Haftung des faktischen Geschäftsführers

Wer ist Geschäftsführer einer GmbH?

Nach den Vorschriften des GmbH-Gesetzes wird eine GmbH grundsätzlich durch einen oder mehrere Geschäftsführer geleitet und vertreten.

§ 6 Geschäftsführer

(1) Die Gesellschaft muß einen oder mehrere Geschäftsführer haben.

§ 35 Vertretung der Gesellschaft

(1) 1Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten.

Die formale Stellung als Organ der Gesellschaft erlangen die Geschäftsführer durch einen entsprechenden Beschluss der Gesellschafterversammlung und ihr Einverständnis zur Amtsübernahme.

§ 46 Aufgabenkreis der Gesellschafter

Der Bestimmung der Gesellschafter unterliegen:

5.         die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführern sowie die Entlastung derselben;
 6.         die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung;

Wer ist faktischer Geschäftsführer einer GmbH?

Die Figur des faktischen Geschäftsführers hingegen wurde von den Gerichten entwickelt und ist gesetzlich nicht geregelt. Die Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführung können daher nicht aus dem Gesetz abgeleitet werden und sind z.T. auch noch nicht abschließend durch die Gerichte bestimmt worden. Anders als bei förmlichen Geschäftsführern kommt es für die Stellung eines faktischen Geschäftsführers nicht auf eindeutige formale Handlungen (insb. die Fassung eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses) oder den Willen des Betroffenen an. Entscheidend ist vielmehr das tatsächliche Gesamtbild der Tätigkeiten im konkreten Einzelfall.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist entscheidend, ob eine Gesamtschau aller Umstände ergibt, dass die betreffende Person in maßgeblichem Umfang Geschäftsführungsfunktionen übernommen, d.h. die „Geschicke der Gesellschaft maßgeblich in die Hand genommen“ hat. Dabei muss der faktische Geschäftsführer den oder die bestellten Geschäftsführer nicht völlig aus ihrer Position verdrängen. Maßgeblich ist vielmehr, wer die für den Fortbestand des Unternehmens entscheidenden Maßnahmen trifft. Für die Praxis ist jedoch mit diesen generischen Umschreibungen nicht viel gewonnen.

Von großer Bedeutung ist jedoch, dass zur Begründung einer faktischen Geschäftsführung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest ein Handeln im Außenverhältnis erforderlich ist. Weiter konkretisieren lassen sich die Umschreibungen des BGH, wenn man sich einen Kriterienkatalog des Kernbereichs der Geschäftsführung vergegenwärtigt. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat das Vorliegen einer faktischen Geschäftsführung insofern bejaht, wenn mindestens sechs der nachstehenden acht Kriterien erfüllt sind:

  • Bestimmung der Unternehmenspolitik,
  • Unternehmensorganisation,
  • Einstellung von Mitarbeitern,
  • Gestaltung der Geschäftsbeziehung zu Vertragspartnern,
  • Verhandlung mit Kreditgebern,
  • eine dem Geschäftsführergehalt entsprechende Vergütung,
  • Entscheidung in Steuerangelegenheiten,
  • Steuerung der Buchhaltung.

Zwar haben die (zivilrechtlichen) Senate des BGH diese Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht übernommen. Die Kriterien können gleichwohl eine Orientierungshilfe bieten.

Wie haftet der faktischer Geschäftsführer im Vergleich zum leitenden Angestellten?

Der faktische Geschäftsführer haftet ebenso wie der förmliche Geschäftsführer, insbesondere gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG. Dies hat jüngst das OLG München noch einmal unterstrichen. Die Entscheidung des Gerichts sollte als Warnung für faktische Geschäftsführer dienen, denn die Organhaftung ist ein scharfes Schwert:

So hat der (faktische) Geschäftsführer bereits bei leicht fahrlässiger Pflichtverletzung den gesamten der GmbH hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Einem Angestellten käme hingegen bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit eine Haftungsprivilegierung zugute: Nach ständiger Rechtsprechung gilt für Arbeitnehmer ein dreistufiges Haftungsmodell, wonach den Arbeitnehmer im Falle leichter und leichtester Fahrlässigkeit keine Haftung trifft, der Schaden im Falle mittlerer Fahrlässigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geteilt wird und der Arbeitnehmer nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz den gesamten Schaden zu tragen hat. Zwar ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, ob auch leitende Angestellte in den Genuss der Grundsätze zur Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung kommen. Es spricht jedoch viel dafür, dies mit der herrschenden Meinung zu bejahen.

Zudem greifen bei einem faktischen Geschäftsführer Sonderregelungen im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast: Demnach muss die Gesellschaft lediglich den Eintritt eines Schadens und dessen Verursachung durch ein Verhalten des faktischen Geschäftsführers, das sich als möglicherweise pflichtwidrig darstellt, darlegen und beweisen. Ist dies der Fall, trifft den faktischen Geschäftsführer die Beweislast, dass entweder das schadensauslösende Verhalten nicht pflichtwidrig war oder ihm zumindest kein Schuldvorwurf hinsichtlich der Pflichtverletzung zu machen ist. Auch diesbezüglich wäre Herr Weber als leitender Angestellter bessergestellt, da ihn in diesem Fall nicht die Beweislast treffen würde.

Diese Regelung kann in der Praxis ausschlaggebend sein, denn manche Vorgänge lassen sich im Nachhinein – eine Untersuchung findet oftmals erst mehrere Jahre nach den zugrunde liegenden Geschehnissen statt – nicht mehr vollständig aufklären. GmbH

Genießt ein faktischer Geschäftsführer Versicherungsschutz?

Vor diesem Hintergrund ist (leitenden) Angestellten einer GmbH, die geschäftsführungsnahe Aufgaben übernehmen, zu erhöhter Wachsamkeit zu raten. Bestehen Zweifel, ob die übernommenen Tätigkeiten die Stellung als faktischer Geschäftsführer begründen, sollte unbedingt ein gesellschaftsrechtlich versierter Rechtsanwalt zu Rate gezogen werden. Auch im Hinblick auf den versicherungsrechtlichen Schutz ist Vorsicht angebracht. Zwar sichern GmbHs ihre Geschäftsführer zumeist über D&O-Versicherungen ab. Allerdings bestehen bei den im Markt verbreitenden Policen erhebliche Unterschiede dahingehend, ob auch faktische Geschäftsführer zum versicherten Personenkreises gehören. Hier sollte unbedingt auf eine Nennung des „faktischen Geschäftsführers“ im D&O-Versicherungsschutzes geachtet werden.

Die Entscheidung des OLG München vom 23.01.2019 (Az. 7 U 2282/17)

Verletzt der faktische Geschäftsführer einer GmbH seine Pflichten gegenüber dieser GmbH, haftet er dieser gegenüber für die entstandenen Schäden (§ 43 Abs. 2 GmbHG).

