht (vgl. Gräber, Kommentar zur FGO, 6. Aufl., § 142 Rdn. 11 und die dort angeführten Hinweise zur Rechtsprechung).
Im Streitfall bietet die Rechtsverfolgung überwiegend Aussicht auf Erfolg. Bei summarischer Prüfung hat das FA den Antragsteller zu Unrecht für Steuerschulden sowie für die dazu angefallenen Nebenleistungen und Verspätungszuschläge der GmbH in Haftung genommen, weil die Haftungsvoraussetzungen nach § 69 der Abgabenordnung (AO) nicht erfüllt sind.
Gemäß § 69 i. V. m. § 34 der AO haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§  37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die gesetzlichen Vertreter haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuerschulden bei Fälligkeit aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO).
Der Antragsteller, der seit 26. Februar 2008 als alleiniger Geschäftsführer der gesetzliche Vertreter der GmbH war und als solcher ihre steuerlichen Pflichten zu erfüllen hatte, haftet nicht wegen einer schuldhaften Verletzung seiner Steuerentrichtungspflichten (§ 69 Satz 1 AO  2. Alternative).
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die GmbH am 30. Juni 2008 eine Gewerbeabmeldung vorgenommen und der Antragsteller am 4. August 2008 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt hat, kann ihm nicht vorgeworfen werden, die am 21. Juli und 10. September 2008 fälligen Körperschaftsteuern für 2006, das vierte Quartal 2007, das dritte Quartal 2008 sowie die dazu angefallenen Nebenleistungen pflichtwidrig nicht bezahlt zu haben. Insbesondere ist davon auszugehen, dass rund vierzehn Tage vor Beantragung des Insolvenzverfahrens keine Geldmittel mehr vorhanden gewesen sind, mit denen der Antragsteller die Steuerschulden hätte begleichen können.
Die anderen Steuern und Nebenleistungen (insbesondere die Umsatzsteuer für 2007 und Jan. bis Mai 2008), für die der Antragsteller in Haftung genommen worden ist, sind erst nach Stellung des Insolvenzantrages fällig geworden (9. Februar 2009, 23. März 2009), eine Pflichtverletzung scheidet daher insoweit ebenfalls aus.
Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 FGO, § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis).

Zwangsvollstreckung in Grundtücke

Urteile

Zwangsverwaltung/Nießbrauch

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Leitsätze des Gerichts:

Die für die Zwangsvollstreckung in ein Nießbrauchsrecht an einem Grundstück gemäß § 857 Abs. 4 Satz 1, 2 ZPO vorgesehene Verwaltung des Grundstücks setzt ebenso wie die Zwangsverwaltung nach §§ 146 ff. ZVG den unmittelbaren oder mittelbaren Besitz des Schuldners voraus.

Die Anordnung der Verwaltung hängt nicht von der Feststellung des Vollstreckungsgerichts ab, dass der Schuldner das mit dem Nießbrauch belastete Grundstück tatsächlich besitzt. Wenn die Eintragung des Nießbrauchs im Grundbuch nachgewiesen ist, ordnet das Vollstreckungsgericht die Verwaltung nach § 857 Abs. 4 ZPO ohne eine Prüfung an, ob der Schuldner den Besitz an dem Grundstück innehat. Etwas anderes gilt dann, wenn dem Vollstreckungsgericht bekannt ist, dass der Schuldner keinen Besitz hat.

BGH, Beschluss vom 09.12.2010 – VII ZB 67/09 (Vorinstanzen: LG Stuttgart, AG Ludwigsburg)

Keine Beschlagnahme von mieterseitigen Ausgleichszahlungen bei späterer Zwangsverwaltung

Leitsätze des Gerichts:

Verpflichtet sich der Mieter in einem Mietaufhebungsvertrag zu Ausgleichszahlungen, falls der Vermieter bei einer Weitervermietung des Mietobjekts nur eine geringere als die vom Mieter geschuldete Miete erzielen kann, wird dieser Anspruch bei einer späteren Zwangsverwaltung des Grundstücks nicht von der Beschlagnahme erfasst.

Tritt der Vermieter diese Forderung vor der Anordnung der Zwangsverwaltung über das Mietgrundstück an einen anderen ab, stellt dies keine Vorausverfügung über eine Mietforderung i. S. von § 1124 Abs. 2 BGB dar.

BGH, Urteil vom 08.12.2010 – XII ZR 86/09 (Vorinstanzen: LG Lüneburg, AG Celle)

Anordnungsvoraussetzungen für die Zwangsverwaltung einer GbR

Leitsätze des Gerichts:

Die Zwangsverwaltung des Grundstücks einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts darf nur angeordnet werden, wenn deren Gesellschafter sämtlich aus dem Titel hervorgehen und mit den im Grundbuch eingetragenen Gesellschaftern übereinstimmen. Hinsichtlich der Gesellschafter gilt § 1148 Satz 1 BGB entsprechend.

Veränderungen im Gesellschafterbestand sind durch eine Rechtsnachfolgeklausel analog § 727 ZPO nachzuweisen.

Der erweiterte öffentliche Glaube des Grundbuchs nach § 899 a BGB bezieht sich nur auf die Gesellschafterstellung, nicht auf die Geschäftsführerbefugnis.

BGH, Beschluss vom 02.12.2010 – V ZB 84/10 (Vorinstanzen. LG Kassel, AG Kassel)

Zwangsversteigerung trotz fehlender Eintragung der Schuldnerin im Grundbuch

§§ 766, 574 ZPO; § 17 ZVG
BGH, Beschluss vom 30.09.2010 – V ZB 219/09 (Ausgangsgericht LG Tübingen)

Beschlusswortlaut des BGH:

„1. Gegen die Anordnung der Zwangsversteigerung durch das Beschwerdegericht kann der nicht angehörte Schuldner bei dem Beschwerdegericht die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO einlegen. Gegen die Zurückweisung der Vollstreckungserinnerung durch das Beschwerdegericht ist nach Maßgabe von § 574 ZPO die Rechtsbeschwerde statthaft.

2. § 17 I Fall 2 ZVG ist auf eine erbgangsgleiche Universalsukzession entsprechend anwendbar. Eine solche Universalsukzession liegt vor, wenn eine zweigliedrige Erbengemeinschaft durch Abschichtung aufgelöst wird und der Nachlass Alleineigentum eines Erben wird.“

URTEIL VOM 11.08.2010
ZVG § 152 Abs. 1; ZPO § 51 Abs. 1

Wird ein Zwangsverwaltungsverfahren nicht wegen Antragsrücknahme (§§ 161 Abs. 4, 29 ZVG) oder der vollständigen Befriedigung des Gläubigers (§ 161 Abs. 2 ZVG) aufgehoben, sondern weil das Grundstück in der Zwangsversteigerung zugeschlagen wurde, ist der Zwangsverwalter auch ohne entsprechende Ermächtigung im Aufhebungsbeschluss befugt, wegen Nutzungen aus der Zeit vor der Zuschlagserteilung Klage zu erheben, sofern der die Zwangsverwaltung betreibende Gläubiger im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Zuschlagsbeschlusses noch nicht vollständig befriedigt ist.

BGH, Urteil vom 11. August 2010 – XII ZR 181/08 – OLG Koblenz LG Mainz …

vollständiges Urteil lesen, pdf-Format

Maßnahmen zur Verhinderung einer Vollstreckungsblockade

„Erachtet das Vormundschaftsgericht Maßnahmen zum Schutz des Lebens des Schuldners nicht für geboten, solange die Zwangsvollstreckung nicht durchgeführt wird, so setzt die Fortsetzung der Vollstreckung gegen den suizidgefährdeten Schuldner voraus, dass das Vollstreckungsgericht flankierende Maßnahmen ergreift, die ein rechtzeitiges Tätigwerden des Vormundschaftsgerichts zur Abwendung der Suizidgefahr ermöglichen.“

BGH, Beschluss vom 15.07.2010 – V ZB 1/10

URTEIL VOM 29.06.2010
GB aF §§ 123, 276 (Fb); AGBG § 5

a) Bei steuersparenden Bauherren- und Erwerbermodellen muss die finanzierende Bankden kreditsuchenden Kunden auf eine von ihr erkannte arglistige Täuschung durch den Vertrieb über die Höhe der Vermittlungsprovisionen ungefragt hinweisen.

b) Zur arglistigen Täuschung über die Höhe der Vermittlungsprovisionen mittels eines sogenannten „Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrags“.

c) Zur Auslegung eines formularmäßigen „Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrags“.

BGH, Urteil vom 29. Juni 2010 – XI ZR 104/08 – OLG Schleswig LG Lübeck …

vollständiges Urteil lesen, pdf-Format

Ablöserecht nachrangiger Gläubiger – Kein Rechtsmissbrauch bei „nur“ bestrangiger Rechteablösung

BGH, Beschluss vom 10.06.2010 – V ZB 192/09

BGH-Entscheidung zum Ablöserecht eines nachrangigen Gläubigers in der Zwangsversteigerung

Sachverhalt:

In einem Zwangsversteigerungsverfahren war die Ehefrau des Schuldners nachrangig im Grundbuch abgesichert. Die Ehefrau des Schuldners hat im Zwangsversteigerungsverfahren als nachrangig gesicherte Gläubigerin nur das bestrangige Grundpfandrecht des mehrere Rechte habenden betreibenden Gläubigers abgelöst. Dies erfolgte nach dem Versteigerungstermin, in welchem aber noch kein Zuschlagsbeschluss verkündet war. Es war ein separater Verkündungstermin anberaumt worden. Nach dem Versteigerungstermin, aber vor Verkündung des Zuschlagsbeschlusses meldete die nachrangig gesicherte Ehefrau ihre Rechte an und erklärte, dass nach § 33 ZVG der Zuschlag zu versagen sei. Dennoch wurde der Zuschlag erteilt.

Die Ehefrau legte gegen den Zuschlagsbeschluss Beschwerde ein.

