Geschäftsführerhaftung verschärft

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Der Bundesgerichtshof verschärfte einmal mehr die Anforderungen an den Geschäftsführer einer GmbH mit der Folge, dass das Haftungsrisiko erhöht wurde.

Im Leitsatz der Entscheidung BGH, Urteil vom 19. 6. 2012 – II ZR 243/11 heisst es lapidar: „Der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung muss für eine Organisation sorgen, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht.“ Das ist nichts neues, sondern lediglich eine Bestätigung der Rechtsprechung aus BGH, Urteil vom 20. Februar 1995 – II ZR 9/94. Die Haftungsverschärfung findet sich jedoch im Detail:

Im zugrunde liegenden Fall war der Beklagte alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Über deren Vermögen wurde auf Eigenantrag am 16. November 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Er verlangte von dem Beklagten gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. Zahlungen ersetzt, die zwischen Januar und Oktober 2004 zu Lasten des Gesellschaftsvermögens geleistet wurden. Der Kläger behauptete, bereits seit Ende 2003 sei die GmbH zahlungsunfähig und überschuldet gewesen.

Das Kammergericht Berlin urteilte noch zu Gunsten des Geschäftsführers. In der Begründung führte es aus:

Es könne nicht festgestellt werden, dass die Schuldnerin zum 31. Dezember 2003 zahlungsunfähig gewesen sei. … Ob die Schuldnerin zum 31. Dezember 2003 überschuldet gewesen sei, könne offen bleiben, da der Beklagte zu diesem Zeitpunkt – unabhängig von seinen kaufmännischen Kenntnissen – eine etwaige Überschuldung nicht habe erkennen können. Anzeichen einer Krise hätten zum Jahreswechsel 2003/2004 nicht vorgelegen. Aus betriebswirtschaftlichen Auswertungen habe eine Überschuldung nicht entnommen werden können, da dort grundsätzlich keine Rückstellungen für künftige Verbindlichkeiten ausgewiesen würden. Frühestens Anfang Mai 2004, nach dem Zugang des Bescheids der Berufsgenossenschaft, habe für den Beklagten Anlass bestanden, die Vermögenslage der Schuldnerin näher zu überprüfen. Dass die Schuldnerin zu diesem späteren Zeitpunkt (noch) überschuldet gewesen sei, habe der Kläger aber nicht dargetan.

Dies liess der BGH nicht genügen. Er merkte dazu an:

„Mit rechtsfehlerhafter Begründung ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, die an den Entlastungsbeweis des Geschäftsführers zu stellenden Anforderungen seien im Streitfall erfüllt. Ob der Geschäftsführer seiner Pflicht zur laufenden Beobachtung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens und näheren Überprüfung im Falle krisenhafter Anzeichen hinreichend nachgekommen ist, kann nur unter umfassender Berücksichtigung der für die Gesellschaft wirtschaftlich relevanten Umstände beurteilt werden, die dem Geschäftsführer bekannt waren oder bekannt sein mussten. Dem Geschäftsführer, der die Vermutung schuldhaften Verhaltens zu widerlegen hat, obliegt es, die Gründe vorzutragen und zu erläutern, die ihn gehindert haben, eine tatsächlich bestehende Insolvenzreife der Gesellschaft zu erkennen. Bei der Bewertung dieses Vorbringens ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung für eine Organisation sorgen muss, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht (BGH, Urteil vom 20. Februar 1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560, 561; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 43 Rn. 23; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 35 Rn. 33). Gemessen hieran sind die Erwägungen unzureichend, mit denen das Berufungsgericht angenommen hat, die – mögliche – Überschuldung der Schuldnerin Ende 2003 sei für den Beklagten nicht erkennbar gewesen. … Die Würdigung des Berufungsgerichts erfasst nicht alle für die Erkennbarkeit einer Überschuldung im Streitfall wesentlichen Gesichtspunkte. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Bilanz zum 31. Dezember 2002 sei ausgeglichen gewesen und die Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 2002 habe einen Gewinn von knapp 160. 000 € ausgewiesen. Liquidität sei ausweislich der Bilanz zum 31. Dezember 2003 in einer Höhe von circa 300. 000 € und damit ausreichend vorhanden gewesen. Die Schuldnerin habe ihre laufenden Zahlungen nicht einstellen oder beschränken müssen. Sie habe unstreitig fortlaufend weitere Einnahmen erzielt, die ihr in dieser Zeit eine Erfüllung der im laufenden Geschäftsbetrieb entstehenden Verbindlichkeiten innerhalb der gesetzten Zahlungsziele ermöglicht hätten. Diese Feststellungen betreffen einerseits die bilanzielle Situation der Schuldnerin ein Jahr vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt und andererseits die Frage der Zahlungsfähigkeit. Sie schließen eine mögliche Überschuldung zum 31. Dezember 2003 und deren Erkennbarkeit für den Beklagten nicht aus. Offen bleibt insbesondere, ob (nicht sofort fällige) Verbindlichkeiten in beträchtlicher Größenordnung aufgelaufen waren und der Beklagte dies hätte bemerken müssen. Weiter zieht das Berufungsgericht zwar in Betracht, dass die – mögliche – Überschuldung für den Beklagten mit Zugang des Bescheids der Berufsgenossenschaft vom 30. April 2004 erkennbar geworden sei, befasst sich aber nicht mit der naheliegenden Frage, ob der Beklagte mit dem Bestehen und der ungefähren Höhe der aus den Jahren 2002 und 2003 herrührenden Beitragsforderungen nicht schon zum Jahreswechsel 2003/2004 rechnen musste. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine Erkennbarkeit der (möglichen) Überschuldung aufgrund der betriebswirtschaftlichen Auswertungen nicht deshalb von vornherein auszuschließen, weil dort grundsätzlich keine Rückstellungen für künftige Verbindlichkeiten ausgewiesen werden. Denn derartige Rückstellungen müssen, worauf die Revision zu Recht hinweist, dem mit der gebotenen Sorgfalt handelnden Geschäftsführer ohnehin bekannt sein. Es obliegt dem Beklagten, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass sich aus dem Inhalt der betriebswirtschaftlichen Auswertungen in Verbindung mit dem Kenntnisstand, der von ihm als Geschäftsführer außerdem zu erwarten war, keine Anhaltspunkte für eine Überschuldung ergaben.“

Mit diesem (und weiteren) Hinweisen hat der BGH den Fall zur Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen, auf dass dieses der Klage stattgebe.