Der Hintergrund

Die Klägerin ist eine GmbH, die zwar eine Geschäftsführerin bestellt hatte, faktisch jedoch von ihrem – inzwischen verstorbenen – Prokuristen geführt wurde. Dieser Prokurist überwies mehrfach Beträge in fünfstelliger Höhe vom Geschäftskonto der Klägerin an sich selbst bzw. eine Gesellschaft, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer er war; einen rechtlichen Grund für diese Zahlungen gab es nicht. Nachdem der Prokurist verstorben war, nahm die Klägerin unter anderem seine Erben auf Rückzahlung dieser Beträge bzw. Schadensersatz in dieser Höhe in Anspruch. Sie begründete dies damit, dass der Prokurist ihr faktischer Geschäftsführer gewesen sei; er (bzw. seine Erben als seine Rechtsnachfolger) hafte deswegen nach der für Geschäftsführer geltenden Regelung des § 43 Abs. 2 GmbHG für die durch die Überweisungen vom Geschäftskonto der Klägerin entstandenen Schäden. In der ersten Instanz blieb die Klägerin mit dieser Argumentation erfolglos; in der Berufungsinstanz gab das OLG München jedoch der Klage statt.

Das OLG München bestätigte die Auffassung der Klägerin, dass der Prokurist faktischer Geschäftsführer der Klägerin gewesen sei und deswegen für die bei der Klägerin entstandenen Schäden (in Form der Überweisungen an sich selbst und die in seinem Alleineigentum stehende Gesellschaft) nach der Vorschrift des § 43 Abs. 2 GmbHG hafte. Er (bzw. nach seinem Tod seine Erben) sei daher zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe der zu Unrecht vom Geschäftskonto der Klägerin überwiesenen Beträge verpflichtet.

Haftungsrisiken für faktische Geschäftsführer

Der Geschäftsführer einer GmbH ist zur ordentlichen Unternehmensleitung verpflichtet und haftet – wenn er diesen Pflichten schuldhaft nicht gerecht wird – gegenüber der GmbH für alle daraus entstandenen Schäden (§ 43 Abs. 2 GmbH). Dies gilt – das ruft das Urteil des OLG München erneut in Erinnerung – ebenso, wenn jemand zwar nicht formell zum Geschäftsführer einer GmbH bestellt wurde, sich aber wie ein solcher verhält (sog. faktischer Geschäftsführer).

Obgleich die Rechtsauffassung des OLG München zur Haftung des faktischen Geschäftsführers in der Vergangenheit bereits mehrfach von der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wurde, ist die Klarstellung durch das OLG München erfreulich. Denn die Argumentation des OLG München erleichtert es erheblich, bei Pflichtverletzungen Schadensansprüche gegen einen faktischen Geschäftsführer geltend zu machen. Ohne eine analoge Anwendung des § 43 Abs. 2 GmbHG würden nämlich Schadensersatz- oder Rückzahlungsansprüche gegen einen faktischen Geschäftsführer häufig nur bestehen, wenn mit diesem auch ein Anstellungsvertrag abgeschlossen wurde oder er selbst die schädigenden Zahlungen vereinnahmt hat (was die Möglichkeit, einen faktischen Geschäftsführer in Anspruch zu nehmen, wesentlich einschränken würde).

Für Personen, die entscheidend in die Unternehmensleitung einer GmbH eingebunden sind, ohne deren (organschaftlich bestellter) Geschäftsführer zu sein, ist das Urteil des OLG München umgekehrt ein guter Anlass für die Überprüfung der eigenen Tätigkeit auf etwaige Haftungsrisiken. Besonders diejenigen, die mit Wissen der Gesellschafter im laufenden Geschäft der GmbH nach außen hin wie ein Geschäftsführer auftreten, sollten dabei prüfen, ob sie im Einzelfall als faktischer Geschäftsführer anzusehen sind und sich daraus für sie bislang unbekannte Haftungsrisiken ergeben (neben der Haftung für Schäden aufgrund von Pflichtverletzungen haften faktische Geschäftsführer nämlich beispielsweise auch für Zahlungen der GmbH nach Eintritt der Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 GmbHG).

Geschäftsführerhaftung: Ersatz pflichtwidriger Zahlungen nach § 15b Abs. 4 S. 1 InsO

Die gesetzlichen Grundlagen für die Ersatzpflicht des Geschäftsführers der GmbH bzw. des Vorstands der AG lauten:

§ 15b Abs. 1 InsO:

„Die nach § 15a Absatz 1 Satz 1 antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person dürfen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der juristischen Person keine Zahlungen mehr für diese vornehmen. Dies gilt nicht für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.“

§ 15b Abs. 2 S. 1 InsO:

„Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, gelten vorbehaltlich des Absatzes 3 als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.“

§ 15b Abs. 3 InsO:

Ist der nach § 15a Absatz 1 Satz 1 und 2 für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitpunkt verstrichen und hat der Antragspflichtige keinen Antrag gestellt, sind Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.

§ 15b Abs. 4 S. 1 InsO:

Werden entgegen Absatz 1 Zahlungen geleistet, sind die Antragspflichtigen der juristischen Person zur Erstattung verpflichtet.

Das Kammergericht hat in einem Urteil die Anwendungen dieser Vorschrift (zum damals gültigen § 64 GmbHG a.F.) durchexerziert. Durch diese Entscheidung wird deutlich, in welchem Ausmaß die Geschäftsführer und Vorstände

KG, Urt. v. 28.04.2022  – 2 U 39/18, Rn. 42 – 50:

Hiernach sind die Zahlungen der Schuldnerin aus dem Zeitraum vom 14.03.2013 bis zum 11.04.2013 pflichtwidrig gewesen. Um welche Zahlungen es dabei geht, hat der Kläger auf Hinweis des Landgerichts durch die Angabe von Datum, Empfänger und Höhe hinreichend konkretisiert. Insgesamt werden im Ausgangspunkt Zahlungen von dem Konto der Schuldnerin bei der S. in Höhe von EUR 1,810 Mio. und Zahlungen von dem Konto bei der C. im Umfang von EUR 3,778 Mio. erstattet verlangt. Durch die in dieser Weise nachgewiesenen Zahlungsvorgänge ist Liquidität an die jeweiligen Zahlungsempfänger abgeflossen, welche nicht als Insolvenzmasse zur Verfügung steht. Den Zahlungen steht auch nicht insoweit ein Massezufluss gegenüber, als diese an den Vertriebsdienstleister, an Energielieferanten oder an Verteilungsnetzbetreiberin erfolgt sind. Die Ersatzpflicht des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 GmbHG a.F. entfällt zwar, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – II ZR 355/18 –, BGHZ 227, 221, Rn. 33). Auf die durch die fraglichen Zahlungen und die damit verbundene Weiterführung der Geschäftstätigkeit begründeten Vergütungsforderungen gegen Kunden kann jedoch mangels unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs nicht abgestellt werden (dazu a.). Soweit durch die Zahlungen dagegen Dienstleistungen beschafft worden oder Netze offengehalten worden sind, waren diese Gegenleistungen der Zahlungsempfänger für die Gläubiger nicht verwertbar (dazu b.). Dass zwischenzeitlich Anfechtungserlöse den Zahlungsabfluss ausgeglichen hätten, ist nicht zu erkennen (dazu c.).
a) Die durch die Weiterführung des Geschäftsbetriebs erwirtschafteten Vergütungsforderungen gegen Kunden stellen keinen berücksichtigungsfähigen Massezufluss dar. Denn tatsächlich hatten die meisten der von der Schuldnerin bedienten Kunden bereits erhebliche Vorauszahlungen geleistet, so dass durch die Fortführung des Geschäftsbetriebes zumindest bei zutreffender Berechnung der Vorauszahlungen allenfalls in einem Bruchteil tatsächlich ein wirtschaftlicher Mehrwert für die Schuldnerin erwirtschaftet werden konnte.
Nichts anderes ergibt sich, soweit die Fortführung des Geschäftsbetriebs tatsächliche Voraussetzung dafür war, weiter Neukunden für erstmalige Vorauszahlungen und Bestandskunden für erneute Vorauszahlungen gewinnen zu können. Denn mit der Hereinnahme weiterer Vorauszahlungen wurde die Schuldnerin zugleich mit der Verpflichtung belastet, entsprechende Lieferungen zu erbringen. Doch selbst wenn man dies außer Betracht ließe, ist nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich der Masseschmälerung zu berücksichtigen. Vielmehr ist ein unmittelbarer wirtschaftlicher, nicht notwendig zeitlicher Zusammenhang mit der Zahlung erforderlich, damit der Massezufluss der an und für sich erstattungspflichtigen Masseschmälerung zugeordnet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 – II ZR 146/20 –, Rn. 8; BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13 –, BGHZ 203, 218, Rn. 10; Noack/Servatius/Haas/Haas, 23. Aufl. 2022, GmbHG § 64 Rn. 159). Maßgeblich ist, ob ein wirtschaftlich zuzuordnender, in die Masse gelangender Gegenwert festgestellt werden kann, wobei kein zeitlicher Zusammenhang erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 04. Juli 2017 – II ZR 319/15 –, Rn. 16, juris).
Nach diesem Maßstab hat der Beklagte aber keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den fraglichen Zahlungen an den Vertriebsdienstleister, die Energielieferanten und die Verteilungsnetzbetreiber und den Vergütungszahlungen der Kunden aufzuzeigen vermocht. Denn bei den Vergütungszahlungen der Kunden handelt es sich nur um einen indirekten Folgeeffekt der Vertragsanbahnung oder Vertragserfüllung durch die Schuldnerin. Die Zahlungen der belieferten Kunden oder auch nur die gegen sie begründeten Zahlungsansprüche stammen auch nicht aus der Sphäre der entsprechenden Zahlungsempfänger, was ebenfalls Voraussetzung für die Annahme eines unmittelbaren Zusammenhanges ist (vgl. Noack/Servatius/Haas/Haas, 23. Aufl. 2022, GmbHG § 64 Rn. 162 mwN., 163).
b) Soweit dagegen die fraglichen Dienstleister für die geleistete Vergütung ihrerseits Leistungen an die Schuldnerin erbracht haben, stellen diese Leistungen für sich genommen noch keinen berücksichtigungsfähigen Massezufluss dar. Um die Masseverkürzung ausgleichen zu können, muss die in die Masse gelangende Gegenleistung nämlich zumindest für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein (vgl. BGH, Urteil vom 04. Juli 2017 – II ZR 319/15 –, Rn. 18, juris; Henssler/Strohn/Arnold, 5. Aufl. 2021, GmbHG § 64 Rn. 20a). Dies lässt sich nicht feststellen:

  • Die Leistungen des Vertriebsdienstleisters waren nicht für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet, weil Dienstleistungen nicht zu einer Erhöhung der Aktivmasse führen und damit kein Ausgleich des Masseabflusses sind (vgl. BGH, Urteil vom 04. Juli 2017 – II ZR 319/15 –, Rn. 18, juris, am Ende).
  • Auch die von den Energielieferanten zur Verfügung gestellte elektrische Energie war nicht zur Verwertung durch die Gläubiger geeignet. Denn die bezogene Energie wurde sogleich an die Kunden geliefert. Entsprechende zu bilanzierende Vorräte bestanden nach der Natur des Wirtschaftsgutes nicht, so dass kein Vermögensgegenstand feststellbar wäre, welchen der Insolvenzverwalter durch Verkauf zugunsten der Masse hätte verwerten können.
  • Ebenso verhält es sich im Ergebnis hinsichtlich der Leistungen der Verteilungsnetzbetreiber. Insoweit kommt ein Masseausgleich ohnehin nur in dem Umfang in Betracht, als diese zum fraglichen Zeitpunkt bereits auf Vorkasse der Schuldnerin bestanden. In welchem Umfang dieses der Fall war, ist jedoch weder dargetan noch ersichtlich. Im Übrigen handelt es sich auch bei den Leistungen der Verteilungsnetzbetreiber um ein flüchtiges Wirtschaftsgut, das einer Verwertung im Insolvenzverfahren schon wegen der zeitlichen Bindung und der Unmöglichkeit nachholender Zurverfügungstellung nicht zugänglich ist. Die von der Berufungserwiderung aufgemachte Parallele zwischen dem Offenhalten einer Kreditlinie und dem Offenhalten eines Verteilernetzes besteht dagegen offensichtlich nicht. Der durch die weitergehende Belieferung entstehende Vergütungsanspruch gegen Kunden steht auch nicht in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Zahlung an die Verteilungsnetzbetreiber und stammt auch nicht aus deren Sphäre.

c) Ohne Erfolg verweisen die Streithelfer schließlich auf den Umstand, dass kein Erstattungsanspruch gegen das Organ mehr besteht, soweit es dem Insolvenzverwalter gelingt, durch die Insolvenzanfechtung eine Rückerstattung der Zahlung zu erreichen und so die Masseschmälerung wettzumachen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13 –, BGHZ 203, 218, Rn. 9, mwN.). Denn ein solches „Wettmachen“ behaupten der Beklagte und die Streithelfenden ohne tatsächliche Grundlage. Der Kläger hat seinerseits bereits mit der Replik (dort Seiten 47 – 48 = Bd. II Bl. 49 – 50 d.A.) ausgeführt, dass er die Gesamtsumme der geleisteten Zahlungen in einem einzigen Rechtsstreit gegen einen Prozessgegner einklagen könne, anstatt eine Vielzahl von Anfechtungsprozessen gegen verschiedene Zahlungsempfänger führen zu müssen, weil die Anfechtungsmöglichkeit die Erstattungspflicht nicht berühre. Damit hat sich der Kläger dahingehend erklärt, dass Anfechtungsprozesse nicht geführt worden seien. Insoweit kann sich der Insolvenzverwalter nach Zweckmäßigkeitserwägungen richten. Der aus § 64 GmbHG a.F. auf Ersatz in Anspruch genommene Geschäftsführer ist nicht berechtigt, die Erfüllung dieser Verpflichtung gegenüber der Masse mit der Begründung zu verweigern, der Insolvenzverwalter habe es unterlassen, aussichtsreiche Anfechtungsrechte gegen Zahlungsempfänger geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1995 – II ZR 277/94 –, BGHZ 131, 325, LS).

Haftung des Geschäftsführers bei Zahlung nach Insolvenzreife

Anwalt

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner ist bei der IHK Berlin als Nachtragsliquidator registriert

Die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH ist ein weites Feld. Eine Haftung trifft den Geschäftsführer in allererster Linie im Falle der Insolvenz der GmbH. Insolvenzverwalter begründen mittlerweile häufig die Insolvenzeröffnung einer ansonsten vermögenslosen GmbH mit Rückgriffsansprüchen gegen den Geschäftsführer.