Der BGH sah das Verhalten der Ehefrau des Schuldners nicht als unredlich und damit auch nicht als rechtsmissbräuchlich an. Dass die der Ehefrau zustehenden Rechte nur noch formal als „leere Hülle“ bestanden, war nicht ersichtlich. Auch ein kollosives Zusammenwirken mit dem Schuldner konnte nicht festgestellt werden. Es kommt nach Auffassung des BGH nicht darauf an, ob die Ehefrau mit ihrem nachrangigen Recht eine Befriedigung aus dem Versteigerungserlös beanspruchen kann. Sie muss auch nicht alle bestehenden Rechte des Gläubigers ablösen, sondern kann sich auf das bestrangige zur Wahrung ihrer verfahrensrechtlichen Position beschränken.

Zuschlagsbeschluss – Räumung

Häufig wenden, insbesondere um Kosten zu sparen, Gläubiger die sogenannte „Berliner Räumung“ an, mittels derer ein Gerichtsvollzieher nur beauftragt wird, die Immobilie zu räumen, also den Vollstreckungsschuldner aus den Besitz zu setzen, ohne aber die beweglichen Sachen aus dem Objekt zu entfernen.

Das Landgericht Bonn hat in einem Beschluss vom 29.04.2010 entschieden, dass aus dem Zuschlagsbeschluss in der Zwangsversteigerung keine „Berliner Räumung“ durchgeführt werden könne.

Der Gerichtsvollzieher kann nicht beauftragt werden, eine im Wege der Zwangsvollstreckung, nämlich durch den Zuschlag in der Zwangsversteigerung, erworbene Immobilie zu räumen und dabei die beweglichen Sachen, statt sie aus dem Haus zu entfernen, dort zu belassen und so den Besitz der bisherigen Eigentümer zu entziehen.

Landgericht Bonn, Beschluss vom 29.04.2010 – 6 T 107/10

Zuschlag nach Genehmigung fehlerhaft fortgesetzter Grundstücks-Zwangsversteigerung

Leitsätze des BGH-Beschlusses vom 19.11.2009 – V ZB 118/09

Der Zuschlag kann auch nach einer rechtsfehlerhaften Fortsetzung des Verfahrens durch das Vollstreckungsgericht von Amts wegen erteilt werden, wenn der betreibende Gläubiger bei der Anhörung über den Zuschlag (§74 ZVG) das Verfahren genehmigt.

Die Genehmigung kann auch mit der Zustimmung des Gläubigers zur Erteilung des Zuschlags an den Meistbietenden erklärt sein.

Die fehlerhafte Fortsetzung des Verfahrens von Amts wegen führt nicht zu einem Zuschlagsversagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG, da für das Vollstreckungsgericht sich das weitere Verfahren nach der formell rechtskräftig gewordenen Zwischenentscheidung bestimmt.

Der BGH-Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Bet. zu 3 betreibt seit März 2006 die Zwangsversteigerung des verfahrensgegenständlichen Grundstücks. Eigentümer waren mit je einem halben Miteigentumsanteile die Bet. zu 1 und ihr Ehemann, dessen Rechte durch den Bet. zu 2 (Insolvenzverwalter) wahrgenommen werden. Nach Einstellungen des Verfahrens auf Antrag der Schuldner nach § 30 a ZVG und der Bet. zu 3 nach § 30 ZVG beschloss das AG auf Antrag der Bet. zu 3 im März 2008 die Fortsetzung des Verfahrens und bestimmte den Verkehrswert auf EUR 53.000,00. Nachdem der Zuschlag auf das in dem ersten Versteigerungstermin abgegebene Meistgebot von EUR 5.000,00 nach § 85 a ZVG versagt worden war, gaben die Bet. zu 4 in einem zweiten Versteigerungstermin ein Meistgebot von EUR 32.000,00 ab, auf das ihnen der Zuschlag erteilt wurde. Dieser Zuschlagsbeschluss wurde auf Grund der von der Bet. zu 1 eingelegten Zuschlagsbeschwerde, mit der sie beanstandete, dass die Miteigentumsanteile nicht nur zusammen, sondern auch einzeln hätten ausgeboten werden müssen, von dem Vollstreckungsgericht aufgehoben und ein neuer Versteigerungstermin bestimmt. In diesem Termin erschienen wiederum auch die Bet. zu 4, die auf das Gesamtausgebot beider Anteile ein Meistgebot in Höhe von EUR 32.000,00 abgaben, auf das ihnen erneut der Zuschlag erteilt wurde. Hiergegen wandte sich die Bet. zu 1 mit ihrer erneuten Zuschlagsbeschwerde, mit der sie beanstandete, dass das Verfahren nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag der Bet. zu 3 hätte fortgesetzt werden dürfen, wozu es eines (auch) ihr zuzustellenden Fortsetzungsbeschlusses bedurft hätte.

Zwangsverwalterverordnung (ZwVwV)

Ein Service des Bundesministeriums der Justiz in Zusammenarbeit mit der juris GmbH – www.juris.de

ZwVwV

Ausfertigungsdatum: 19.12.2003

Vollzitat:

„Zwangsverwalterverordnung vom 19. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2804)“

Fußnote
Textnachweis ab: 1. 1.2004

Eingangsformel

Auf Grund des § 152a des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 310-14, veröffentlichten bereinigten Fassung, der durch Artikel 7 Abs. 23 des Gesetzes vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2847) eingefügt worden ist, in Verbindung mit Artikel 35 des Gesetzes vom 13. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3574), verordnet das Bundesministerium der Justiz:

§ 1 Stellung

(1) Zwangsverwalter und Zwangsverwalterinnen führen die Verwaltung selbständig und wirtschaftlich nach pflichtgemäßem Ermessen aus. Sie sind jedoch an die vom Gericht erteilten Weisungen gebunden.

(2) Als Verwalter ist eine geschäftskundige natürliche Person zu bestellen, die nach Qualifikation und vorhandener Büroausstattung die Gewähr für die ordnungsgemäße Gestaltung und Durchführung der Zwangsverwaltung bietet.

(3) Der Verwalter darf die Verwaltung nicht einem anderen übertragen. Ist er verhindert, die Verwaltung zu führen, so hat er dies dem Gericht unverzüglich anzuzeigen. Zur Besorgung einzelner Geschäfte, die keinen Aufschub dulden, kann sich jedoch der Verwalter im Fall seiner Verhinderung anderer Personen bedienen. Ihm ist auch gestattet, Hilfskräfte zu unselbständigen Tätigkeiten unter seiner Verantwortung heranzuziehen.

(4) Der Verwalter ist zum Abschluss einer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung für seine Tätigkeit mit einer Deckung von mindestens 500 000 Euro verpflichtet. Durch Anordnung des Gerichts kann, soweit der Einzelfall dies erfordert, eine höhere Versicherungssumme bestimmt werden. Auf Verlangen der Verfahrensbeteiligten oder des Gerichts hat der Verwalter das Bestehen der erforderlichen Haftpflichtversicherung nachzuweisen.

vollständige Verordnung lesen, pdf-Format

Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung

ZVG

Ausfertigungsdatum: 24.03.1897

Vollzitat:

„Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 310-14, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 4a des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2258) geändert worden ist“

Stand: Zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 4a G v. 29.7.2009 I 2258

Fußnote
Textnachweis Geltung ab: 1.7.1979 Maßgaben aufgrund EinigVtr vgl. ZVG Anhang EV; diese geändert durch G v. 26.6.1992 I 1147 mWv 1.7.1992 Zu Bundesgesetzbl. III Folge 2: Bezeichnung vollständig „Gesetz über die … und die Zwangsverwaltung“

Erster Abschnitt Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung von Grundstücken im Wege der Zwangsvollstreckung
Erster Titel Allgemeine Vorschriften

§ 1

(1) Für die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung eines Grundstücks ist als Vollstreckungsgericht das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk das Grundstück belegen ist. (2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungssachen einem Amtsgericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte zuzuweisen, sofern die Zusammenfassung für eine sachdienliche Förderung und schnellere Erledigung der Verfahren erforderlich ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

§ 2

(1) Ist das Grundstück in den Bezirken verschiedener Amtsgerichte belegen oder ist es mit Rücksicht auf die Grenzen der Bezirke ungewiß, welches Gericht zuständig ist, so hat das zunächst höhere Gericht eines der Amtsgerichte zum Vollstreckungsgericht zu bestellen; § 36 Abs. 2 und 3 und § 37 der Zivilprozeßordnung finden entsprechende Anwendung.

(2) Die gleiche Anordnung kann getroffen werden, wenn die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung mehrerer Grundstücke in demselben Verfahren zulässig ist und die Grundstücke in den Bezirken verschiedener Amtsgerichte belegen sind. Von der Anordnung soll das zum Vollstreckungsgericht bestellte Gericht die übrigen Gerichte in Kenntnis setzen.

vollständiges Gesetz lesen, pdf-Format

Ansprechpartner:

Rechtsanwältin Renate WinterKontakt aufnehmen

Glossar

In diesem Bereich erhalten Sie Defini­tionen zu den Themen­bereichen Immobilien­sanierung, Immobilien­recht, Immo­bilien­finanzie­rung und Zwangs­versteige­rung.Glossar öffnen

Urteile

Aktuelle Urteile und Zusammenfassungen.Urteile lesen


Archiv

In unserem Archiv finden Sie alle Urteile und Informationen.zum Archiv

Die Nachtragsliquidation einer gelöschten Gesellschaft

Anwalt

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner wird bundesweit als Nachtragsliquidator bestellt und wird von der IHK Berlin als vorzuschlagender  Nachtragsliquidator geführt

Im Handelsregister müssen Gesellschaften (Firmen), die rein tatsächlich nicht mehr existieren auch in rechtlicher Hinsicht gelöscht werden. Stellt der Geschäftsführer, oder Vorstand den Antrag auf Löschung, wird das Löschungsverfahren eingeleitet. D.h., dass nunmehr in das Handelsregister der Beginn der Liquidation einzutragen ist und später auch deren Beendigung.

Löschung der Gesellschaft (der Firma)

Zur Sicherheit im Rechtsverkehr muss die Auflösung der Gesellschaft von den Liquidatoren oder Abwicklern auch in den Gesellschaftsblättern (dabei handelt es sich in der Regel um den Bundesanzeiger) veröffentlicht werden. Für die GmbH, § 65 Abs. 2 GmbHG, musste früher drei Mal veröffentlicht werden, heute reicht eine einmalige Veröffentlichung aus. Eventuell vorhandene Gläubiger sollen dadurch die Möglichkeit haben, noch offenstehende Forderungen geltend zu machen. Wird nämlich nach Durchführung des Löschungsverfahrens die Gesellschaft durch den Rechtspfleger im Handelsregister gelöscht, ist die Firma nicht mehr existent.

