Die gesetzlichen Grundlagen für die Ersatzpflicht des Geschäftsführers der GmbH bzw. des Vorstands der AG lauten:
§ 15b Abs. 1 InsO:
„Die nach § 15a Absatz 1 Satz 1 antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person dürfen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der juristischen Person keine Zahlungen mehr für diese vornehmen. Dies gilt nicht für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.“
§ 15b Abs. 2 S. 1 InsO:
„Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, gelten vorbehaltlich des Absatzes 3 als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.“
§ 15b Abs. 3 InsO:
Ist der nach § 15a Absatz 1 Satz 1 und 2 für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitpunkt verstrichen und hat der Antragspflichtige keinen Antrag gestellt, sind Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.
§ 15b Abs. 4 S. 1 InsO:
Werden entgegen Absatz 1 Zahlungen geleistet, sind die Antragspflichtigen der juristischen Person zur Erstattung verpflichtet.
Das Kammergericht hat in einem Urteil die Anwendungen dieser Vorschrift (zum damals gültigen § 64 GmbHG a.F.) durchexerziert. Durch diese Entscheidung wird deutlich, in welchem Ausmaß die Geschäftsführer und Vorstände
KG, Urt. v. 28.04.2022 – 2 U 39/18, Rn. 42 – 50:
Hiernach sind die Zahlungen der Schuldnerin aus dem Zeitraum vom 14.03.2013 bis zum 11.04.2013 pflichtwidrig gewesen. Um welche Zahlungen es dabei geht, hat der Kläger auf Hinweis des Landgerichts durch die Angabe von Datum, Empfänger und Höhe hinreichend konkretisiert. Insgesamt werden im Ausgangspunkt Zahlungen von dem Konto der Schuldnerin bei der S. in Höhe von EUR 1,810 Mio. und Zahlungen von dem Konto bei der C. im Umfang von EUR 3,778 Mio. erstattet verlangt. Durch die in dieser Weise nachgewiesenen Zahlungsvorgänge ist Liquidität an die jeweiligen Zahlungsempfänger abgeflossen, welche nicht als Insolvenzmasse zur Verfügung steht. Den Zahlungen steht auch nicht insoweit ein Massezufluss gegenüber, als diese an den Vertriebsdienstleister, an Energielieferanten oder an Verteilungsnetzbetreiberin erfolgt sind. Die Ersatzpflicht des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 GmbHG a.F. entfällt zwar, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – II ZR 355/18 –, BGHZ 227, 221, Rn. 33). Auf die durch die fraglichen Zahlungen und die damit verbundene Weiterführung der Geschäftstätigkeit begründeten Vergütungsforderungen gegen Kunden kann jedoch mangels unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs nicht abgestellt werden (dazu a.). Soweit durch die Zahlungen dagegen Dienstleistungen beschafft worden oder Netze offengehalten worden sind, waren diese Gegenleistungen der Zahlungsempfänger für die Gläubiger nicht verwertbar (dazu b.). Dass zwischenzeitlich Anfechtungserlöse den Zahlungsabfluss ausgeglichen hätten, ist nicht zu erkennen (dazu c.).
a) Die durch die Weiterführung des Geschäftsbetriebs erwirtschafteten Vergütungsforderungen gegen Kunden stellen keinen berücksichtigungsfähigen Massezufluss dar. Denn tatsächlich hatten die meisten der von der Schuldnerin bedienten Kunden bereits erhebliche Vorauszahlungen geleistet, so dass durch die Fortführung des Geschäftsbetriebes zumindest bei zutreffender Berechnung der Vorauszahlungen allenfalls in einem Bruchteil tatsächlich ein wirtschaftlicher Mehrwert für die Schuldnerin erwirtschaftet werden konnte.
Nichts anderes ergibt sich, soweit die Fortführung des Geschäftsbetriebs tatsächliche Voraussetzung dafür war, weiter Neukunden für erstmalige Vorauszahlungen und Bestandskunden für erneute Vorauszahlungen gewinnen zu können. Denn mit der Hereinnahme weiterer Vorauszahlungen wurde die Schuldnerin zugleich mit der Verpflichtung belastet, entsprechende Lieferungen zu erbringen. Doch selbst wenn man dies außer Betracht ließe, ist nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich der Masseschmälerung zu berücksichtigen. Vielmehr ist ein unmittelbarer wirtschaftlicher, nicht notwendig zeitlicher Zusammenhang mit der Zahlung erforderlich, damit der Massezufluss der an und für sich erstattungspflichtigen Masseschmälerung zugeordnet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 – II ZR 146/20 –, Rn. 8; BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13 –, BGHZ 203, 218, Rn. 10; Noack/Servatius/Haas/Haas, 23. Aufl. 2022, GmbHG § 64 Rn. 159). Maßgeblich ist, ob ein wirtschaftlich zuzuordnender, in die Masse gelangender Gegenwert festgestellt werden kann, wobei kein zeitlicher Zusammenhang erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 04. Juli 2017 – II ZR 319/15 –, Rn. 16, juris).