Haftungsträchtig ist insbesondere jede Zahlung nach Insolvenzreife. Wird eine GmbH zahlungsunfähig oder überschuldet, darf der Geschäftsführer grundsätzlich keine Zahlungen mehr für die Gesellschaft leisten. Nach § 64 S. 1 GmbHG ist der Geschäftsführer zum Ersatz derartiger Zahlungen gegenüber dem Insolvenzverwalter verpflichtet.

Ein Problem tritt jedoch auf, wenn der Geschäftsführer zu der Zahlung (auch nach Eintritt der Insolvenzreife) verpflichtet ist. Hier spricht man von einer Pflichtenkollision des Geschäftsführers.

Eine Ausnahme von dieser Haftung besteht für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind. Ob Zahlungen an die Sozialversicherungsträger hierunter fallen, war früher umstritten. Der Geschäftsführer stand immer in der Gefahr, bei Abführung der Sozialversicherungsbeiträge gegenüber dem Insolvenzverwalter zu haften und bei Nichtzahlung dem Sozialversicherungsträger für die Arbeitnehmeranteile zu haften und sich insoweit auch strafbar zu machen.  In  zwei Urteilen vom 14.05.2007 und 02.06.2008 wies der BGH darauf hin, dass ein Geschäftsführer, der nach Insolvenzreife seiner strafbewehrten Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträge nachkommt, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns handelt und insoweit nicht persönlich gegenüber dem Insolvenzverwalter haftet.

Der Geschäftsführer muss jedoch unterscheiden: Strafbewehrt ist nur die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmeranteile. Führt der Geschäftsführer einer insolventen GmbH auch die Arbeitgeberanteile ab, kann er insoweit vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen werden. Führt er nur einen Betrag in Höhe der Arbeitnehmeranteile ab, gibt aber nicht an, dass die Zahlung nur auf die Arbeitnehmeranteile erfolgt, wird die Zahlung kraft Gesetzes je zur Hälfte auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile verrechnet. In Höhe des nicht gezahlten Arbeitnehmeranteils haftet der Geschäftsführer dann gegenüber dem Sozialversicherungsträger, in Höhe der Zahlung auf die Arbeitgeberanteile dem Insolvenzverwalter.

Der vom BGH aufgestellte Grundsatz, dass ein Geschäftsführer einer insolventen GmbH bei einer Zahlung dann mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns handelt, wenn er sich bei Unterlassen der Zahlung strafbar machen würde, hat auch in anderen Fällen eine günstige Konsequenz für den Geschäftsführer. In einem vom BGH am 05.05.2008 entschiedenen Fall hatte eine Schwestergesellschaft an eine insolvente GmbH einen Betrag mit der Vereinbarung gezahlt, dass die GmbH den Betrag in bestimmter Weise weiterleiten sollte. Dies erfolgte auch, danach stellte der Geschäftsführer für die GmbH selbst einen Insolvenzantrag. Der BGH verneinte hier eine Haftung gegenüber dem Insolvenzverwalter mit der Begründung, dass sich der Geschäftsführer bei entgegen der Absprache nicht erfolgter Weiterleitung der erhaltenen Beträge gegenüber der Schwestergesellschaft einer Untreue strafbar gemacht hätte. Wenn aber der Geschäftsführer einer insolventen GmbH eine Zahlung leistet, um einer eigenen Strafbarkeit zu entgehen, sei diese Zahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu vereinbaren.

Haftung des Geschäftsführers für Zahlung von Umsatz- und Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge nach Insolvenzreife

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Der Geschäftsführer einer GmbH haftet nicht, wenn er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung rückständige Umsatz- und Lohnsteuer an das Finanzamt und rückständige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle zahlt. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am 25. Januar 2011 (AZ: II ZR 196/09).

Nach § 64 GmbHG sind GmbH-Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die sie nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung (Insolvenzreife) veranlasst haben, es sei denn, dass die Zahlungen auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind. Im vorliegenden Fall wurde im Januar 2006 das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH eröffnet. Der Insolvenzverwalter verlangte von deren ehemaligem Geschäftsführer Ersatz zweier Zahlungen, die dieser im Oktober 2005 zulasten des Gesellschaftsvermögens getätigt hatte. Hierbei handelte es sich um die Begleichung rückständiger Umsatz- und Lohnsteuer an das Finanzamt sowie rückständiger Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle. Der Insolvenzverwalter begründete seine Forderung damit, dass die GmbH zum Zeitpunkt der Zahlungen bereits überschuldet gewesen sei.

Hier hat der BGH entschieden, dass der Geschäftsführer der Gesellschaft nicht für die getätigten Zahlungen haftet, da diese mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind. Wenn der Geschäftsführer einer GmbH (auch nach Eintritt der Insolvenzreife) fällige Umsatzsteuer und Umsatzsteuervorauszahlungen nicht an das Finanzamt abführt, begeht er eine mit Geldbuße bedrohte Ordnungswidrigkeit nach § 26b UStG oder § 380 AO und setzt sich außerdem der persönlichen Haftung gemäß §§ 69, 34 Abs. 1 AO aus. Bereits in 2007 hat der BGH (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007, AZ: II ZR 48/06) entschieden, dass, bedingt durch den bestehenden Interessenkonflikt des Geschäftsführers zwischen der Befolgung der Massesicherungspflicht gemäß § 64 Satz 1 GmbHG und der steuerlichen Abführungspflicht, die Zahlung von Umsatz ? und Lohnsteuer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbart ist. Diese Rechtsprechung bezieht sich nicht nur auf laufende, erst nach Eintritt der Insolvenzreife fällig werdende Steuerforderungen, sondern auch auf Steuerrückstände. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann es dem Geschäftsführer nicht zugemutet werden, wegen des Zahlungsverbots aus § 64 GmbHG auf die Möglichkeit zu verzichten, die Voraussetzungen für eine Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens bzw. für die Verhängung einer geringeren Geldbuße sowie für die Befreiung von der persönlichen Haftung für die Steuerschuld zu schaffen. Wie der BGH in seinem Urteil vom 14. Mai 2007 ebenfalls entschieden hat, handelt der Geschäftsführer einer GmbH auch mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns und haftet deshalb nicht nach § 64 GmbHG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife fällige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die zuständige Einzugsstelle zahlt. Mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung kann ihm auch insoweit nicht zugemutet werden, diese Zahlung im Interesse einer gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger im nachfolgenden Insolvenzverfahren zu unterlassen und sich dadurch wegen Untreue nach § 266 Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar und auch schadensersatzpflichtig zu machen. Insoweit gelten die gleichen Erwägungen wie zu den Steuerforderungen. Das gilt auch für die Frage, ob von der Privilegierung nur die laufenden, erst nach Eintritt der Insolvenzreife fällg werdenden Arbeitnehmerbeiträge oder auch die Beitragsrückstände erfasst werden.

Es widerspricht allerdings der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns im Sinne § 64 Satz 2 GmbHG, wenn der Geschäftsführer nach Eintritt der Insolvenzreife Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle leistet. Denn nur das Vorenthalten von Arbeitnehmeranteilen ist in § 266 StGB unter Strafe gestellt und begründet eine Schadensersatzpflicht. Hinsichtlich der Arbeitgeberanteile fehlt es deshalb an einem Interessenkonflikt und damit an einem Grund, den Anwendungsbereich des Zahlungsverbots aus § 64 GmbHG einzuschränken.