Wobei genau genommen die Frage, ob die Gesellschaft tatsächlich nicht mehr existiert, nicht genau gelöst ist. Sofern bei der gleöschten Gesellschaft Vermögen zu verteilen ist oder andere Abwicklungsbedarf besteht, wird die Gesellschaft trotz Löschung als weiterhin existent betrachtet. Man könnte formulieren: sie schläft. Nach der Löschung im Handelsregister fehlt jedoch ein Vertreter der Gesellschaft. Mit der Eintragung der Löschung endet das Amt der Liquidatoren oder Abwickler und die Gesellschaft. Deswegen kann die Gesellschaft im Rechtsverkehr nicht handeln und es kann auch keine Zustellung bei der Gesellschaft bewirkt werden.

Verbindlichkeiten der Gesellschaft können nicht mehr von der Firma beigetrieben werden. Grundsätzlich können aber deshalb auch keine Forderungen der Gesellschaft gegen Dritte geltend gemacht werden.

Voraussetzungen der Nachtragsliquidation

Unter bestimmten Vorraussetzungen kann das Registergericht die gelöschte Gesellschaft wieder aufleben lassen. Dies sind die Fälle der sogenannten Nachtragsliquidation. Stellt sich nämlich heraus, dass die gelöschte Gesellschaft noch Vermögen (weiter Begriff z.B. auch nicht von vorneherein aussichtslose Forderungen) hat oder dass (entsprechen § 273 Ab.s 4 AktG) notwendige Abwicklungsmaßnahmen unterlassen wurden, so kann auf Antrag eine Nachtragsliquidation zur Beitreibung dieser Forderungen beschlossen werden. Eine Nachtragsliquidation zur Beitreibung von Forderungen gegen die gelöschte Gesellschaft ist nicht möglich.

Antragsberechtigt ist jeder Beteiligte. Beteiligte können Gläubiger, Gesellschafter, frühere Liquidatoren und sonstige Dritte sein, die ein rechtliches Interesse an der Nachtragsliquidation glaubhaft machen können. Der Antragsteller muss dem Registergericht die im ursprünglichen Liquidationsverfahren übersehenen, jedenfalls nicht aufgelösten Aktiva der gelöschten Gesellschaft glaubhaft machen. Nach einer Entscheidung des OLG Celle (veröffentlicht in GmbHR 1997, S. 752) reichen greifbare Anhaltspunkte für das bestehen des Anspruchs.  Früher musste auch nachgewiesen werden, dass die Aktiva der gelöschten Gesellschaft größer als die voraussichtlichen Kosten der Nachtragsliquidation sein werden. Nach heutiger Gerichtspraxis genügt es jedoch, dass der Antragsteller die Kosten des Gerichtsverfahren (in der Regel zwei Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von 60.000,- €) einzahlt und der Nachtragsliquidator dem Gericht erklärt, dass er gegenüber der Staatskasse keine Vergütung geltend machen wird.

Der Nachtrasliquidator

Sodann bestellt das Gericht eine die gelöschte Gesellschaft vertretende Person, den sogenannte Nachtragsliquidator. Bei Vorliegen der Voraussetzungen hat das Gericht Ermessen nur bezüglich der auszuwählenden Person, nicht jedoch hinsichtlich der Bestellung als solcher (Bay ObLG, DB 2004, S. 179, S. 180f.).

Da die Gesellschaft in der Regel trotzdem als vermögenslos gilt (das noch bestehende Vermögen ist noch nicht beigetrieben) findet sich hier in der Praxis jedoch selten eine freiwillige Person, die die Vertretung der Gesellschaft als Nachtragsliquidator übernimmt. Diese ist normalerweise mit finanziellen Aufwendungen verbunden, die die Gesellschaft zahlen muss. Diese kann aber erst zahlen, wenn das Vermögen tatsächlich beigetrieben werden konnte. Findet sich deshalb niemand, der das Amt des Nachtragsliquidators übernimmt, muss das Gericht den Antrag auf Nachtragsliquidation ablehnen.

Eintragung der Nachtragsliquidation ins Handelsregister

Findet sich ein Nachtragsliquidator, so wird in den Fällen die Nachtragsliquidation in das Handelsregister eingetragen, wenn mehrere Handlungen vorgenommen werden müssen (z.B. Forderungen gerichtlich geltend machen, mehrere Grundstücke verkaufen). Die genauen Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof kürzlich in einem Beschluss präzisiert. Nach Beendigung dieser Handlungen löscht das Gericht die Gesellschaft wieder von Amts wegen. Ist nur eine einzige Nachtragsliquidationshandlung zu tätigen, so genügt ein richterlicher Beschluss, die Eintragung in das Handelsreister ist nicht nötig. Die zu tätigende Handlung muß im Beschluss konkret bezeichnet werden. Nach Durchführung der Handlung ist die Nachtragsliquidation automatisch beendet.

Rechtsanwalt und Liquidator Dr. Dietmar Höffner

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner wird bundesweit von den Amtsgerichten als Nachtragsliquidator bestellt und von der IHK Berlin als vorzuschlagender Nachtragsliquidator geführt. Sofern Sie zur Nachtragsliquidation Fragen haben oder mich als Nachtragsliquidator vorschlagen wollen, bitte ich Sie, mit mir Kontakt aufzunehmen.

BGH-Entscheidung zur Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers

Anwalt

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

In einem aktuellen Urteil hatte der BGH erstmals Gelegenheit, mehrere zum Teil umstrittene Auslegungsfragen des 2008 im Rahmen des MoMiG neu geschaffenen Haftungstatbestands des § 64 S. 3 GmbHG zu entscheiden (Urteil vom 09.10.2012 – II ZR 298/11). Das Urteil schafft Klarheit hinsichtlich der für die Praxis bedeutsamen Frage, inwieweit fällige Forderungen des Gesellschafters bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind.

I. Die neue Insolvenzverursachungshaftung
Mit § 64 S. 3 GmbHG hat der Gesetzgeber durch das MoMiG eine neue Haftung des Geschäftsführers für den Fall eingeführt, dass Zahlungen aus dem Vermögen der GmbH an den Gesellschafter zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten (so genannte Insolvenzverursachungshaftung). Die Vorschrift dient dem Gläubigerschutz und flankiert § 30 GmbH. Im Vergleich zum seit jeher bestehenden Zahlungsverbot nach § 64 S. 1 GmbHG bestehen Besonderheiten: Einerseits setzt die Haftung zeitlich bereits vor Eintritt der materiellen Insolvenz ein. Andererseits die bschränkt sich die Haftung auf die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit. Die Verursachung einer Überschuldung ist für die Haftung nach S. 3 ohne Bedeutung.

Der Tatbestand der Insolvenzverursachungshaftung verlangt eine dem Geschäftsführer zurechenbare Zahlung (im Grundsatz identisch mit dem für das Zahlungsverbot nach S. 1 geltenden Zahlungsbegriff bzw. dort entwickelten Zurechnungsregeln) an den Gesellschafter, die die Zahlungsunfähigkeit der GmbH verursacht (Kausalität). Die bilanzielle Auswirkung der Zahlung ist insoweit ohne Bedeutung. Zudem verlangt die Haftung schuldhaftes, also mindestens fahrlässiges Verhalten. Rechtsfolge ist die Pflicht zur Erstattung der geleisteten Zahlungen.

II. Sachverhalt
Der Kläger und seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau gewährten der beklagten GmbH im August 1995 ein bis spätestens Ende 2005 zurückzuzahlendes Darlehen in Höhe von ca. 179.000 Euro. Die geschiedene Ehefrau ist alleinige Gesellschafterin und alleinige Geschäftsführerin der Beklagten. Der Kläger verlangt Hinterlegung des Darlehensbetrages nebst Zinsen zu seinen und zugunsten seiner geschiedenen Frau. Die beklagte GmbH verweigert die Rückzahlung des Darlehens insbesondere mit der Begründung, die Auszahlung würde zu ihrer Zahlungsunfähigkeit führen, sodass sie sie gemäß § 64 S. 3 GmbHG verweigern könne.

Das LG gab der Klage statt. Das OLG Koblenz wies sie ab. Es war der Auffassung, dass die Hinterlegung im vorliegenden Fall gegen § 64 S. 3 GmbH verstoßen würde, da sie die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen würde und die GmbH nicht mehr in der Lage wäre, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen.

III. Entscheidung des BGH
Der BGH hob das Berufungsurteil auf die Revision des Klägers hin auf und verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht, weil er den Anwendungsbereich der Insolvenzverursachungshaftung bisher nicht als eröffnet ansah. Nur bei noch nicht eingetretener Zahlungsunfähigkeit komme § 64 S. 3 GmbHG überhaupt in Betracht. Das Berufungsgericht müsse noch feststellen, ob es erst durch die Rückzahlung des Gesellschafterdarlehens zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft käme.

1. Keine Haftung für die bloße Vertiefung der Insolvenz
§ 64 S. 3 GmbHG zielt auf Zahlungen an den Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft „führen mussten“. Die hier verlangte Kausalität stellt eines der schwierigsten Tatbestandsmerkmale der neuen Geschäftsführerhaftung dar. Anerkannt ist insoweit, dass eine Haftung erst bzw. nur dann eingreift, wenn es tatsächlich zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gekommen ist und deshalb ausscheidet, wenn nach zunächst herbeigeführter Zahlungsunfähigkeit selbige wieder beseitigt wird, ohne dass es zur Insolvenzeröffnung oder Abweisung mangels Masse gekommen ist. Überwiegend wird verlangt, dass eine adäquate Kausalkette vorliegt, die ohne das Hinzutreten weiterer Kausalbeiträge zeitnah und zwangsläufig zur Zahlungsunfähigkeit führt. Zu diesem Punkt liefert die aktuelle Entscheidung nur wenig Neues.

