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Der Ersatzanspruch eines Gläubigers gegen den Liquidator einer GmbH

Der Beklagte war Alleingesellschafter, Geschäftsführer und am Ende Liquidator einer GmbH. Die Klägerin war Steuerberaterin der GmbH. Sie erstellte u.a. Jahresabschluss und Steuererklärungen für das Jahr 2009. In diesem Jahresabschluss war eine Rückstellung „für Abschluss und Prüfung“ enthalten. Für die Leistungen im Jahr 2010 forderte die Klägerin im Juni 2012 ein Honorar von 2.246,96 €. Zwischenzeitlich war jedoch die Gesellschaft im Register aufgelöst und gelöscht worden. Der Liquidator hatte bei der Verteilung des Vermögens der Gesellschaft die Forderung der Klägerin nicht beachtet. Die Klägerin verlangt deshalb das Honorar von dem beklagten Liquidator. Die Klage war erfolgreich. Zuletzt hatte der BGH den Anpruch bestätigt:

Der Klägerin stehe als Folge der Beendigung der Liquidation ohne Befriedigung ihrer Forderung, die aus dem Vermögen der liquidierten Gesellschaft möglich gewesen wäre ein Anspruch in analoger Heranziehung der §§ 268 Abs. 2, 93 Abs. 5 AktG zu. Voraussetzung für einen solchen Anspruch sei eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz und eine „vergleichbare Interessenlage“. Beides liege hier vor – in Gestalt einer sich erst nachträglich herausstellenden „planwidrigen“ Unvollständigkeit des GmbHG.

§ 73 Abs. 3 GmbHG ermögliche dem Gläubiger nur, seinen Anspruch gegen die Gesellschaft zu titulieren, um dann den Anspruch der Gesellschaft nach dieser Norm zu pfänden und sich überweisen zu lassen. Das sei freilich ein Weg, der, so der BGH, „zeitintensiv, kostenträchtig […] und nicht prozessökonomisch […]“ sei. Erst später habe der Gesetzgeber das Erfordernis eines Direktanspruchs des Gläubigers gegen den Liquidator erkannt, dies jedoch nicht im Gesetz umgesetzt (vgl. BT-Drs. VI/3088, S. 207). Die Entwicklung der Wirtschaft habe indes nichts an der Notwendigkeit eines solchen Anspruchs geändert. Die nachträglich entstandene Lücke im GmbH-Gesetz sei auch planwidrig. Bestimmend für den historischen Gesetzgeber des GmbHG sei der Gedanke gewesen, einen Anspruch der Gesellschaft gegen den Liquidator zu generieren und zu verhüten, dass die Gesellschafter die Gläubigerbefriedigung durch Verfügungen über die Ersatzansprüche vereitelten. Diese Sichtweise reiche aber nicht aus, denn das fehlerhafte Handeln des Liquidators beruhe nicht auf Verfügungen, sondern auf der spezifischen Situation der Abwicklung. Erst nach Beendigung der Liquidation werde in der Regel erkannt, dass das Gebot des § 73 GmbHG verletzt worden sei. Im Ergebnis meint der BGH, in dieser Konstellation hätten die GmbH-Gesellschafter kein Interesse an der Realisierung des Anspruchs nach § 73 Abs. 3 GmbHG, so dass der dort gewollte Gläubigerschutz nicht gewährleitet sei. Der mögliche Zugriff des Gläubigers auf diesen Anspruch sei ungeeignet, denn er setze die Nachtragsliquidation der im Register gelöschten Gesellschaft voraus. Die Voraussetzungen seines Anspruchs und das Bestehen von Vermögen der GmbH in Gestalt wiederum des Anspruchs gegen den Liquidator müsse der Gläubiger in dem registerrechtlichen Verfahren zur Anordnung der Nachtragsliquidation darlegen und glaubhaft machen. Erst dann könne er den Anspruch gegen die GmbH titulieren und danach wiederum einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss bezüglich des Anspruchs aus § 73 Abs. 3 GmbHG nach den §§ 829, 835 ZPO erwirken. Anschließend habe er den Prozess gegen den Liquidator zu führen. Dieses „Schutzdefizit“ stehe dem Gläubigerschutz von AktG und GmbHG entgegen. Der Gesetzgeber habe den vorgesehenen Direktanspruch in dem Gesetzentwurf von 1972 bzw. 1973 aber nicht aufgegeben, sondern angesichts anderer „vordringliche[r] Vorhaben“ zurückgestellt. Daher sei (heute) eine planwidrige Regelungslücke gegeben.