BGH-Entscheidung zur Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers

Anwalt

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

In einem aktuellen Urteil hatte der BGH erstmals Gelegenheit, mehrere zum Teil umstrittene Auslegungsfragen des 2008 im Rahmen des MoMiG neu geschaffenen Haftungstatbestands des § 64 S. 3 GmbHG zu entscheiden (Urteil vom 09.10.2012 – II ZR 298/11). Das Urteil schafft Klarheit hinsichtlich der für die Praxis bedeutsamen Frage, inwieweit fällige Forderungen des Gesellschafters bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind.

I. Die neue Insolvenzverursachungshaftung
Mit § 64 S. 3 GmbHG hat der Gesetzgeber durch das MoMiG eine neue Haftung des Geschäftsführers für den Fall eingeführt, dass Zahlungen aus dem Vermögen der GmbH an den Gesellschafter zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten (so genannte Insolvenzverursachungshaftung). Die Vorschrift dient dem Gläubigerschutz und flankiert § 30 GmbH. Im Vergleich zum seit jeher bestehenden Zahlungsverbot nach § 64 S. 1 GmbHG bestehen Besonderheiten: Einerseits setzt die Haftung zeitlich bereits vor Eintritt der materiellen Insolvenz ein. Andererseits die bschränkt sich die Haftung auf die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit. Die Verursachung einer Überschuldung ist für die Haftung nach S. 3 ohne Bedeutung.

Der Tatbestand der Insolvenzverursachungshaftung verlangt eine dem Geschäftsführer zurechenbare Zahlung (im Grundsatz identisch mit dem für das Zahlungsverbot nach S. 1 geltenden Zahlungsbegriff bzw. dort entwickelten Zurechnungsregeln) an den Gesellschafter, die die Zahlungsunfähigkeit der GmbH verursacht (Kausalität). Die bilanzielle Auswirkung der Zahlung ist insoweit ohne Bedeutung. Zudem verlangt die Haftung schuldhaftes, also mindestens fahrlässiges Verhalten. Rechtsfolge ist die Pflicht zur Erstattung der geleisteten Zahlungen.

II. Sachverhalt
Der Kläger und seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau gewährten der beklagten GmbH im August 1995 ein bis spätestens Ende 2005 zurückzuzahlendes Darlehen in Höhe von ca. 179.000 Euro. Die geschiedene Ehefrau ist alleinige Gesellschafterin und alleinige Geschäftsführerin der Beklagten. Der Kläger verlangt Hinterlegung des Darlehensbetrages nebst Zinsen zu seinen und zugunsten seiner geschiedenen Frau. Die beklagte GmbH verweigert die Rückzahlung des Darlehens insbesondere mit der Begründung, die Auszahlung würde zu ihrer Zahlungsunfähigkeit führen, sodass sie sie gemäß § 64 S. 3 GmbHG verweigern könne.

Das LG gab der Klage statt. Das OLG Koblenz wies sie ab. Es war der Auffassung, dass die Hinterlegung im vorliegenden Fall gegen § 64 S. 3 GmbH verstoßen würde, da sie die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen würde und die GmbH nicht mehr in der Lage wäre, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen.

III. Entscheidung des BGH
Der BGH hob das Berufungsurteil auf die Revision des Klägers hin auf und verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht, weil er den Anwendungsbereich der Insolvenzverursachungshaftung bisher nicht als eröffnet ansah. Nur bei noch nicht eingetretener Zahlungsunfähigkeit komme § 64 S. 3 GmbHG überhaupt in Betracht. Das Berufungsgericht müsse noch feststellen, ob es erst durch die Rückzahlung des Gesellschafterdarlehens zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft käme.

1. Keine Haftung für die bloße Vertiefung der Insolvenz
§ 64 S. 3 GmbHG zielt auf Zahlungen an den Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft „führen mussten“. Die hier verlangte Kausalität stellt eines der schwierigsten Tatbestandsmerkmale der neuen Geschäftsführerhaftung dar. Anerkannt ist insoweit, dass eine Haftung erst bzw. nur dann eingreift, wenn es tatsächlich zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gekommen ist und deshalb ausscheidet, wenn nach zunächst herbeigeführter Zahlungsunfähigkeit selbige wieder beseitigt wird, ohne dass es zur Insolvenzeröffnung oder Abweisung mangels Masse gekommen ist. Überwiegend wird verlangt, dass eine adäquate Kausalkette vorliegt, die ohne das Hinzutreten weiterer Kausalbeiträge zeitnah und zwangsläufig zur Zahlungsunfähigkeit führt. Zu diesem Punkt liefert die aktuelle Entscheidung nur wenig Neues.

Allerdings äußert sich der BGH zu der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine Haftung nach § 64 S. 3 GmbH überhaupt ausgelöst werden kann. Die Entscheidung stellt klar, dass nur die Verursachung der Zahlungsunfähigkeit, nicht aber auch eine Vertiefung einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit zur Haftung wegen Insolvenzverursachungshaftung führen kann. Ist die GmbH bereits zahlungsunfähig, kommt allein eine Haftung wegen Verstoßes gegen das Zahlungsverbot nach § 64 S. 1 GmbH in Betracht. Wegen der Beschränkung auf den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit in S. 3 kann es allerdings zu einer Überschneidung mit S. 1 (Anspruchskonkurrenz) in den Fällen kommen, in den bereits Überschuldung eingetreten ist und die Zahlung danach auch zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führt.

2. Forderungen des Gesellschafters sind bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen
Eine weitere Streitfrage, hinsichtlich derer sich der BGH nun klar positioniert hat, betrifft die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen des § 64 S. 3 GmbHG und die sich insoweit stellende Frage, ob fällige und durchsetzbare Forderungen des Gesellschafters hierbei zu berücksichtigen sind.

a) Liquiditätsprognose und Begriff der Zahlungsunfähigkeit
Zur (kontinuierlichen) Aufstellung der Liquiditätsbilanz bzw. Erstellung einer Liquiditätsprognose ist der Geschäftsführer wegen der Insolvenzverursachungshaftung de facto (und im Übrigen bereits aufgrund seiner allgemeinen Organpflichten) verpflichtet, da er nur so eine Feststellung über die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft treffen und, bei positiver Prognose, seine Haftung für eine Zahlung an den Gesellschafter vermeiden kann. Was die Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 64 S. 3 GmbHG betrifft, sieht der BGH keine Besonderheiten im Vergleich zu § 17 II 1 InsO, insbesondere keine Anhaltspunkte für eine Herausrechnung von Forderungen des Gesellschafters. Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet dies, dass Zahlungsunfähigkeit (und nicht mehr eine nur rechtlich unerhebliche Zahlungsstockung) regelmäßig dann vorliegt, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von 10% oder mehr besteht, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.