Allerdings äußert sich der BGH zu der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine Haftung nach § 64 S. 3 GmbH überhaupt ausgelöst werden kann. Die Entscheidung stellt klar, dass nur die Verursachung der Zahlungsunfähigkeit, nicht aber auch eine Vertiefung einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit zur Haftung wegen Insolvenzverursachungshaftung führen kann. Ist die GmbH bereits zahlungsunfähig, kommt allein eine Haftung wegen Verstoßes gegen das Zahlungsverbot nach § 64 S. 1 GmbH in Betracht. Wegen der Beschränkung auf den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit in S. 3 kann es allerdings zu einer Überschneidung mit S. 1 (Anspruchskonkurrenz) in den Fällen kommen, in den bereits Überschuldung eingetreten ist und die Zahlung danach auch zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führt.

2. Forderungen des Gesellschafters sind bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen
Eine weitere Streitfrage, hinsichtlich derer sich der BGH nun klar positioniert hat, betrifft die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen des § 64 S. 3 GmbHG und die sich insoweit stellende Frage, ob fällige und durchsetzbare Forderungen des Gesellschafters hierbei zu berücksichtigen sind.

a) Liquiditätsprognose und Begriff der Zahlungsunfähigkeit
Zur (kontinuierlichen) Aufstellung der Liquiditätsbilanz bzw. Erstellung einer Liquiditätsprognose ist der Geschäftsführer wegen der Insolvenzverursachungshaftung de facto (und im Übrigen bereits aufgrund seiner allgemeinen Organpflichten) verpflichtet, da er nur so eine Feststellung über die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft treffen und, bei positiver Prognose, seine Haftung für eine Zahlung an den Gesellschafter vermeiden kann. Was die Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 64 S. 3 GmbHG betrifft, sieht der BGH keine Besonderheiten im Vergleich zu § 17 II 1 InsO, insbesondere keine Anhaltspunkte für eine Herausrechnung von Forderungen des Gesellschafters. Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet dies, dass Zahlungsunfähigkeit (und nicht mehr eine nur rechtlich unerhebliche Zahlungsstockung) regelmäßig dann vorliegt, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von 10% oder mehr besteht, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.

b) Volle Berücksichtigung von Gesellschafterforderungen
Von diesem einheitlichen Begriff der Zahlungsunfähigkeit ausgehend lehnt es der BGH konsequenterweise ab, fällige Gesellschafterforderungen im Rahmen der Zahlungsunfähigkeit für Zwecke des § 64 S. 3 GmbHG auszublenden. Dies wird zwar unter Verweis auf den sonst nicht bzw. nur sehr eingeschränkt bestehenden Anwendungsbereich von einer Reihe von Vertretern befürwortet. Der BGH weist darauf hin, dass dies genau der gesetzgeberischen Absicht entspricht und Schutzlücken nicht entstehen, weil der Geschäftsführer bei – unter Berücksichtigung der Gesellschafterforderung ermittelter – eingetretener Zahlungsunfähigkeit bereits nach S. 1 einem Zahlungsverbot unterliegt und für nach diesem Zeitpunkt geleistete Zahlungen haftet. Besteht unter Berücksichtigung fälliger Forderungen des Gesellschafters bereits eine Liquiditätslücke von 10% oder mehr, bedeutet dies, dass eine Zahlung wegen bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit keine Haftung nach § 64 S. 3 GmbHG zur Folge haben kann. Anders wäre es nur, wenn eine bestehende Liquiditätslücke von unter 10% den Schwellenwert erst durch die Zahlung an den Gesellschafter erreicht bzw. überschreitet oder es mangels ernsthaften Einforderns oder sonst bereits an einer fälligen Forderung mangelt.

3. Leistungsverweigerungsrecht
Auch zur umstrittenen Frage des Bestehens eines Leistungsverweigerungsrechts nimmt der BGH eindeutig Stellung: Ergibt die Prüfung der Liquidität der Gesellschaft (Solvenzprognose), dass die Zahlung an den Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zur Folge hätte, hat die Gesellschaft bzw. der Geschäftsführer nicht nur die Pflicht, die Zahlung zu unterlassen, sondern zugleich das Recht, ihre Vornahme zu verweigern. Entsprechende Weisungen der Gesellschafter sind nichtig und müssen bzw. dürfen nicht befolgt werden.

IV. Fazit
Die Entscheidung schafft für den praktisch relevanten Bereich der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen sowie dem Recht des Geschäftsführers zur Verweigerung solcher und ähnlicher Zahlungen an den Gesellschafter eine willkommene Klarheit. Sorgen um eine ausufernde Haftung des Geschäftsführers durch den neuen Tatbestand werden gedämpft. Der BGH weist zu Recht darauf hin, dass der MoMiG-Gesetzgeber ausdrücklich keinen umfassenden neuen Haftungstatbestand im Vorfeld der Insolvenz, sondern eine punktuelle Ergänzung der Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters beabsichtigte. Es sollte gerade für die von den Kapitalschutzregeln bzw. der allgemeinen Geschäftsführerhaftung gemäß § 43 II GmbHG nicht erfassten Fälle einer „Ausplünderung“ der Gesellschaft effektiver Gläubigerschutz sichergestellt werden.

Die umfassende Kenntnis der aktuellen Liquiditätslage der Gesellschaft ist für den Geschäftsführer von enormer Bedeutung. Nur, wenn er sich jederzeit Kenntnis hierüber verschaffen kann, kann er der Pflicht nachkommen, vor einer Zahlung an den Gesellschafter eine Solvenzprognose – d.h. die Analyse der aktuellen und zukünftigen (im relevanten Prognosezeitraum vorhandenen) Liquidität – vornehmen und damit, wenn die Prognose auch unter Berücksichtigung der Zahlung an den Gesellschafter die fortbestehende Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ergibt, seine Haftung ausschließen.

Aber auch unabhängig von Fällen der Zahlung an den Gesellschafter muss der Geschäftsführer im Hinblick auf seine Insolvenzantragspflicht die Vermögenssituation permanent beobachten und dies, wie der BGH jüngst klargestellt hat, notfalls unter kurzfristiger Hinzuziehung externer Berater sicherstellen.

Die Entscheidung stärkt den Geschäftsführer in der Auseinandersetzung mit dem bzw. den Gesellschaftern den Rücken, da sie klarstellt, dass der Geschäftsführer Vermögenstransfers an die Gesellschafter, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen, nicht umsetzen muss. Genauso wenig kann er sich aber zur Haftungsvermeidung auf eine entsprechende Weisung bzw. einen Beschluss der Gesellschafter stützen.

Werbung mit fremden Namen und Marken

Der Anreiz, fremde Markennamen zur Eigenwerbung zu nutzen, ist gross. Referenzen, Anwendungsfälle, Kompetenzen u.a. werden häufig am einfachsten, treffensdsten und vor allem auch überzeugendsten mit der Nennung fremder Marken dargestellt. In den meisten Fällen ist dies allerdings nicht erlaubt.

Der haupsächliche Sinn einer Marke ist es, dem Inhaber einer Marke ein ausschließliches Recht zu deren Nutzung zu geben. Dritte dürfen ohne Zustimmung des Markeninhabers das Zeichen im geschäftlichen Verkehr nicht für die geschützten (oder ähnliche) Waren und Dienstleistungen verwenden.

§ 23 MarkenG regelt eine Ausnahme vom absoluten Schutz der Marke. Die Vorschrift sieht unter anderem vor, dass eine Marke als Hinweis auf die Bestimmung einer Ware als Zubehör oder Ersatzteil verwendet werden darf, soweit die Benutzung dafür notwendig ist. Diese Regelung betrifft vor allem die Anbieter von Zubehör und Ersatzteilen für große Hersteller, insbesondere im Kfz-Bereich. Ebenso betroffen sind natürlich die Dienstleistungserbringer rund um bekannte Markenprodukte, die etwa Ein- und Ausbau, Wartung und Instandhaltung solcher Produkte anbieten. Der Bundesgerichtshof hat sich nun in einer aktuellen Entscheidung (BGH, Urteil vom 14. April 2011 – I ZR 33/10) zur Reichweite dieser zulässigen Markennutzung geäußert, wann also die Benutzung als Hinweis noch notwendig ist.

Der Entscheidung lag die Werbung einer bekannten markenunabhängigen Kfz-Werkstattkette zugrunde. Diese hatte für die Inspektion von VW-Fahrzeugen mit der VW-Bildmarke geworben (VW-Zeichen in einem Kreis).

Der BGH, wie auch schon die Vorinstanzen, hat diese Werbung untersagt und eine Markenverletzung angenommen. Die Beklagte habe die Werbefunktion der Klagemarke durch die Verwendung beeinträchtigt. Außerdem sei mit der Verwendung des bekannten Bildzeichens der Klägerin ein Imagetransfer verbunden, der die Klagemarke schwäche.

Die Ausnahmeregelung des § 23 MarkenG sah der BGH hier nicht als gegeben an. Zwar sehe das Markenrecht vor, dass der Markeninhaber einem Dritten die Verwendung der Marke als notwendigen Hinweis auf den Gegenstand der Dienstleistungen des Dritten nicht verbieten kann, solange die Benutzung nicht gegen die anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel verstößt. Eine Notwendigkeit zur Markenbenutzung sahen die Richter hier jedoch nicht, da die Beklagte zur Beschreibung des Gegenstands der von ihr angebotenen Dienstleistungen ohne weiteres auf die Wortzeichen „VW“ oder „Volkswagen“ und nicht auf das Logo hätte zurückgreifen können. Auf das Bildzeichen (Logo) sei sie nicht angewiesen gewesen.

Demnach gilt: Die Verwendung fremder Marken und Kennzeichen ohne ausdrückliche Einwilligung des Inhabers, stellt immer ein Risiko dar. Bei der rechtlichen Beurteilung steht das Recht des Kennzeicheninhabers, Dritte von jeglicher Benutzung für entsprechende Waren und Dienstleistungen auszuschließen, immer an erster Stelle.

Dennoch muss es gerade solchen spezialisierten Anbietern, deren Geschäftstätigkeit sich auf bestimmte Markenprodukte bezieht, möglich sein, auf ihre Tätigkeit unter Nennung dieser Marken hinzuweisen. Doch dieses Recht wird nicht schrankenlos gewährt, sondern, wie nun vom BGH noch einmal deutlich klargestellt, nur soweit es unbedingt erforderlich ist. Die Verwendung von Logos und Bildmarken wird dabei regelmäßig kaum erforderlich sein. Das der angesprochene Verkehr regelmäßig mit einem bestimmten Logo konfrontiert wird, dieses unter Umständen also wesentlich bekannter ist, als das zugehörige Wortzeichen, wird den Verwender nicht retten können. Gerade im Ausnutzen und dem Beeinträchtigen der Werbewirkung, liegt der Schwerpunkt der Verletzungshandlung, die dann über § 23 MarkenG nicht gerechtfertigt werden kann.

