Hat ein Gläubiger eine Leistung erhalten, nachdem er einen Insolvenzantrag über das Vermögen des Schuldners gestellt oder damit gedroht hat, stellt diese Leistung nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 18.12.2003, Az. IX ZR 199/02) eine inkongruente Deckung im Sinne des § 131 InsO dar. § 131 setzt voraus, dass der Gläubiger eine Leistung erhält, die er „nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte“. Ursprünglich heißt das, dass der Gläubiger beispielsweise sein Geld vor der Fälligkeit erhält oder anstatt des geschuldeten Geldes Waren o.ä. In jedem Fall erhält der Glaeubiger etwas anderes als das, was geschuldet wurde und deswegen ist die Leistung („Deckung“) inkongruent. Die Einordnung einer Zahlung unter der Drohung des Insolvenzantrages als inkongruente Deckung iSd § 131 InsO überrascht, weil der Gläubiger ja genau das erhält, was der Schuldner ihm schuldet.
Wie kommt der BGH nun zu dieser systemwidrigen Interpretation des Begriffes „inkongruente Deckung“. Der BGH führt aus (Urteil vom 18.12.2003, Az. IX ZR 199/02):
„Ein frühzeitig gestellter Insolvenzantrag entspricht den gesetzlichen Zielen der Gläubigergleichbehandlung und einer eventuellen Sanierung des Schuldners. Daher ist die Ankündigung als solche rechtlich nicht zu beanstanden. Daraus folgt jedoch nicht, daß auf einen Insolvenzantrag hin geleistete Zahlungen als kongruente Deckungen anzusehen sind. … Den mit einem frühzeitigen Insolvenzantrag verfolgten Zielen läuft es zuwider, den Antrag zur Durchsetzung von Ansprüchen eines einzelnen Gläubigers zu benutzen. Wer den Insolvenzantrag dazu mißbraucht, erhält eine Leistung, die ihm nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung auf diesem Wege nicht zukommen soll. Die so erlangte Deckung ist deshalb inkongruent.“
Zu den gewöhnlichen Kategorien der Inkongruenz (andere Leistung als geschuldet) kommt jetzt die zwar kongruent aber nicht auf richtigen Weg erbrachte Leistung.
Dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 07.03.2013 (Az. IX ZR 216/12) lag nun ein Fall zur Entscheidung vor, in dem der BGH die Grenze zwischen einer unbedenklichen Mahnung und einer die Inkongruenz begründenden Drohung mit einem Insolvenzantrag bestimmen konnte. Der vom Insolvenzverwalter verklagte Gläubiger ließ seinen gegen den Schuldner gerichteten Zahlungsanspruch durch einen Rechtsanwalt unter Fristsetzung anmahnen. Unglücklicherweise fügte der Rechtsanwalt folgende Formulierung an:
„Sollten Sie diese Frist verstreichen lassen, bin ich beauftragt, alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, um die Forderung meines Mandanten durchzusetzen, d. h., wir werden ohne weitere Mahnung Klage erheben. Mein Mandant kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass … (die Schuldnerin) nicht in der Lage ist, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen (wofür in der Tat einiges spricht). Sollte sich dieser Verdacht erhärten und wir keinen Zahlungseingang innerhalb der vorgegebenen Frist verzeichnen können, so behalten wir uns ausdrücklich vor, Insolvenzantrag zu stellen.“
Diese Textfassung enthaelt verschiedene Reaktionsmoeglichkkeiten, Klage und Insolvenzantrag. Der Insolvenzantrag ist nicht an erster Stelle genannt und auch nur vorbehalten. Ausserdem verhielt es sich offenbar so, dass auch andere Glaeubiger von der Schuldnerin bedient wurden, unabhaengig davon, ob diese anwaltlich vertreten waren, mit einem Insolvenzantrag drohten oder nicht, so dass kaum darauf geschlossen werden konnte, dass der Vorbehalt der Insolvenzantragstellung fuer die Zahlung ursaechlich gewesen ist.
Hierzu stellte der BGH fest, die erhaltene Zahlung sei nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar. Wer den Insolvenzantrag zur Durchsetzung von Ansprüchen eines einzelnen Gläubigers missbrauche, erhalte eine Leistung, die ihm nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung auf diesem Weg nicht zustehe. Die Leistung sei auch außerhalb des Dreimonatszeitraums der Deckungsanfechtung inkongruent.
Hinsichtlich der Formulierung sei es ausreichend, wenn der Schuldner zur Zeit der Leistung aus seiner – ebenfalls objektivierten – Sicht ernsthaft damit rechnen muss, der Gläubiger werde nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist Insolvenzantrag stellen. Hierfür genügt eine Formulierung, die dies zwar nicht ausdrücklich androht, ein derart geplantes Vorgehen aber „zwischen den Zeilen“ deutlich werden lässt.
Zur fehlenden Ursaechlichkeit des Vorbehalts der Insolvenzantragstellung fuehrt der BGH im wesentlichen aus: „Ob der von dem Beklagtenvertreter durch die „zwischen den Zeilen“ angekündigte Insolvenzantragstellung ausgeübte Druck bei der Schuldnerin im Einzelfall konkret den Entschluss hervorrief, die Leistung zu bewirken, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Es genügt, dass die Androhung objektiv hierzu geeignet war.“
Damit hat der BGH die Haftung ohne Ursachenzusammenhang etabliert – aehnlich der abstrakt gefaehrlichen Straftaten. Die Haftung entsteht bereits durch Verstoss gegen das vom BGH gesetzte Verhaltensgebot („Behalte keinen Insolvenzantrag vor“) ohne dass der Schaden dadurch verursacht worden sein muss.