b) Volle Berücksichtigung von Gesellschafterforderungen
Von diesem einheitlichen Begriff der Zahlungsunfähigkeit ausgehend lehnt es der BGH konsequenterweise ab, fällige Gesellschafterforderungen im Rahmen der Zahlungsunfähigkeit für Zwecke des § 64 S. 3 GmbHG auszublenden. Dies wird zwar unter Verweis auf den sonst nicht bzw. nur sehr eingeschränkt bestehenden Anwendungsbereich von einer Reihe von Vertretern befürwortet. Der BGH weist darauf hin, dass dies genau der gesetzgeberischen Absicht entspricht und Schutzlücken nicht entstehen, weil der Geschäftsführer bei – unter Berücksichtigung der Gesellschafterforderung ermittelter – eingetretener Zahlungsunfähigkeit bereits nach S. 1 einem Zahlungsverbot unterliegt und für nach diesem Zeitpunkt geleistete Zahlungen haftet. Besteht unter Berücksichtigung fälliger Forderungen des Gesellschafters bereits eine Liquiditätslücke von 10% oder mehr, bedeutet dies, dass eine Zahlung wegen bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit keine Haftung nach § 64 S. 3 GmbHG zur Folge haben kann. Anders wäre es nur, wenn eine bestehende Liquiditätslücke von unter 10% den Schwellenwert erst durch die Zahlung an den Gesellschafter erreicht bzw. überschreitet oder es mangels ernsthaften Einforderns oder sonst bereits an einer fälligen Forderung mangelt.

3. Leistungsverweigerungsrecht
Auch zur umstrittenen Frage des Bestehens eines Leistungsverweigerungsrechts nimmt der BGH eindeutig Stellung: Ergibt die Prüfung der Liquidität der Gesellschaft (Solvenzprognose), dass die Zahlung an den Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zur Folge hätte, hat die Gesellschaft bzw. der Geschäftsführer nicht nur die Pflicht, die Zahlung zu unterlassen, sondern zugleich das Recht, ihre Vornahme zu verweigern. Entsprechende Weisungen der Gesellschafter sind nichtig und müssen bzw. dürfen nicht befolgt werden.

IV. Fazit
Die Entscheidung schafft für den praktisch relevanten Bereich der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen sowie dem Recht des Geschäftsführers zur Verweigerung solcher und ähnlicher Zahlungen an den Gesellschafter eine willkommene Klarheit. Sorgen um eine ausufernde Haftung des Geschäftsführers durch den neuen Tatbestand werden gedämpft. Der BGH weist zu Recht darauf hin, dass der MoMiG-Gesetzgeber ausdrücklich keinen umfassenden neuen Haftungstatbestand im Vorfeld der Insolvenz, sondern eine punktuelle Ergänzung der Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters beabsichtigte. Es sollte gerade für die von den Kapitalschutzregeln bzw. der allgemeinen Geschäftsführerhaftung gemäß § 43 II GmbHG nicht erfassten Fälle einer „Ausplünderung“ der Gesellschaft effektiver Gläubigerschutz sichergestellt werden.

Die umfassende Kenntnis der aktuellen Liquiditätslage der Gesellschaft ist für den Geschäftsführer von enormer Bedeutung. Nur, wenn er sich jederzeit Kenntnis hierüber verschaffen kann, kann er der Pflicht nachkommen, vor einer Zahlung an den Gesellschafter eine Solvenzprognose – d.h. die Analyse der aktuellen und zukünftigen (im relevanten Prognosezeitraum vorhandenen) Liquidität – vornehmen und damit, wenn die Prognose auch unter Berücksichtigung der Zahlung an den Gesellschafter die fortbestehende Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ergibt, seine Haftung ausschließen.

Aber auch unabhängig von Fällen der Zahlung an den Gesellschafter muss der Geschäftsführer im Hinblick auf seine Insolvenzantragspflicht die Vermögenssituation permanent beobachten und dies, wie der BGH jüngst klargestellt hat, notfalls unter kurzfristiger Hinzuziehung externer Berater sicherstellen.

Die Entscheidung stärkt den Geschäftsführer in der Auseinandersetzung mit dem bzw. den Gesellschaftern den Rücken, da sie klarstellt, dass der Geschäftsführer Vermögenstransfers an die Gesellschafter, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen, nicht umsetzen muss. Genauso wenig kann er sich aber zur Haftungsvermeidung auf eine entsprechende Weisung bzw. einen Beschluss der Gesellschafter stützen.

Finanzgericht Köln: Geschäftsführerhaftung für Umsatzsteuerschulden einer GmbH in der Insolvenz

Wenn das das Finanzamt im Insolvenzfall einer GmbH mit Steuerforderungen ausfällt, nimmt es regelmäßig den Geschäftsführer in die Haftung. Unter welchen Voraussetzungen das möglich ist, wie schnell die Finanzgerichte den Verschuldensmaßstab der groben Fahrlässigkeit anlegen und inwieweit der „Grundsatz der anteiligen Tilgung“ anzuwenden ist, zeigt eine Entscheidung des Finanzgerichts Köln vom 17.06.2009 (FG Köln, 11 K 3017/05).

Sachverhalt:
Ein GmbH-Geschäftsführer hatte in den Umsatzsteuervoranmeldungen eine zu geringe Umsatzsteuerschuld ausgewiesen. Die später eingereichten berichtigten Anmeldungen führten zu erheblich höheren Umsatzsteuerfestsetzungen, mit denen das Finanzamt sodann im Zuge der Insolvenz der GmbH ausfiel. Es nahm den Geschäftsführer mit einer geschätzten Ausfallquote von 70% des Gesamtausfalls in Haftung. Hiergegen wendete sich der Geschäftsführer mit seiner nur teilweise erfolgreichen Klage.

Entscheidung:
Grundlage der Geschäftsführerhaftung sind § 69 i.V.m. § 34 AO

Gemäß § 69 i.V.m. § 34 AO haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.

Gesetzlicher Vertreter einer GmbH ist ihr Geschäftsführer, § 34 Abs. 1 AO i.V.m. § 35 GmbHG. Er muss für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH Sorge tragen und deshalb Steuererklärungen rechtzeitig und wahrheitsgemäß abgeben (§ 18 Abs. 1, 3 UStG). Aus der Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 AO ergibt sich nach der Finanzrechtsprechung außerdem die Verpflichtung, die fälligen Steuern aus den verwalteten Mitteln zu bezahlen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft auch dazu verpflichtet, bereits vor Fälligkeit von Steuerforderungen Vorsorge für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu treffen.

Grob fahrlässige Pflichtverletzung:
Nach Auffassung des FG hatte der Kläger diese Pflichten verletzt. In den Umsatzsteuervoranmeldungen wurde eine zu geringe Umsatzsteuerschuld ausgewiesen. Die in der Folge eingereichten berichtigten Anmeldungen führten zu einer erheblich höheren Steuerfestsetzung. Dies lasse den Schluss zu, dass die zunächst abgegebenen Voranmeldungen nicht sorgfältig und vollständig erstellt worden sind. Außerdem habe der Kläger damit die ihm als Geschäftsführer obliegenden Pflichten zur rechtzeitigen Zahlung der von der GmbH geschuldeten Umsatzsteuerbeträge nicht erfüllt.

Dies sei auch zumindest in grob fahrlässiger Weise und damit schuldhaft geschehen. Denn nach der Rechtsprechung des BFH indiziert die in der Nichtentrichtung von Steuern liegende Pflichtwidrigkeit den gegenüber dem Geschäftsführer zu erhebenden Schuldvorwurf.