Vor Verwendung der Marke eines Dritten ist somit sorgfältig zu prüfen, ob ein entsprechender Hinweis auf das Zeichen überhaupt notwendig ist. Das ist etwa nicht der Fall, wenn es sich um eine bloße Referenzwerbung handelt, wenn also ohne Anlass auf die Marke Bezug genommen wird.

Unzulässig ist auch die Verwendung im Rahmen sog. „Nicht-Angebote“. Wird ein Markenname verwendet, ohne dass eben dieses Markenprodukt angeboten wird, etwa in OnlineShops mit aktuellem 0-Bestand (also keine Ware vorhanden), liegt ebenfalls ein unbefugter markenmäßiger Gebrauch vor (OLG Hamburg, 21.06.2007 – 3 U 302/06 – Jette (0)). Damit sind Markennamen in Metatags (Description, die in Suchmaschinentreffern erscheint, bzw. Keywords) oder in der Shopwerbung sehr gefährlich, wenn Sie nicht sicherstellen können, immer die Ware im Angebot zu haben. Darüber hinaus ist abzuwägen, wie ein zulässiger Markenhinweis ausgestaltet sein darf, wobei stets das „mildeste Mittel“ der Markenverwendung gewählt werden muss.

Filesharing: Aktuelle Rechtsprechung zur Nutzung des Internetanschlusses durch Familienangehörige

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Zum Filesharing hat das OLG Frankfurt erneut in einem Beschluss vom 22. März 2013 zum Az. 11 W 8/13 entschieden, dass der Inhaber eines Internetanschlusses das Nutzungsverhalten seines Ehegatten nicht hinsichtlich etwaiger Urheberrechtsverletzungen überwachen muss. In diesen Fällen trifft den Inhaber regelmäßig keine Haftung als Störer.

Das OLG Frankfurt formuliert: „Ein Ehemann kann daher seiner Ehefrau, solange er keine konkreten Anhaltspunkte für Rechtsverletzungen hat, den auf seinen Namen laufenden Internetanschluss überlassen, ohne diese ständig überwachen zu müssen (mit Hinweis auf Rechtsprechung der OLG Frankfurt und Köln). Sofern der Anschlussinhaber nicht mit einer Rechtsverletzung durch seinen Ehepartner rechnen muss, sind Hinweis-, Aufklärungs- und Überprüfungspflichten diesem gegenüber unzumutbar.“

Nach der zunächst einschlägigen Rechtsprechung des BGH besteht die Vermutung dass der Anschlussinhaber als Rechtsverletzter zu betrachten ist. Entsprechende Hinweise finden sich regelmaessig in den (Muster-) Abmahnschreiben der auf Filesharing spezialisierten Rechtsanwaltskanzleien. Im Rahmen der sog. sekundären Darlegungslast muss der Anschlussinhaber grundsätzlich Umstände vortragen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt. Nach oben genannter Rechtsprechung ist es hierfür aber ausreichend, wenn der er darlegen kann, dass der Anschluss auch von anderen Familienmitgliedern genutzt wird. Dadurch wird die Vermutung entkräftet, der Anschlussinhaber sei selbst Täter der Urheberrechtsverletzung.

Neben der Vermutung, der Inhaber ist selbst der Rechtsverletzer (bzw. Täter), kommt immer die Haftung des Inhabers eines Internetanschlusses als Störer in Betracht. Eine Haftung als Störer setzt voraus, dass der Inhaber des Anschlusses die Benutzung des Anschlusses und damit die Möglichkeit zu einer Urheberrechtsverletzung durch diese Benutzer für weitere Personen ermöglicht hat und dabei Prüfpflichten hinsichtlich etwaiger Urheberrechtsverstöße verletzt hat.

Nach nunmehr überwiegender Rechtsprechung treffen einen Anschlussinhaber gegenüber Ehegatten oder volljährigen Familienmitgliedern derartige Prüfpflichten aber nicht (BVerfG, Beschluss vom 21.03.2012 zum Az. 1 BvR 2365/11; OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. März 2013 zum Az. 11 W 8/13, mit weiteren Nachweisen). Der Bundesgerichtshof hat hierzu bislang noch keine Stellung bezogen. Das oben erwähnte Morpheus-Urteil legt jedoch nahe, dass auch der Bundesgerichtshof sich dieser Ansicht anschließen wird.

Betrug mit „Business Proposal“

Als Rechtsanwalt hat man in letzter Zeit sehr viel damit zu tun, soganannte Business Proposals per E-Mail zu empfangen, als Betrugsversuch zu identifizieren und den Absender beim E-Mail-Provider zu sperren.

Glücklicherweise sind die Fälle sehr ähnlich und daher schnell zu erkennen. Es fängt damit an, dass jemand plötzlich über sehr viel Geld verfügt, meistens sind es 15 – 30 Mio. US-$. Es ist dann ein Notar oder Rechtsanwalt, der so viel Geld eines Mandanten auf dem Konto hatte. Der Mandant (und häufig auch „die ganze Familie“) ist dann (meistens alle gleichzeitig an einem Tag) gestorben. Und jetzt weiß er leider ohne meine Hilfe nichts mit dem Geld anzufangen.

Heute bekam ich folgenden Vorschlag zugesandt:

From the Desk of: Engr RONI DAMBA
Director, Project Implementation

DIRECT TEL: + 27739726031
Email: ronidamba2012@yandex.com

DEPARTMENT OF MINERALS AND ENERGY
Mineral Centre, 234 Visagie Street,
Pretoria 0001 RSA.

URGENT BUSINESS PROPOSAL.

Good day,

I know this mail will come to you as a surprise, please do not be skeptical as it’s for good intention. It’s after my official enquiry from the foreign trade office of the chambers of commerce & industry here in Johannesburg South Africa, that I decided to contact you but I did not disclose the intention to anyone else because of the delicate nature of the project. I found your profile very interesting and decided to reach you directly to solicit for your assistance and guidelines in making a business investment and transfer of

US$32,000,000.00(Thirty Two Million Dollars) to your country within the next few days

Please I must plead for your confidence in this transaction. I am a high placed official working with Department of (Minerals and Energy) in Johannesburg. I and two other colleagues are currently in need of a silent foreign partner whose identity we can use to transfer this sum of money.

But at this moment, I am constrained to issue more details about this profitable business investment until I get your response by email, please if you can take out a moment of your very busy schedule today to respond back to my private email below for more details and include your private telephone number in your response which I and my colleagues will highly appreciate.

This fund accrued legitimately to us as commission from foreign contracts, through our private connections.

The fund is presently waiting to be remitted from the bank here in South Africa to any overseas beneficiary confirmed by us as associate/receiver. By virtue of our positions as civil servants in my country, we cannot acquire this money in our names.

Because as high placed civil servants, we are not allowed by the civil service code of conduct to own or operate bank accounts outside of our shores. On the other hand, it is not safe for us to keep the money here due to unstable political environment. I have been mandated as a matter of trust by my colleagues, to look for an overseas silent partner who could work with us to facilitate transfer of this fund for our mutual benefit, Hence the reason for this email.

My proposal is that after you receive the funds, it would be shared as follows: 30% (US$9,600,000.00), to you as commission for your co-operation and assistance in facilitating the transfer, 10% has been map out for any taxation fee that might occur during the course of this transfer while the remaining 60% (US$19,200,000.00) belongs to me and two colleagues. You will be free to take out your commission immediately after the money hits your account in your country. Since our objective is to invest the money in a foreign country, it would be appreciated if you could also help us with advices and direction on investing into profitable ventures in your country.

However, this is optional, and if it is not convenient for you to further to assist us with investing the money, we can end our cooperation after you make available to me our part of the money. The transaction, although discreet, is legitimate and the money will be transferred successfully with all necessary back-up official documents showing the legitimate source/origin of fund.

The transfer will be affected within a period not longer than two weeks as soon as we reach an agreement and you furnish me with a suitable response indicating your interest for processing the transfer. I plead with you on one issue, whether you are interested or not, kindly do not expose this information to any one else. I confirm that the transaction is legitimate and without any risks either to yourself or us.

Regards,

Engr. RONI DAMBA
Email: ronidamba2012@yandex.com

DEPARTMENT OF MINERALS AND ENERGY
REPUBLIC OF SOUTH AFRICA

Der Absender – angeblich Regierungsmitarbeiter in Südafrika – verfügt nur über eine @yandex.com Adresse, nicht aber ueber eine Adresse mit der Domain der Koerperschaft, der er angeblich angehoert. Andere Betrueger benutzen @gmail.com @yahoo.com oder aenliche Adressen. Spätestens hier ist klar, dass es sich um einen Betrug handelt.

Der Betrugsplan sieht dann so aus:

Geht man auf den Vorschlag ein, erhaelt man einen ungedeckten Scheck, bezogen auf eine Bank in Afrika oder Asien. Wenn man den Scheck der Hausbank gibt, schreibtfidiese den Betrag vorlaeufig gut und versucht ihn bei der bezogenen Bank einzuziehen. Bis dann die Mitteilung kommt, der Scheck sein nicht gedeckt vergehen moeglicherweise vier Wochen. In der Zwischenzeit melden sich die Betrueger und versuchen den Scheckempfaenger dazu zu veranlassen, den „vereinbarten“ Teilbetrag an sie zu ueberweisen, wiederum auf ein Konto in einem rechtlich unerreichbaren Land. Die Ueberweisung koennte u.U. durchgefuehrt werden, auch wenn es sich um mehrere Millionen handelt, da der Scheckbetrag ja noch als Guthaben auf dem Konto erscheint.

Leider sind die Absender nicht zu ermitteln. Betrugsanzeigen gegen Unbekannt laufen ins Leere.

Es bleibt nur der Ärger über die sinnlose Beschäftigung.

