BFH, Urteil vom 1.7.2014 – IX R 47/13, zur Frage:
In welchem Jahr ist ein Auflösungsverlust zu berücksichtigen, wenn nach dem förmlichen Abschluss der Abwicklung eine Nachtragsliquidation durchgeführt wird?
Sachverhalt:
Der Kläger war Alleingesellschafter einer nach Insolvenz seit 2001 im Handelsregister gelöschten GmbH. 2005 wurde auf Betreiben von Gläubigern der GmbH eine Nachtragsliquidation angeordnet. Nach deren Abschluss 2005 erstellte die GmbH eine Schlussbilanz. Der Kläger begehrte danach, den gesamten aus der Auflösung der GmbH erzielten Verlust bei der Einkommensteuer 2005 zu berücksichtigen. Das FA lehnte dies ab. Die Klage hatte Erfolg (Hessisches FG, Urteil vom 4.6.2013, 2 K 2475/11, Haufe-Index 6449809). Das FG argumentierte mit der zivilrechtlichen Kontinuität der Gesellschaft im Fall einer Nachtragsliquidation.
Leitsätze:
1. Maßgebender Realisierungszeitpunkt des nach § 17 Abs. 4 EStG zu berücksichtigenden Auflösungsverlusts ist auch im Fall einer Nachtragsliquidation derjenige, in dem mit einer Auskehrung von Gesellschaftsvermögen an den Gesellschafter und mit einer wesentlichen Änderung der durch die Beteiligung veranlassten Aufwendungen nicht mehr zu rechnen ist.
2. Fallen im Rahmen der Nachtragsliquidation Aufwendungen an, die nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung i. S. d. § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG sind, handelt es sich um ein nachträgliches Ereignis, das die Höhe des Auflösungsgewinns oder ‐verlusts beeinflusst und nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf den Zeitpunkt der Auflösung zurückzubeziehen ist.
Normenkette § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1, § 17 EStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, § 273 Abs. 4 AktG
Entscheidung:
1. Bei der Ermittlung des Gewinns (oder Verlusts) aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft oder aus der Auflösung der Gesellschaft ist eine Stichtagsbewertung vorzunehmen auf den Zeitpunkt der Entstehung des Gewinns oder Verlusts. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem bei einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung der Gewinn oder Verlust realisiert wäre.
2. Das bedeutet u. a., dass alle am jeweiligen Bewertungsstichtag bereits vorhersehbaren Risiken zu berücksichtigen sind. Es sind deshalb auch Sachverhalte zu berücksichtigen, die die GmbH am Bilanzstichtag zur Bildung einer Rückstellung verpflichten würden. Mit anderen Worten: Der Verlust muss zwar im Wesentlichen, aber noch nicht in voller Höhe endgültig feststehen.
3. Ein Auflösungsverlust ist nach der Rechtsprechung bereits in dem Jahr zu erfassen, in dem mit einer wesentlichen Änderung des bereits (im Wesentlichen) feststehenden Verlusts nicht mehr zu rechnen ist, spätestens jedoch im Zeitpunkt des förmlichen Abschlusses der Liquidation, also mit der Eintragung im Handelsregister, dass die Gesellschaft gelöscht ist.
4. Entstehen nach diesem Zeitpunkt noch Aufwendungen, die sich auf die Höhe des Auflösungsverlusts auswirken (nachträgliche Anschaffungskosten), handelt es sich um ein rückwirkendes Ereignis (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 AO). Der für die Berücksichtigung des Verlusts maßgebliche Zeitpunkt wird dadurch nicht beeinflusst.
5. Nichts anderes gilt, wenn nach dem förmlichen Abschluss der Liquidation eine Nachtragsliquidation durchgeführt wird. Der für die Berücksichtigung des Auflösungsverlusts maßgebliche Zeitpunkt (regelmäßig der Abschluss der Liquidation, nicht der Nachtragsliquidation) wird dadurch nicht beeinflusst. Unerheblich ist, dass die Gesellschaft im Fall einer Nachtragsliquidation handelsrechtlich als fortbestehend angesehen wird. Auf den Zeitpunkt der zivilrechtlichen Beendigung der Gesellschaft kommt es nicht an.