Auch der Einwand, die Zahlungsschwierigkeiten seien maßgeblich durch Hinhaltetaktik eigener Schuldner verursacht worden, änderte am Schuldvorwurf nichts. Denn es bei Zahlungsschwierigkeiten zu den Pflichten einer GmbH, ihre Steuerschulden in gleicher Weise zu tilgen wie die übrigen Schulden der Gesellschaft. Ein Geschäftsführer, der hiergegen verstößt, handelt in der Regel, d.h., soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die die Annahme einer leichteren Form des Verschuldens rechtfertigen, zumindest grob fahrlässig.

Haftungsbegrenzender Grundsatz der anteiligen Tilgung:
Zu prüfen ist allerdings stets, ob zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem Eintritt des durch die Nichtentrichtung der geschuldeten Abgabenbeträge entstandenen Vermögensschadens ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Maßstab ist u.a. bei der Haftung für Umsatzsteuerschulden der haftungsbegrenzende Grundsatz der anteiligen Tilgung.

Dieser besagt, dass der gesetzliche Vertreter nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden kann, in dem er bei der Tilgung der Gesamtverbindlichkeiten das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat. Denn verlangt wird von einem GmbH-Geschäftsführer, dass er in Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu einer in etwa anteiligen Befriedigung des Finanzamts und der übrigen Gläubiger verwendet. Der Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt entfällt, wenn mangels ausreichender Zahlungsmittel auch bei fristgerechter Abgabe der Steueranmeldung die geschuldete Steuer nicht hätte an das Finanzamt abgeführt werden können.

Die Feststellungslast für eine nicht anteilige, sondern nachteilige Befriedigung des Finanzamts trägt dieses. Der Haftungsschuldner hat jedoch eine gesteigerte Mitwirkungspflicht. Im Rahmen dieser Mitwirkungspflicht besteht die Verpflichtung, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum zu erteilen. Unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen hat das Finanzamt die Haftungsquote zu ermitteln oder – soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann – im Schätzungswege gem. § 162 AO die Quote festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt. Eine ungerechtfertigte Weigerung des Haftungsschuldners, in seinem Wissensbereich liegende Auskünfte zu erteilen, kann das Finanzamt bzw. das Finanzgericht zu einer unter Umständen für den Geschäftsführer nachteiligen Schätzung der Haftungssumme berechtigen.

Vor diesem Hintergrund schätzte das Finanzgericht im Streitfall nach Auswertung diversen Zahlenmaterial eine für den Geschäftsführer etwas günstigere Quote. An der grundsätzlichen Haftung aber ändert das nichts.

Geschäftsführerhaftung: Der Geschäftsführer einer GmbH haftet auch bei fehlender Kenntnis und fehlender Fähigkeit zur Prüfung der Insolvenzreife

Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.06.2012 – II ZR 243/11 –

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Der Entscheidung zur Geschäftsführerhaftung lag folgender Fall zugrunde: Der Beklagte war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen auf eigenen Antrag das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Er verlangte von dem Beklagten gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. Zahlungen ersetzt, die nach Insolvenzreife zu Lasten des Gesellschaftsvermögens geleistet wurden.

Der BGH entschied zu Gunsten des Klägers. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG in der bis 31. Oktober 2008 gültigen Fassung (jetzt: § 64 S. 1 GmbHG) ist der Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung geleistet wurden. Diese Voraussetzungen lagen nach Auffassung des Gerichtes vor. Zum Zeitpunkt der Zahlungen bestand unter dem Gesichtspunkt der Überschuldung Insolvenzreife.

Die Haftung des Geschäftsführers setzt Verschulden vor. Dabei genügt einfache Fahrlässigkeit. Maßstab ist nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes.

Hierzu stellt der BGH im genannten Urteil fest:

Auf die individuellen Fähigkeiten kommt es nicht an. Ebenso entschuldigt ihn nicht eine mangelnde Sachkenntnis. Zu Lasten eines Geschäftsführers, der in der in § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. beschriebenen Lage der Gesellschaft Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögens leistet, wird vermutet, dass er dabei schuldhaft, nämlich nicht mit der von einem Vertretungsorgan einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu fordernden Sorgfalt gehandelt hat (vgl. BGH, Urt. v. 27.03.2012 – II ZR 171/10). Als Ausgangspunkt reicht die Erkennbarkeit der Insolvenzreife aus, wobei die Erkennbarkeit als Teil des Verschuldens vermutet wird (vgl. BGH, Urt. v. 29.09.1999 – II ZR 273/98 = BGHZ 143, 184).

Der Geschäftsführer hat sich über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft stets zu vergewissern. Er handelt fahrlässig, wenn er sich nicht rechtzeitig die erforderlichen Informationen und die Kenntnisse verschafft, die er für die Prüfung benötigt, ob er pflichtgemäß Insolvenzantrag stellen muss. Sofern er nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse verfügt, muss er sich gegebenenfalls fachkundig beraten lassen. Es ist weiterhin zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer für eine Organisation sorgen muss, die ihm zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht (vgl. BGH, Urt. v. 20.02.1995 – II ZR 9/94).

Haftung des Geschäftsführers für Umsatzsteuer

Der Geschäftsführer einer GmbH haftet für die Umsatzsteuerschulden, die vor Stellung des Antrags auf Insolvenz entstanden sind, auch persönlich. Nach § 69 S.1 AO gilt: „Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.“

Die Haftung beschränkt sich bei der Umsatzsteuer auf eine Quote. Für die Berechnung der Tilgungsquote werden die im gesamten Haftungszeitraum bestehenden Gesamtverbindlichkeiten den auf diese Verbindlichkeiten geleistete Zahlungen gegenübergestellt, ohne dass es auf die einzelnen Fälligkeits- und Zahlungszeiträume ankommt. Hieraus ergibt sich eine Tilgungsquote für den Gesamtzeitraum. Mit dieser Tilgungsquote haftet der Geschäftsführer persönlich für die Umsatzsteuer.

Der Geschäftsführer ist verpflichtet, bezogen auf den Haftungszeitraum, eine Tilgungsquote zu ermitteln. Diese Verpflichtung erstreckt sich nicht auf jede einzelne Zahlung. Vielmehr muss die Quote einmal errechnet werden und kann dann bei jeder Zahlung zugrunde gelegt werden. Lediglich wenn eine Änderung des Sachverhaltes, insbesondere der zur Verfügung stehenden Mittel, eintritt, ist die Quote neu zu ermitteln.

Der Geschäftsführer einer GmbH muss somit im Falle eines Liquiditätsengpasses sorgfältig überprüfen, wie viele liquide Mittel vorhanden sind und wie viele Verbindlichkeiten hiervon bedient werden müssen. Reichen die liquiden Mittel nicht aus, muss eine Quote gebildet werden und das Finanzamt, bezogen auf die Umsatzsteuer, in Höhe dieser Quote bedient werden.

Anderenfalls haftet der Geschäftsführer in Höhe dieser zu errechnenden Quote auf Zahlung der Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt persönlich.

