Berufsmusiker in Kulturorchestern: Kein Anspruch auf Abschluss eines Tarifvertrages

Anwalt

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner ist bei der IHK Berlin als Nachtragsliquidator registriert

Die etwa 8500 Staats- und Kommunal-Orchestermusiker in Deutschland werden künftig nicht die Tariferhöhungen des Öffentlichen Dienstes erhalten: Das Bundesarbeitsgericht hat diesem Quasi-Automatismus einen Riegel vorgeschoben. Gerald Mertens von der Deutschen Orchestervereinigung prophezeit in einem Gespräch, das Karin Fischer am 25.09.2013 für den Deutschlandfunk führte, harte Tarifauseinandersetzungen.

Welche Gerichtsentscheidung liegt dieser Aussage zu Grunde?

In Salzburg sitzen hoch bezahlte Spitzenmusiker wie die Wiener oder Berliner Philharmoniker im Orchestergraben der Felsenreitschule. Orchestermusiker sind, abhängig vom Instrument, den Berufsjahren oder der Größe des Orchesters auch in den 131 deutschen Kulturorchestern nicht schlecht gestellt – allerdings haben die meisten von ihnen seit Januar 2010 keine Gehaltserhöhung erhalten. Damals hatte der Bühnenverein, also die Arbeitgeberseite, die quasi automatische Koppelung des Tarifvertrags für Orchestermusiker an den des Öffentlichen Dienstes ausgesetzt. Die Deutsche Orchestervereinigung, also die Musiker-Gewerkschaft, ging vor Gericht, um gegen diese Abkoppelung zu klagen.

Zu dieser Frage erging das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.9.2013 zum Aktenzeichen 4 AZR 173/12 (hier als pdf):

Melissa Nelsons Kündigungsgrund „zu sexy“ im Lichte des Deutschen Arbeitsrechts

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

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Ueber den Fall hatten auch deutsche Medien berichtet, so z.B. der Spiegel:

Zehn Jahre lang hatte Melissa Nelson als Zahnarzthelferin für James Knight gearbeitet. Nelson sei „die beste Assistentin“ gewesen, die er je hatte, sagte Knight, doch schließlich kündigte er ihr. Als Grund gab er laut den Medienberichten an: Nelson sei einfach „unwiderstehlich“ (= zu sexy). Dies bedrohe sein Geschäft, seine Ehe und das Wohl seiner Familie.

Nelson hatte sich offenbar bei der Arbeit nie etwas zuschulden kommen lassen. Sie war jedoch zumindest in den Augen ihres Arbeitgebers sehr attraktiv (= zu sexy). Nach neun Jahren hatte Knight offenbar das erste Mal gemerkt, dass ihn die angeblich hautenge Kleidung seiner Assistentin von der Arbeit ablenke. Er schrieb ihr anzügliche SMS-Botschaften: „Wenn sich meine Hose wölbt, wissen Sie, dass Ihre Klamotten zu knapp sind.“ Knight gab an, dass er Melissa nicht mehr länger widerstehen könne und eine Affäre begonnen hätte. Offenbar hatten der Arzt und seine Assistentin recht offene Gespräche geführt: Als sich Nelson über ein unregelmäßiges Sexleben mit ihrem Mann beschwerte, beschrieb Knight seine Gefühlslage so: „Das ist, als habe man einen Lamborghini in der Garage stehen, den man nicht fahren darf.“ Der Arzt machte die Assistentin zudem wiederholt mit unpassenden Bemerkungen darauf aufmerksam, dass ihm ihre Kleidung zu freizügig sei.

Zu sexuellen Kontakten war es jedoch nie gekommen. Die junge Frau und verheiratete Mutter klagte gegen ihre Entlassung, insbesondere wegen sexueller Diskriminierung.

Schon in der ersten Instanz hatte das Gericht zugunsten des Zahnarztes entschieden. Jetzt hat das Oberste Gericht von Iowa diese Entscheidung bestätigt: Führungspersonen dürfen Angestellte entlassen, die ihnen als Bedrohung der eigenen Ehe erscheinen, schrieb das Gericht in der Urteilsbegründung. Weiter hieß es: bei der Entlassung spielten die Gefühle des Arztes, nicht das Geschlecht der Gehilfin die Hauptrolle.