Nach diesem Maßstab hat der Beklagte aber keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den fraglichen Zahlungen an den Vertriebsdienstleister, die Energielieferanten und die Verteilungsnetzbetreiber und den Vergütungszahlungen der Kunden aufzuzeigen vermocht. Denn bei den Vergütungszahlungen der Kunden handelt es sich nur um einen indirekten Folgeeffekt der Vertragsanbahnung oder Vertragserfüllung durch die Schuldnerin. Die Zahlungen der belieferten Kunden oder auch nur die gegen sie begründeten Zahlungsansprüche stammen auch nicht aus der Sphäre der entsprechenden Zahlungsempfänger, was ebenfalls Voraussetzung für die Annahme eines unmittelbaren Zusammenhanges ist (vgl. Noack/Servatius/Haas/Haas, 23. Aufl. 2022, GmbHG § 64 Rn. 162 mwN., 163).
b) Soweit dagegen die fraglichen Dienstleister für die geleistete Vergütung ihrerseits Leistungen an die Schuldnerin erbracht haben, stellen diese Leistungen für sich genommen noch keinen berücksichtigungsfähigen Massezufluss dar. Um die Masseverkürzung ausgleichen zu können, muss die in die Masse gelangende Gegenleistung nämlich zumindest für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein (vgl. BGH, Urteil vom 04. Juli 2017 – II ZR 319/15 –, Rn. 18, juris; Henssler/Strohn/Arnold, 5. Aufl. 2021, GmbHG § 64 Rn. 20a). Dies lässt sich nicht feststellen:
- Die Leistungen des Vertriebsdienstleisters waren nicht für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet, weil Dienstleistungen nicht zu einer Erhöhung der Aktivmasse führen und damit kein Ausgleich des Masseabflusses sind (vgl. BGH, Urteil vom 04. Juli 2017 – II ZR 319/15 –, Rn. 18, juris, am Ende).
- Auch die von den Energielieferanten zur Verfügung gestellte elektrische Energie war nicht zur Verwertung durch die Gläubiger geeignet. Denn die bezogene Energie wurde sogleich an die Kunden geliefert. Entsprechende zu bilanzierende Vorräte bestanden nach der Natur des Wirtschaftsgutes nicht, so dass kein Vermögensgegenstand feststellbar wäre, welchen der Insolvenzverwalter durch Verkauf zugunsten der Masse hätte verwerten können.
- Ebenso verhält es sich im Ergebnis hinsichtlich der Leistungen der Verteilungsnetzbetreiber. Insoweit kommt ein Masseausgleich ohnehin nur in dem Umfang in Betracht, als diese zum fraglichen Zeitpunkt bereits auf Vorkasse der Schuldnerin bestanden. In welchem Umfang dieses der Fall war, ist jedoch weder dargetan noch ersichtlich. Im Übrigen handelt es sich auch bei den Leistungen der Verteilungsnetzbetreiber um ein flüchtiges Wirtschaftsgut, das einer Verwertung im Insolvenzverfahren schon wegen der zeitlichen Bindung und der Unmöglichkeit nachholender Zurverfügungstellung nicht zugänglich ist. Die von der Berufungserwiderung aufgemachte Parallele zwischen dem Offenhalten einer Kreditlinie und dem Offenhalten eines Verteilernetzes besteht dagegen offensichtlich nicht. Der durch die weitergehende Belieferung entstehende Vergütungsanspruch gegen Kunden steht auch nicht in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Zahlung an die Verteilungsnetzbetreiber und stammt auch nicht aus deren Sphäre.
c) Ohne Erfolg verweisen die Streithelfer schließlich auf den Umstand, dass kein Erstattungsanspruch gegen das Organ mehr besteht, soweit es dem Insolvenzverwalter gelingt, durch die Insolvenzanfechtung eine Rückerstattung der Zahlung zu erreichen und so die Masseschmälerung wettzumachen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13 –, BGHZ 203, 218, Rn. 9, mwN.). Denn ein solches „Wettmachen“ behaupten der Beklagte und die Streithelfenden ohne tatsächliche Grundlage. Der Kläger hat seinerseits bereits mit der Replik (dort Seiten 47 – 48 = Bd. II Bl. 49 – 50 d.A.) ausgeführt, dass er die Gesamtsumme der geleisteten Zahlungen in einem einzigen Rechtsstreit gegen einen Prozessgegner einklagen könne, anstatt eine Vielzahl von Anfechtungsprozessen gegen verschiedene Zahlungsempfänger führen zu müssen, weil die Anfechtungsmöglichkeit die Erstattungspflicht nicht berühre. Damit hat sich der Kläger dahingehend erklärt, dass Anfechtungsprozesse nicht geführt worden seien. Insoweit kann sich der Insolvenzverwalter nach Zweckmäßigkeitserwägungen richten. Der aus § 64 GmbHG a.F. auf Ersatz in Anspruch genommene Geschäftsführer ist nicht berechtigt, die Erfüllung dieser Verpflichtung gegenüber der Masse mit der Begründung zu verweigern, der Insolvenzverwalter habe es unterlassen, aussichtsreiche Anfechtungsrechte gegen Zahlungsempfänger geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1995 – II ZR 277/94 –, BGHZ 131, 325, LS).