In der Rechtsprechung liest sich dieser Grundsatz so (Urteil des BFH vom 27.02.2007 zum Az.: VII R 60/05):

„Nach ständiger Rechtsprechung des BFH beschränkt sich die Haftung nach § 69 Satz 1 AO dem Umfang nach auf den Betrag, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet worden ist. Die Höhe der Haftung ergibt sich daher unabhängig vom Grad des Verschuldens grundsätzlich allein aus der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den bei dem Fiskus eingetretenen Vermögensschaden. Danach ist die Haftung nach § 69 AO dem Umfang nach auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist. Stehen zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung, so bewirkt die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das FA gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat (vgl. Senatsurteil vom 1. August 2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271, m.w.N.). Rückständige Umsatzsteuer ist danach vom Geschäftsführer in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern. Ist dies nicht geschehen, so liegt im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat (= Haftungssumme). Hierzu hat das FA unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder –soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann– im Schätzungswege die Quote festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO).“

Geschäftsführerhaftung verschärft

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Der Bundesgerichtshof verschärfte einmal mehr die Anforderungen an den Geschäftsführer einer GmbH mit der Folge, dass das Haftungsrisiko erhöht wurde.

Im Leitsatz der Entscheidung BGH, Urteil vom 19. 6. 2012 – II ZR 243/11 heisst es lapidar: „Der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung muss für eine Organisation sorgen, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht.“ Das ist nichts neues, sondern lediglich eine Bestätigung der Rechtsprechung aus BGH, Urteil vom 20. Februar 1995 – II ZR 9/94. Die Haftungsverschärfung findet sich jedoch im Detail:

Im zugrunde liegenden Fall war der Beklagte alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Über deren Vermögen wurde auf Eigenantrag am 16. November 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Er verlangte von dem Beklagten gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. Zahlungen ersetzt, die zwischen Januar und Oktober 2004 zu Lasten des Gesellschaftsvermögens geleistet wurden. Der Kläger behauptete, bereits seit Ende 2003 sei die GmbH zahlungsunfähig und überschuldet gewesen.

Das Kammergericht Berlin urteilte noch zu Gunsten des Geschäftsführers. In der Begründung führte es aus:

Es könne nicht festgestellt werden, dass die Schuldnerin zum 31. Dezember 2003 zahlungsunfähig gewesen sei. … Ob die Schuldnerin zum 31. Dezember 2003 überschuldet gewesen sei, könne offen bleiben, da der Beklagte zu diesem Zeitpunkt – unabhängig von seinen kaufmännischen Kenntnissen – eine etwaige Überschuldung nicht habe erkennen können. Anzeichen einer Krise hätten zum Jahreswechsel 2003/2004 nicht vorgelegen. Aus betriebswirtschaftlichen Auswertungen habe eine Überschuldung nicht entnommen werden können, da dort grundsätzlich keine Rückstellungen für künftige Verbindlichkeiten ausgewiesen würden. Frühestens Anfang Mai 2004, nach dem Zugang des Bescheids der Berufsgenossenschaft, habe für den Beklagten Anlass bestanden, die Vermögenslage der Schuldnerin näher zu überprüfen. Dass die Schuldnerin zu diesem späteren Zeitpunkt (noch) überschuldet gewesen sei, habe der Kläger aber nicht dargetan.

Dies liess der BGH nicht genügen. Er merkte dazu an:

„Mit rechtsfehlerhafter Begründung ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, die an den Entlastungsbeweis des Geschäftsführers zu stellenden Anforderungen seien im Streitfall erfüllt. Ob der Geschäftsführer seiner Pflicht zur laufenden Beobachtung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens und näheren Überprüfung im Falle krisenhafter Anzeichen hinreichend nachgekommen ist, kann nur unter umfassender Berücksichtigung der für die Gesellschaft wirtschaftlich relevanten Umstände beurteilt werden, die dem Geschäftsführer bekannt waren oder bekannt sein mussten. Dem Geschäftsführer, der die Vermutung schuldhaften Verhaltens zu widerlegen hat, obliegt es, die Gründe vorzutragen und zu erläutern, die ihn gehindert haben, eine tatsächlich bestehende Insolvenzreife der Gesellschaft zu erkennen. Bei der Bewertung dieses Vorbringens ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung für eine Organisation sorgen muss, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht (BGH, Urteil vom 20. Februar 1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560, 561; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 43 Rn. 23; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 35 Rn. 33). Gemessen hieran sind die Erwägungen unzureichend, mit denen das Berufungsgericht angenommen hat, die – mögliche – Überschuldung der Schuldnerin Ende 2003 sei für den Beklagten nicht erkennbar gewesen. … Die Würdigung des Berufungsgerichts erfasst nicht alle für die Erkennbarkeit einer Überschuldung im Streitfall wesentlichen Gesichtspunkte. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Bilanz zum 31. Dezember 2002 sei ausgeglichen gewesen und die Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 2002 habe einen Gewinn von knapp 160. 000 € ausgewiesen. Liquidität sei ausweislich der Bilanz zum 31. Dezember 2003 in einer Höhe von circa 300. 000 € und damit ausreichend vorhanden gewesen. Die Schuldnerin habe ihre laufenden Zahlungen nicht einstellen oder beschränken müssen. Sie habe unstreitig fortlaufend weitere Einnahmen erzielt, die ihr in dieser Zeit eine Erfüllung der im laufenden Geschäftsbetrieb entstehenden Verbindlichkeiten innerhalb der gesetzten Zahlungsziele ermöglicht hätten. Diese Feststellungen betreffen einerseits die bilanzielle Situation der Schuldnerin ein Jahr vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt und andererseits die Frage der Zahlungsfähigkeit. Sie schließen eine mögliche Überschuldung zum 31. Dezember 2003 und deren Erkennbarkeit für den Beklagten nicht aus. Offen bleibt insbesondere, ob (nicht sofort fällige) Verbindlichkeiten in beträchtlicher Größenordnung aufgelaufen waren und der Beklagte dies hätte bemerken müssen. Weiter zieht das Berufungsgericht zwar in Betracht, dass die – mögliche – Überschuldung für den Beklagten mit Zugang des Bescheids der Berufsgenossenschaft vom 30. April 2004 erkennbar geworden sei, befasst sich aber nicht mit der naheliegenden Frage, ob der Beklagte mit dem Bestehen und der ungefähren Höhe der aus den Jahren 2002 und 2003 herrührenden Beitragsforderungen nicht schon zum Jahreswechsel 2003/2004 rechnen musste. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine Erkennbarkeit der (möglichen) Überschuldung aufgrund der betriebswirtschaftlichen Auswertungen nicht deshalb von vornherein auszuschließen, weil dort grundsätzlich keine Rückstellungen für künftige Verbindlichkeiten ausgewiesen werden. Denn derartige Rückstellungen müssen, worauf die Revision zu Recht hinweist, dem mit der gebotenen Sorgfalt handelnden Geschäftsführer ohnehin bekannt sein. Es obliegt dem Beklagten, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass sich aus dem Inhalt der betriebswirtschaftlichen Auswertungen in Verbindung mit dem Kenntnisstand, der von ihm als Geschäftsführer außerdem zu erwarten war, keine Anhaltspunkte für eine Überschuldung ergaben.“

Mit diesem (und weiteren) Hinweisen hat der BGH den Fall zur Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen, auf dass dieses der Klage stattgebe.