Das Gericht stellt damit auf den Arbeitgeber ab und nicht auf eine Eigenschaft der Arbeitnehmerin. Damit hat es die heikle Frage, ob Frau Nelson im Rahmen des Arbeitsverhältnisses tatsächlich als „zu attraktiv“ oder „zu sexy“ zu bewerten sei, geschickt umgangen. Insbesondere ist das Gericht damit auch einer Beweisaufnahme aus dem Weg gegangen, in der es sich nach freier Überzeugung (§ 286 ZPO) ein Bild über Mass, Umfang und Gefährlichkeit von Frau Nelsons weiblicher Attraktivität hätte machen müssen.

Ob eine Kündigung mit dieser Begründung nach Deutschem Recht rechtmäßig wäre, untersuche ich im Folgenden.

1. Kündigungsgründe
Nach § 1 des Kündigungsschuzgesetz ist eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. In dieser Vorschrift hat man den Ausgangspunkt für die Beurteilung des Falles nach Deutschem Arbeitsrecht gefunden.
In den Schilderungen des Falles gibt es Hinweise für einen personenbedingten Kündigungsgrund (zu attraktiv) und für einen verhaltensbedingten Kuendigungsgrund (Tragen zu freizuegiger Kleidung).

2. Personenbedingte Kündigung
Eine personenbedingte Kündigung kommt im Allgemeinen in Frage, wenn ein Mitarbeiter aufgrund von charakterlichen, fachlichen, körperlichen oder gesundheitlichen Gründen, die nicht in seinem Einflussbereich liegen, für eine Tätigkeit nicht (mehr) geeignet erscheint. Voraussetzung ist jeweils, dass durch diese persönlichen Mängel die betrieblichen Abläufe erheblich gestört und dem Arbeitgeber deshalb nicht zugemutet werden können.
Vordergründig scheint man den Fall von Frau Melissa Nelson unter diese Definition subsummieren zu können. Es liegen körperliche Gruende vor, die betrieblichen Abläufe erheblich stören und dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden können.
Ich gehe davon aus, dass ein Deutsches Gericht dem Arbeitgeber bei einer Gesamtabwägung aller in Betracht zu ziehenden Umstände eine derartige störung der Betriebsabläufe zumuten wird.

3. Verhaltensbedingte Kündigung
Unternehmen können im Rahmen ihres Weisungsrechts den Mitarbeitern vorschreiben, welche Kleidung sie während der Arbeit zu tragen haben. Weigert sich ein Mitarbeiter beharrlich die entsprechende Kleidung zu tragen, so liegt hierin eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann.
Das Arbeitsgericht Cottbus hat entschieden (Urteil vom 20.03.2012, Az.: 6 Ca 1554/11):
Das Weisungsrecht nach § 106 GewO gibt dem Arbeitgeber das einseitige Recht, die im Arbeitsvertrag für gewöhnlich nur abstrakt geregelte Leistungspflicht nach Zeit, Ort und Art der Leistung näher zu konkretisieren. Dabei hat er unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die gegenseitigen Interessen untereinander abzuwägen. Zwar werde im vorliegenden Fall dem Arbeitnehmer die Möglichkeit genommen, durch eine individuelle Kleidung seinem Erscheinungsbild eine persönliche Note zu geben. Diese wird aber hier vom betrieblichen Interesse an einem einheitlichen Erscheinungsbild aller Mitarbeiter überlagert und war somit auch vom Weisungsrecht der Beklagten gedeckt und angemessen.

4. Abmahnung
Nach deutschem Recht ist in der Regel (mindestens) eine Abmahnung erfoderlich. Hier stellt sich die Frage, ob eine SMS mit dem Inhalt „Wenn sich meine Hose wölbt, wissen Sie, dass Ihre Klamotten zu knapp sind“ den Anfoderungen die die Deutschen Gerichte an Abmahnungen stellen, genügt.

Keine besonderen Voraussetzungen werden an die Form der Abmahnung gestellt. Diese kann daher sowohl muendlich, als auch schriftlich ausgesprochen werden. Zwar ist derzeit kein Urteil ersichtlich, das eine in Form einer SMS verfassten Abmahnung behandelt. Das Bundesarbeitsgericht urteilt jedoch (mittlerweile in ständiger Rechtsprechung, vgl. BAG, Urteil vom 19. Februar 2009 – 2 AZR 603/07, m.w.N.), der Arbeitnehmer könne auch einer formell unwirksamen Abmahnung entnehmen, dass der Arbeitgeber sein Verhalten nicht billigt. Er bleibe daher trotz Formfehlers der Abmahnung abgemahnt. Demnach duerte die Versendung der Abmahnung als SMS nach deutschem Recht kein Problem darstellen.