Melissa Nelsons Kündigungsgrund „zu sexy“ im Lichte des Deutschen Arbeitsrechts

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Ueber den Fall hatten auch deutsche Medien berichtet, so z.B. der Spiegel:

Zehn Jahre lang hatte Melissa Nelson als Zahnarzthelferin für James Knight gearbeitet. Nelson sei „die beste Assistentin“ gewesen, die er je hatte, sagte Knight, doch schließlich kündigte er ihr. Als Grund gab er laut den Medienberichten an: Nelson sei einfach „unwiderstehlich“ (= zu sexy). Dies bedrohe sein Geschäft, seine Ehe und das Wohl seiner Familie.

Nelson hatte sich offenbar bei der Arbeit nie etwas zuschulden kommen lassen. Sie war jedoch zumindest in den Augen ihres Arbeitgebers sehr attraktiv (= zu sexy). Nach neun Jahren hatte Knight offenbar das erste Mal gemerkt, dass ihn die angeblich hautenge Kleidung seiner Assistentin von der Arbeit ablenke. Er schrieb ihr anzügliche SMS-Botschaften: „Wenn sich meine Hose wölbt, wissen Sie, dass Ihre Klamotten zu knapp sind.“ Knight gab an, dass er Melissa nicht mehr länger widerstehen könne und eine Affäre begonnen hätte. Offenbar hatten der Arzt und seine Assistentin recht offene Gespräche geführt: Als sich Nelson über ein unregelmäßiges Sexleben mit ihrem Mann beschwerte, beschrieb Knight seine Gefühlslage so: „Das ist, als habe man einen Lamborghini in der Garage stehen, den man nicht fahren darf.“ Der Arzt machte die Assistentin zudem wiederholt mit unpassenden Bemerkungen darauf aufmerksam, dass ihm ihre Kleidung zu freizügig sei.

Zu sexuellen Kontakten war es jedoch nie gekommen. Die junge Frau und verheiratete Mutter klagte gegen ihre Entlassung, insbesondere wegen sexueller Diskriminierung.

Schon in der ersten Instanz hatte das Gericht zugunsten des Zahnarztes entschieden. Jetzt hat das Oberste Gericht von Iowa diese Entscheidung bestätigt: Führungspersonen dürfen Angestellte entlassen, die ihnen als Bedrohung der eigenen Ehe erscheinen, schrieb das Gericht in der Urteilsbegründung. Weiter hieß es: bei der Entlassung spielten die Gefühle des Arztes, nicht das Geschlecht der Gehilfin die Hauptrolle.

Das Gericht stellt damit auf den Arbeitgeber ab und nicht auf eine Eigenschaft der Arbeitnehmerin. Damit hat es die heikle Frage, ob Frau Nelson im Rahmen des Arbeitsverhältnisses tatsächlich als „zu attraktiv“ oder „zu sexy“ zu bewerten sei, geschickt umgangen. Insbesondere ist das Gericht damit auch einer Beweisaufnahme aus dem Weg gegangen, in der es sich nach freier Überzeugung (§ 286 ZPO) ein Bild über Mass, Umfang und Gefährlichkeit von Frau Nelsons weiblicher Attraktivität hätte machen müssen.

Ob eine Kündigung mit dieser Begründung nach Deutschem Recht rechtmäßig wäre, untersuche ich im Folgenden.

1. Kündigungsgründe
Nach § 1 des Kündigungsschuzgesetz ist eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. In dieser Vorschrift hat man den Ausgangspunkt für die Beurteilung des Falles nach Deutschem Arbeitsrecht gefunden.
In den Schilderungen des Falles gibt es Hinweise für einen personenbedingten Kündigungsgrund (zu attraktiv) und für einen verhaltensbedingten Kuendigungsgrund (Tragen zu freizuegiger Kleidung).

2. Personenbedingte Kündigung
Eine personenbedingte Kündigung kommt im Allgemeinen in Frage, wenn ein Mitarbeiter aufgrund von charakterlichen, fachlichen, körperlichen oder gesundheitlichen Gründen, die nicht in seinem Einflussbereich liegen, für eine Tätigkeit nicht (mehr) geeignet erscheint. Voraussetzung ist jeweils, dass durch diese persönlichen Mängel die betrieblichen Abläufe erheblich gestört und dem Arbeitgeber deshalb nicht zugemutet werden können.
Vordergründig scheint man den Fall von Frau Melissa Nelson unter diese Definition subsummieren zu können. Es liegen körperliche Gruende vor, die betrieblichen Abläufe erheblich stören und dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden können.
Ich gehe davon aus, dass ein Deutsches Gericht dem Arbeitgeber bei einer Gesamtabwägung aller in Betracht zu ziehenden Umstände eine derartige störung der Betriebsabläufe zumuten wird.

3. Verhaltensbedingte Kündigung
Unternehmen können im Rahmen ihres Weisungsrechts den Mitarbeitern vorschreiben, welche Kleidung sie während der Arbeit zu tragen haben. Weigert sich ein Mitarbeiter beharrlich die entsprechende Kleidung zu tragen, so liegt hierin eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann.
Das Arbeitsgericht Cottbus hat entschieden (Urteil vom 20.03.2012, Az.: 6 Ca 1554/11):
Das Weisungsrecht nach § 106 GewO gibt dem Arbeitgeber das einseitige Recht, die im Arbeitsvertrag für gewöhnlich nur abstrakt geregelte Leistungspflicht nach Zeit, Ort und Art der Leistung näher zu konkretisieren. Dabei hat er unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die gegenseitigen Interessen untereinander abzuwägen. Zwar werde im vorliegenden Fall dem Arbeitnehmer die Möglichkeit genommen, durch eine individuelle Kleidung seinem Erscheinungsbild eine persönliche Note zu geben. Diese wird aber hier vom betrieblichen Interesse an einem einheitlichen Erscheinungsbild aller Mitarbeiter überlagert und war somit auch vom Weisungsrecht der Beklagten gedeckt und angemessen.

4. Abmahnung
Nach deutschem Recht ist in der Regel (mindestens) eine Abmahnung erfoderlich. Hier stellt sich die Frage, ob eine SMS mit dem Inhalt „Wenn sich meine Hose wölbt, wissen Sie, dass Ihre Klamotten zu knapp sind“ den Anfoderungen die die Deutschen Gerichte an Abmahnungen stellen, genügt.

Keine besonderen Voraussetzungen werden an die Form der Abmahnung gestellt. Diese kann daher sowohl muendlich, als auch schriftlich ausgesprochen werden. Zwar ist derzeit kein Urteil ersichtlich, das eine in Form einer SMS verfassten Abmahnung behandelt. Das Bundesarbeitsgericht urteilt jedoch (mittlerweile in ständiger Rechtsprechung, vgl. BAG, Urteil vom 19. Februar 2009 – 2 AZR 603/07, m.w.N.), der Arbeitnehmer könne auch einer formell unwirksamen Abmahnung entnehmen, dass der Arbeitgeber sein Verhalten nicht billigt. Er bleibe daher trotz Formfehlers der Abmahnung abgemahnt. Demnach duerte die Versendung der Abmahnung als SMS nach deutschem Recht kein Problem darstellen.

OLG Düsseldorf; Urteil vom 18.07.1997 Az.: 22 U 3/97

Aus dem Tatbestand:
Die Klägerin erbringt Software-Leistungen.

Die Beklagte, die bundesweit Baumärkte und Selbstbedienungs-Warenhäuser betreibt, wollte für ihren Geschäftssitz in D. und die daran angebundenen Filialen ein zentrales EDV-Warenwirtschaftssystem in den Bereichen Bestellwesen, Rechnungsprüfung, Wareneingang, Lagerbestand, Bestandsänderungen und Inventur einführen. Hierzu unterzeichneten die Parteien am 31.1.1990 einen von der Klägerin gestellten „Service-Vertrag für Systemberatung“ mit dem Titel „Systemanalyse für die Entwicklung eines Warenwirtschaftssystems“ (Bl. 25 GA). Als „Gegenstand der Dienstleistungen“ sind „Ist-Analyse und Erstellung eines Soll-Konzeptes“ angegeben. Am 27.3.1990 übergab die Klägerin der Beklagten ihr schriftliches „Ergebnis der Systemanalyse für die Entwicklung und Einführung eines Warenwirtschaftssystems mit Filialanbindung für das Datenbanksystem IBM System AS/400“ (Auszug in Anlage B 1), auf dessen Grundlage die Parteien ihre Zusammenarbeit fortsetzten. Am 27.4.1990 unterzeichneten sie einen weiteren Formularvertrag der Klägerin mit dem Titel „Modifikation und Programmierung der Stammdaten AS/400“ (Bl. 26 GA). In der Rubrik „Gegenstand der Dienstleistungen“ ist auf die „Systemanalyse vom 27.3.1990“ verwiesen. Ferner sind ein auf Stundenlohnbasis errechneter Schätzpreis in Höhe von 118.980,- DM (netto) und als „geplantes Enddatum“ der 30.6.1990 eingetragen.

In der Folgezeit erteilte die Klägerin Einzelrechnungen, welche die Beklagte bis ca. Ende 1991 in Höhe von mindestens 1.031.389,60 DM beglich. Danach lehnte sie Zahlungen ab und forderte die Klägerin mit diversen Schreiben (Anlagen B 6 – 8, 10 – 14, 17) zur Beseitigung von Mängeln auf. Zudem legte sie unter dem 9.3.1992 einen „Anforderungskatalog WWS-Stammdaten“ vor (Anlage B 5). Als sich herausstellte, daß die Klägerin die Kosten der Fertigstellung mit weiteren 900.000,- DM veranschlagte, kam es im Herbst 1992 zur Beendigung der Vertrages (Bl. 67 GA). Die Beklagte erwarb eine andere Software, die sie seither ohne Beanstandung nutzt.

Mit der Klage verlangt die Klägerin die Bezahlung von 15 Rechnungen (Bl. 27 – 46 GA) in Höhe von insgesamt 149.972,13 DM für von Dezember 1991 bis zur Vertragsbeendigung erbrachte Leistungen.