Der BGH schließt die Regelungslücke durch Heranziehung der § 268 Abs. 2 i.V.m. § 93 Abs. 5 AktG. Die Interessenlage in den Fällen des § 73 Abs. 3 GmbHG sei mit derjenigen des § 93 Abs. 5 AktG vergleichbar. Danach können die Gläubiger der Gesellschaft den Ersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand – nach § 93 Abs. 2 AktG – selbst geltend machen, wenn von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangt werden kann. Über § 268 Abs. 2 AktG gilt das auch für die pflichtwidrige Verteilung des Vermögens der GmbH durch die Abwickler. Diese Vereinfachung der Durchsetzung von Gläubigeransprüchen gelte für GmbH und AG gleichermaßen; der Abwickler der AG sei dem Liquidator der GmbH in der Liquidation vergleichbar. Die im Aktienrecht anders als im Recht der GmbH darüber hinaus bestehende Möglichkeit der Gläubiger, Rückgewähransprüche gegen die Aktionäre nach den §§ 264 Abs. 2, § 62 Abs. 1 AktG zu verfolgen, spreche gegen die hier angewandte Analogie nicht. Die Bejahung des Direktanspruchs gegen den Liquidator im Wege der Analogie zum Aktienrecht bedeute keine einseitige Risikoabwälzung auf den Liquidator; dieser sei nämlich zur Risikotragung nach § 73 Abs. 3 GmbHG (ohnehin) verpflichtet. Die nur mittelbare Durchsetzung des Anspruchs durch die Gläubiger – wie oben umschrieben – sei lediglich ein „umständlichere[r] und unsichere[r] Weg“ der Anspruchsrealisierung.

Die Voraussetzungen der §§ 268 Abs. 2, 93 Abs. 5 AktG analog, § 73 Abs. 3 GmbHG seien zu bejahen. Die Klägerin sei auch aktivlegitimiert. Der Direktanspruch sei nicht etwa subsidiär. Der Anspruch der Gesellschaft sei entgegen Literaturstimmen nicht vorrangig zu betrachten. Der Gläubiger müsse der GmbH zudem nicht etwa eine Frist setzen, um ihren Anspruch durchzusetzen. All diese Erwägungen in der Literatur erforderten eine Nachtragsliquidation, die der BGH als umständlich vermeiden will. Der Gläubiger könne daher auch Zahlung an sich verlangen und nicht etwa an die GmbH.

Der Senat vertieft hier nochmals sein zentrales Anliegen der „vereinfachten Gläubigerbefriedigung“ durch Heraushebung des Direktanspruchs. Die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der § 73 Abs. 3 GmbHG, § 93 Abs. 5 AktG bejaht der BGH mit wenigen Argumenten unter Hinweis auf die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils. Eine gröbliche Pflichtverletzung, die § 93 Abs. 5 AktG fordert, sei nicht erforderlich, denn hier liege der Sondertatbestand des § 93 Abs. 3 Nr. 5 AktG vor, der unabhängig vom Grad des Verschuldens sei. Da dem Beklagten der Anspruch der Klägerin vor der Verteilung des Vermögens bekannt gewesen sei und das Vermögen der Gesellschaft ausgereicht habe, um die Forderung des Gläubigers zu befriedigen, habe er der Klägerin den gesamten Betrag von. 2.246,95 Euro zu zahlen.

In diesem Zusammenhang folgende Anmerkung:

Der Schutz der Gläubiger ist bei Konstellationen wie hier nur durch einen Direktanspruch effizient gewährleistet. Dieser ist im relevant, wenn das Vermögen der Liquidationsgesellschaft ausgereicht hätte, alle Gläubiger zu befriedigen. Ansonsten hätte nämlich der Geschäftsführer bzw. Liquidator Insolvenz anmelden müssen (§ 15a InsO), denn der Eintritt in die freiwillige Liquidation aufgrund Beschlusses der Gesellschafterversammlung der GmbH ändert nur den Gesellschaftszweck (in denjenigen der Abwicklung), befreit aber der Natur der Sache nach nicht von der Insolvenzantragspflicht bei Eintritt eines Insolvenzgrundes während der Liquidation. Sogar einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 18 InsO) könnte der Liquidator stellen. In dieser Lage einer GmbH spielt § 73 Abs. 3 GmbHG keine Rolle mehr, vielmehr steht in der Praxis das Haftungsrisiko des Geschäftsführers nach § 64 GmbHG bzw. nach § 15a InsO im Vordergrund.

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