Sie hat vorgetragen: Die Beklagte schulde die Rechnungsbeträge als Dienstlohn. Die Parteien hätten keinen Werkvertrag, sondern einen Dienstvertrag geschlossen. Sie habe von der Beklagten Dienstleistungsaufträge erhalten mit dem Inhalt, deren Mitarbeiter bei der Konzeption eines EDV-Warenwirtschaftssystems zu unterstützen. Demgemäß fehle ein Pflichtenheft und somit eine für den Werkvertrag charakteristische Leistungsbeschreibung. Sie habe sämtliche berechneten Leistungen vertragsgemäß erbracht. Die angesetzten Zeiten für Besprechungen hätten der weiteren Konzeption gedient, so daß diese ebenfalls zu vergüten seien. Updates hätten Änderungswünsche der Beklagten zum Gegenstand gehabt. Die berechneten Dokumentationen seien erstellt worden. Durch die Eröffnung neuer Filialen der Beklagten habe sich die Ablauforganisation häufig geändert, woraus ständig neue Warenwirtschaftsanforderungen erwachsen seien. Der fehlende Erfolg des Warenwirtschaftsprojektes sei auf den Zeitmangel der Mitarbeiter der Beklagten für Planungs- und Entscheidungsgespräche sowie für den Test der von der Klägerin zur Verfügung gestellten Programme und die Erfassung der Stammdaten zurückzuführen.

(…)

Die Beklagte (… trägt vor), es habe ein Werkvertrag bestanden, weil die Klägerin sich zur Ablieferung eines auf ihre Verhältnisse abgestimmten funktionierenden Warenwirtschaftsprogramms verpflichtet habe. Dem stehe nicht entgegen, daß die schriftliche Dokumentation über den Leistungsinhalt unzulänglich gewesen sei und ein Pflichtenheft gefehlt habe. Umfang und Inhalt der von der Klägerin zu erbringenden Leistung ergäben sich im wesentlichen aus den Protokollen des Lenkungsausschusses in Verbindung mit den Erfordernissen, die an die Funktionsfähigkeit und Praktikabilität eines auf ihre betrieblichen Notwendigkeiten zugeschnittenen Warenwirtschaftssystems zu stellen seien sowie nach dem Standard der Datentechnik. In den installierten Modulen sei es ständig zu Problemen, Fehlern und Änderungsnotwendigkeiten gekommen. Die Klägerin habe zu keiner Zeit eine dem Stand der Technik und den individuellen Erfordernissen genügende Software geliefert. Die Mängel würden dokumentiert durch die vorgelegten Fehlerprotokolle, das Workshop-Protokoll vom 7.2.1992 und den Anforderungskatalog vom 9.3.1992. Im Hinblick darauf, daß die Klägerin für die Mängelbeseitigung 200.000,- DM verlangt und für die übrigen Module zusätzliche 700.000,- DM kalkuliert habe, sei sie nicht mehr gehalten gewesen, ihr eine Nachfrist zu setzen, zumal die bis dahin gerügten Mängel ohnehin nicht oder nur in geringem Umfang beseitigt worden seien. Im übrigen seien die Rechnungen sachlich nicht gerechtfertigt.

Durch Urteil vom 26.11.1996 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Trotz der Bezeichnung der Leistungen in § 1 der Allgemeinen Vertragsbedingungen der Klägerin handele es sich bei dem Vertragsverhältnis der Parteien nicht um einen Dienst-, sondern um einen Werkvertrag, den die Beklagte gekündigt habe. Dadurch habe sich der Gegenstand des Werkvertrages auf das bis dahin erbrachte Teilwerk beschränkt. Die von der Klägerin entwickelten und installierten Programme arbeiteten unstreitig nicht fehlerfrei und seien für die Beklagte unbrauchbar. Daher stehe der Klägerin die begehrte Vergütung nicht zu. Zudem habe sie trotz der Hinweise der Kammer im Verhandlungstermin vom 5.11.1996 nicht dargetan, daß der mit der Klage geltend gemachte Vergütungsanspruch sich ausschließlich auf mängelfreie Arbeiten im Rahmen des ihr erteilten Auftrages beziehe.

(…)

Mit der Berufung gegen dieses Urteil verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter. Sie trägt vor: Sie habe nur die Arbeitsleistung als solche geschuldet. An mehreren Stellen im Vertrag sei von zu erbringenden „Dienstleistungen“ die Rede. Auch in den Protokollen habe die Beklagte selbst von „Dienstleistungen“ gesprochen. Entscheidend für die Einordnung des Vertrages als Dienstvertrag sei aber die Vereinbarung von Stundensätzen und das in § 2 der „Allgemeinen Vertragsbedingungen“ geregelte folgenlose Kündigungsrecht der Beklagten. Dementsprechend hätten die Parteien ein körperlich faßbares Ergebnis zu Beginn der Zusammenarbeit nicht beschreiben können, weil die Entwicklung nicht vorhersehbar gewesen sei. So habe auch kein Pflichtenheft erstellt werden können. Erst als die Beklagte im Februar 1992 konzeptionelle Probleme geltend gemacht habe, sei beschlossen worden, einen Anforderungskatalog und ein Pflichtenheft zu erarbeiten. Sie habe Tätigkeiten ausgeführt, die selbst unter sonst werkvertraglichen Bedingungen als Dienstleistungen einzuordnen wären. Immerhin habe die Beklagte bis Ende 1991 insgesamt 1.031.389,60 DM gezahlt, was als ihre Zustimmung zu werten sei. Im übrigen habe man sich nach Gesprächspunkt 3 des Protokolls vom 12.6.1992 (Anlage T 42) auf geschätzte Kosten für die Realisierung des Anforderungskataloges von 200.000,- DM, gegebenenfalls mit einem Nachlaß in Höhe von 15.000,- DM für den Wegfall bestimmter Maßnahmen, verständigt. Es sei mithin nicht nur die Leistungserbringung bis dahin nicht in Frage gestellt worden, sondern man habe sich auch auf die Berechtigung der bis dahin erhobenen Forderungen und die Kosten für die Fortsetzung der Arbeiten geeinigt.

(…)

Die Beklagte (…) trägt vor:
Bereits der Auftrag vom 31.1.1990 habe eine Systemanalyse für die Entwicklung eines Warenwirtschaftssystems zum Gegenstand gehabt und die Klägerin daher ein sogenanntes Pflichtenheft erstellen müssen. Die Leistungen der Klägerin hätten sich nur verzögert, weil sie dieser Pflicht nicht genügend nachgekommen sei. Die Anzahl der Filialen sei für das Funktionieren des Systems unwichtig gewesen, so daß die Klägerin nicht darauf verweisen könne, daß im Verlauf des Projektes neue Filialen hinzugekommen seien. Zu Recht sei das Landgericht als unstreitig davon ausgegangen, daß die Leistungen der Klägerin mangelhaft gewesen seien. Besonders gravierend sei die unzumutbar lange Laufzeit der einzelnen Arbeitsvorgänge gewesen, insbesondere bei der Erstellung der Filial- und Lieferantenlisten und im Dialog. Es hätten zukünftige Daten für Preisänderungen nicht eingegeben werden können und Mängel in der sogenannten Preispflege bestanden.

(…)

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung von 149.972,13 DM gegen die Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

I.
1. Zu Recht hat das Landgericht den von den Parteien am 27.4.1990 geschlossenen Vertrag als Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB gewertet. Das Wesen des Werkvertrages liegt in der Erfolgsbezogenheit der Unternehmerverpflichtung. Selbst wenn diese darin besteht, durch Arbeit oder Dienstleistung einen bestimmten Erfolg herbeizuführen, konzentriert sich das rechtliche Interesse des Bestellers nicht auf den Vorgang der Werkserrichtung an sich oder auf die dabei entfaltete Tätigkeit, sondern auf das Ergebnis dieses Handelns (vgl. MünchKomm-Soergel, BGB, 2. Aufl. § 631 Rdn. 4). So liegen die Dinge auch hier. Das Interesse der Beklagten war darauf gerichtet, für ihre Zentrale und die angeschlossenen Filialen ein EDV-Warenwirtschaftssystem zu erhalten. Daß dafür umfangreiche Beratungsleistungen und sonstige, eher dienstvertragstypische Leistungen, etwa die Schulung ihrer Mitarbeiter, erforderlich waren, trat gegenüber dem angestrebten Werkerfolg zurück. In der Rechtsprechung ist im übrigen anerkannt, daß die Erstellung einer einsatzreifen, auf die speziellen Bedürfnisse des Bestellers abgestimmten Individualsoftware dem Werkvertragsrecht unterliegt (vgl. BGHZ 102,135, 141 = BGH NJW 1988, 406, 407 = CR 1988, 124, 126; NJW 1990, 3011, 3012 = CR 1990, 707, 708; OLG Koblenz NJW-RR 1992, 688, 689; Senat NJW-RR 1996, 821 = CR 1996, 214/215).

Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes. Die von der Klägerin für einen Dienstvertrag (§ 611 BGB) vorgebrachten Argumente greifen nicht durch. Ob die Vertragsparteien einen Werkvertrag oder einen Dienstvertrag abgeschlossen haben, ist durch Auslegung der Vertragserklärungen zu ermitteln. Insoweit ist zwar festzustellen, daß in den in den Vertrag vom 27.4.1990 (Bl. 26 GA) einbezogenen allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin an verschiedenen Stellen von einem „Dienstvertrag“ (§ 6) oder von „Dienstleistungen“ (u.a.: Gegenstand der Dienstleistungen; §§ 1, 2) die Rede ist. Indes hat sich die rechtliche Einordnung vorrangig an dem wirklichen Parteiwillen zu orientieren. Maßgebend ist daher der vereinbarte Vertragszweck, der – wie angeführt – auf ein funktionierendes Warenwirtschaftssystem gerichtet war. Da nur die Klägerin über die erforderliche EDV-Kenntnisse verfügte – Herr T. , der den Anforderungskatalog der Beklagten erstellte, wurde erst ab Oktober 1991 für diese tätig – war von Beginn an klar, daß die Klägerin die notwendigen Leistungen selbst erbringen sollte. Das Funktionieren des Warenwirtschaftssystem sollte ihr als Erfolg zuzurechnen sein. Dies umfaßte auch das Risiko etwaiger Programmierungsmängel. Zwar ist in § 6 der „Allgemeinen Vertragsbedingungen“ geregelt, daß Gewährleistungsansprüche nicht entstehen sollen, danach die Beklagte als Auftraggeberin die Vergütungsgefahr – untypisch für einen Werkvertrag – zu tragen hatte. Tatsächlich wurde dies jedoch nicht so gehandhabt. Vielmehr führt die Klägerin selbst an, der Beklagten die unstreitig durchgeführten Fehlerbeseitigungsarbeiten nicht in Rechnung gestellt zu haben. Dies deutet darauf hin, daß sie sich selbst mit dem Risiko einer mangelhaften Leistung belastet sah.

Ohne Erfolg verweist die Klägerin zur Begründung eines Dienstvertrages auf das in § 2 ihrer „Allgemeinen Vertragsbedingungen“ eingeräumte Kündigungsrecht der Beklagten. Dieses entspricht keineswegs nur einer dienstvertraglichen Regelung. Denn auch nach dem Werkvertragsrecht kann der Auftraggeber jederzeit kündigen (§ 649 BGB). Soweit die Klägerin hervorhebt, die Kündigung sei darüber hinaus folgenlos zulässig gewesen (Bl. 146 GA), kann dies § 2 der „Allgemeinen Vertragsbedingungen“ nicht zweifelsfrei entnommen werden, weil die Rechtsfolgen einer Kündigung dort jedenfalls nicht ausdrücklich geregelt sind.

Auch die Vergütungsart – Abrechnung auf Stundenlohnbasis gemäß § 7 der „Allgemeinen Vertragsbedingungen“ – spricht nicht für den rechtlichen Charakter des Vertragsverhältnisses als Dienstvertrag. Zwar wird der Dienstverpflichtete typischerweise nach der Zeit seiner Tätigkeit entlohnt, der Werkunternehmer hingegen nach dem erbrachten Leistungserfolg. Eine allgemeine Regel läßt sich daraus aber nicht herleiten. Auch im Werkvertragsrecht ist die Vereinbarung von Stundenlöhnen nicht unüblich. Zu Recht verweist die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf, daß eine Vergütung nach Stundenlohn im Baugewerbe der Annahme eines Werkvertrages gerade nicht entgegen stehe. Gleiches gilt im übrigen für den Werkvertrag des zur Anfertigung eines Gutachten verpflichteten Sachverständigen. Daß die Parteien die Form der Abrechnung nach Stundenaufwand wählten, hindert die Annahme eines Werkvertrages danach nicht (vgl. hierzu auch BGH NJW 1993, 1972 = WM 1993, 1474, 1475 = LM H.8/1993 § 649 BGB Nr. 23).

Ein Werkvertrag scheidet auch nicht aus, weil ein Pflichtenheft und damit eine konkrete Leistungsbeschreibung bei Vertragsbeginn fehlten. Dabei kann dahinstehen, ob, wie die Beklagte meint, schon das schriftliche „Ergebnis der Systemanalyse“ gemäß Vertrag vom 31.1.1990 (Anlage B 1) ein Pflichtenheft darstellt, was zu verneinen wäre, wenn man darunter eine endgültige, in die Einzelheiten gehende Konkretisierung der Aufgabenstellung versteht (vgl. Zahrnt, CR 1994, 404; vgl. auch Schaub, CR 1993, 329, 330). Denn auch ohne Pflichtenheft läßt sich der für einen Werkvertrag typische Leistungserfolg hinreichend bestimmen. Dieser besteht in einer Softwarelösung entsprechend dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard (vgl. BGH NJW-RR 1992, 556, 557 = CR 1992, 543, 544; LG Köln CR 1994, 624, 625; vgl. hierzu auch Schaub, CR 1993, 329, 331), mag eine solche nach dem Vertragsschluß auch noch einer näheren Konkretisierung bedürfen (vgl. OLG Düsseldorf CR 1993, 361, 362).

2. Ist nach dem Gesagten das Vertragsverhältnis der Parteien als Werkvertrag zu qualifizieren, steht der Klägerin der geforderte Werklohn gleichwohl nicht zu.

a) Unstreitig wurde der „Service-Vertrag für Systemberatung“ vom 27.4.1990 im Jahre 1992 beendet. Wie es dazu im einzelnen gekommen ist und welche Erklärungen die Parteien hierzu abgegeben haben, ist nicht mitgeteilt. Dies bedarf indes keiner näheren Aufklärung. Insbesondere kann offen bleiben, ob die Beklagte – wie das Landgericht angenommen hat (Seite 10 des Urteils, Bl. 122 R GA) – den Vertrag gekündigt hat und ihr hierfür ein wichtiger Grund zur Seite stand, oder ob die Parteien – wie von der Klägerin in der Berufungsinstanz vorgetragen (Bl. 154 GA) – das Vertragsverhältnis einvernehmlich gelöst haben. Denn die Klägerin macht lediglich Werklohn für Leistungen geltend, die sie bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses erbracht haben will. Auf die Vergütung erbrachter Leistungen hätte sie aber – unter den nachstehend genannten weiteren Voraussetzungen – in jedem Falle Anspruch, unabhängig davon, ob sie die Vertragsbeendigung zu vertreten hatte.

b) Der Vergütungsanspruch der Klägerin setzt voraus, daß sie bis zur Vertragsbeendigung die geschuldete Werkleistung teilweise erbracht und der Beklagten zur Verfügung gestellt hat und das Teilwerk/die Teilwerke frei von Mängeln ist/sind. Diese Voraussetzungen hat die Klägerin indes nicht schlüssig dargetan. Daran scheitert ihr Anspruch. So legt sie nicht nachvollziehbar dar, welche Teilleistungen sie von Dezember 1991 bis zur Beendigung des Vertrages erbracht und der Beklagten übergeben hat, sondern behauptet nur pauschal, die berechneten Leistungen ausgeführt zu haben. Damit bleibt unklar, welche konkreten Teilergebnisse sie im einzelnen erzielt hat und wieso die geltend gemachte Vergütung auf diese Teilleistungen entfällt. Das erschließt sich auch nicht aus dem Inhalt der Rechnungen. Die dort angegebenen Leistungen sind so allgemein beschrieben, daß sie sich keiner bestimmten Teilleistung innerhalb des Warenwirtschaftssystems zuordnen lassen. Soweit die Klägerin behauptet, bestimmte Dokumentationen hergestellt zu haben, fehlt es zudem an der substantiierten Darlegung, worauf sich diese beziehen sollen und daß sie der Beklagten übergeben worden sind.

Ebensowenig legt die Klägerin dar, daß und welche Leistungen bei Vertragsbeendigung fehlerfrei waren. Die Beklagte beanstandet, daß die Laufzeiten der Bearbeitung der einzelnen Arbeitsvorgänge unzumutbar lang gewesen seien. Dies gelte insbesondere für die Erstellung der Filiallisten (Bl. 179 ff GA). Das Programm der Klägerin habe am 1.3.1992 allein für das Sammeln und Sortieren ohne Ausdruck der Listen 46 Stunden, am 15.6.1992 29,5 Stunden, am 15.7.1992 41 Stunden und am 1.12.1992 60 Stunden benötigt. Daß es solche Laufzeiten gab und diese für die Beklagte nicht hinnehmbar waren, stellt die Klägerin auch in ihrem Schriftsatz vom 13.6.1997 nicht in Abrede. Sie beruft sich vielmehr darauf, „Optimierungsvorschläge“ gemacht zu haben, ohne diese jedoch näher zu beschreiben und zu erläutern, welche Verbesserungen damit erzielt worden wären. Davon abgesehen müßte die Klägerin, um die Mangelfreiheit ihrer Leistung hinreichend darzulegen, erläutern, worauf die Laufzeitprobleme zurückzuführen waren und daß diese sich alsbald und mit zumutbarem Aufwand hätten beheben lassen. Auch daran fehlt es.

Ferner war das Programm bei Beendigung des Vertrages unstreitig nicht in der Lage, zukünftige Listungsdaten zu bearbeiten. Es leuchtet aber ein, daß die vorausschauende Planung der Beklagten und die Umsetzung in den Filialen es erforderten, auch künftige Änderungen von Stammdaten eingeben und abrufen zu können. Da nur so das Programm betriebswirtschaftlich effizient eingesetzt werden konnte, hätte die Klägerin dies von vorne herein entsprechend planen müssen. Soweit sie vorträgt (Bl. 197 GA), daß dafür noch ein „nicht unerheblicher Aufwand“ notwendig gewesen wäre, bestätigt dies nur noch die Fehlerhaftigkeit ihrer Leistung.

Angesichts der aufgezeigten Mängel kommt es für den in Rede stehenden Werklohnanspruch nicht mehr darauf an, ob zusätzlich die von der Beklagten darüber hinaus geltend gemachten Programmfehler (z.B. Dialogzeiten, Aufruf „Löschen“) vorlagen.

c) Schließlich wendet die Beklagte ein, der Klägerin stünden bereits die bislang gezahlten Vergütungen von mindestens 1.031.389,60 DM nicht zu, weil die abgelieferte Leistung insgesamt unbrauchbar sei. Dies verpflichtet die Klägerin, den mit der Klage geltend gemachten Spitzenbetrag von 149.972,13 DM auch mit Blick auf die schon erhaltene Vergütung zu rechtfertigen. Sie muß darzulegen, wieso sie für die von ihr bis zur Vertragsbeendigung erbrachten Teilleistungen nicht nur den vereinnahmten Betrag von mindestens 1.031.389,60 DM, sondern auch die streitigen Rechnungsbeträge verlangen kann. An solch zusammenfassenden Vortrag fehlt es ebenfalls.

3. Ein Zahlungsanspruch der Klägerin folgt auch nicht daraus, daß sich die Parteien in ihrer Besprechung vom 12.6.1992 auf die Bezahlung der streitigen Rechnungen geeinigt hätten. Das dahingehende Vorbringen der Klägerin (Bl. 152/153 GA) ist nicht nachvollziehbar und daher unsubstantiiert, weil sich aus dem überreichten Protokoll, Gesprächspunkt 3 (Anlage T 42) eine solche Einigung gerade nicht ergibt, sondern danach die Beklagte über die von der Klägerin mitgeteilten Kosten und das weitere Vorgehen erst noch entscheiden sollte, wie insbesondere aus dem Terminvorschlag über das weitere Vorgehen (letzte Seite des Protokolls: „Entscheidung Götzen…bis 17.07.92“) erhellt.

(…)