Wer ist Geschäftsführer einer GmbH?
Nach den Vorschriften des GmbH-Gesetzes wird eine GmbH grundsätzlich durch einen oder mehrere Geschäftsführer geleitet und vertreten.
§ 6 Geschäftsführer
(1) Die Gesellschaft muß einen oder mehrere Geschäftsführer haben.
§ 35 Vertretung der Gesellschaft
(1) 1Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten.
Die formale Stellung als Organ der Gesellschaft erlangen die Geschäftsführer durch einen entsprechenden Beschluss der Gesellschafterversammlung und ihr Einverständnis zur Amtsübernahme.
§ 46 Aufgabenkreis der Gesellschafter
Der Bestimmung der Gesellschafter unterliegen:
…
5. die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführern sowie die Entlastung derselben;
6. die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung;
…
Wer ist faktischer Geschäftsführer einer GmbH?
Die Figur des faktischen Geschäftsführers hingegen wurde von den Gerichten entwickelt und ist gesetzlich nicht geregelt. Die Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführung können daher nicht aus dem Gesetz abgeleitet werden und sind z.T. auch noch nicht abschließend durch die Gerichte bestimmt worden. Anders als bei förmlichen Geschäftsführern kommt es für die Stellung eines faktischen Geschäftsführers nicht auf eindeutige formale Handlungen (insb. die Fassung eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses) oder den Willen des Betroffenen an. Entscheidend ist vielmehr das tatsächliche Gesamtbild der Tätigkeiten im konkreten Einzelfall.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist entscheidend, ob eine Gesamtschau aller Umstände ergibt, dass die betreffende Person in maßgeblichem Umfang Geschäftsführungsfunktionen übernommen, d.h. die „Geschicke der Gesellschaft maßgeblich in die Hand genommen“ hat. Dabei muss der faktische Geschäftsführer den oder die bestellten Geschäftsführer nicht völlig aus ihrer Position verdrängen. Maßgeblich ist vielmehr, wer die für den Fortbestand des Unternehmens entscheidenden Maßnahmen trifft. Für die Praxis ist jedoch mit diesen generischen Umschreibungen nicht viel gewonnen.
Von großer Bedeutung ist jedoch, dass zur Begründung einer faktischen Geschäftsführung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest ein Handeln im Außenverhältnis erforderlich ist. Weiter konkretisieren lassen sich die Umschreibungen des BGH, wenn man sich einen Kriterienkatalog des Kernbereichs der Geschäftsführung vergegenwärtigt. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat das Vorliegen einer faktischen Geschäftsführung insofern bejaht, wenn mindestens sechs der nachstehenden acht Kriterien erfüllt sind:
- Bestimmung der Unternehmenspolitik,
- Unternehmensorganisation,
- Einstellung von Mitarbeitern,
- Gestaltung der Geschäftsbeziehung zu Vertragspartnern,
- Verhandlung mit Kreditgebern,
- eine dem Geschäftsführergehalt entsprechende Vergütung,
- Entscheidung in Steuerangelegenheiten,
- Steuerung der Buchhaltung.
Zwar haben die (zivilrechtlichen) Senate des BGH diese Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht übernommen. Die Kriterien können gleichwohl eine Orientierungshilfe bieten.
Wie haftet der faktischer Geschäftsführer im Vergleich zum leitenden Angestellten?
Der faktische Geschäftsführer haftet ebenso wie der förmliche Geschäftsführer, insbesondere gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG. Dies hat jüngst das OLG München noch einmal unterstrichen. Die Entscheidung des Gerichts sollte als Warnung für faktische Geschäftsführer dienen, denn die Organhaftung ist ein scharfes Schwert:
So hat der (faktische) Geschäftsführer bereits bei leicht fahrlässiger Pflichtverletzung den gesamten der GmbH hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Einem Angestellten käme hingegen bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit eine Haftungsprivilegierung zugute: Nach ständiger Rechtsprechung gilt für Arbeitnehmer ein dreistufiges Haftungsmodell, wonach den Arbeitnehmer im Falle leichter und leichtester Fahrlässigkeit keine Haftung trifft, der Schaden im Falle mittlerer Fahrlässigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geteilt wird und der Arbeitnehmer nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz den gesamten Schaden zu tragen hat. Zwar ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, ob auch leitende Angestellte in den Genuss der Grundsätze zur Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung kommen. Es spricht jedoch viel dafür, dies mit der herrschenden Meinung zu bejahen.
Zudem greifen bei einem faktischen Geschäftsführer Sonderregelungen im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast: Demnach muss die Gesellschaft lediglich den Eintritt eines Schadens und dessen Verursachung durch ein Verhalten des faktischen Geschäftsführers, das sich als möglicherweise pflichtwidrig darstellt, darlegen und beweisen. Ist dies der Fall, trifft den faktischen Geschäftsführer die Beweislast, dass entweder das schadensauslösende Verhalten nicht pflichtwidrig war oder ihm zumindest kein Schuldvorwurf hinsichtlich der Pflichtverletzung zu machen ist. Auch diesbezüglich wäre Herr Weber als leitender Angestellter bessergestellt, da ihn in diesem Fall nicht die Beweislast treffen würde.
Diese Regelung kann in der Praxis ausschlaggebend sein, denn manche Vorgänge lassen sich im Nachhinein – eine Untersuchung findet oftmals erst mehrere Jahre nach den zugrunde liegenden Geschehnissen statt – nicht mehr vollständig aufklären. GmbH
Genießt ein faktischer Geschäftsführer Versicherungsschutz?
Vor diesem Hintergrund ist (leitenden) Angestellten einer GmbH, die geschäftsführungsnahe Aufgaben übernehmen, zu erhöhter Wachsamkeit zu raten. Bestehen Zweifel, ob die übernommenen Tätigkeiten die Stellung als faktischer Geschäftsführer begründen, sollte unbedingt ein gesellschaftsrechtlich versierter Rechtsanwalt zu Rate gezogen werden. Auch im Hinblick auf den versicherungsrechtlichen Schutz ist Vorsicht angebracht. Zwar sichern GmbHs ihre Geschäftsführer zumeist über D&O-Versicherungen ab. Allerdings bestehen bei den im Markt verbreitenden Policen erhebliche Unterschiede dahingehend, ob auch faktische Geschäftsführer zum versicherten Personenkreises gehören. Hier sollte unbedingt auf eine Nennung des „faktischen Geschäftsführers“ im D&O-Versicherungsschutzes geachtet werden.
Die Entscheidung des OLG München vom 23.01.2019 (Az. 7 U 2282/17)
Verletzt der faktische Geschäftsführer einer GmbH seine Pflichten gegenüber dieser GmbH, haftet er dieser gegenüber für die entstandenen Schäden (§ 43 Abs. 2 GmbHG).
Der Hintergrund
Die Klägerin ist eine GmbH, die zwar eine Geschäftsführerin bestellt hatte, faktisch jedoch von ihrem – inzwischen verstorbenen – Prokuristen geführt wurde. Dieser Prokurist überwies mehrfach Beträge in fünfstelliger Höhe vom Geschäftskonto der Klägerin an sich selbst bzw. eine Gesellschaft, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer er war; einen rechtlichen Grund für diese Zahlungen gab es nicht. Nachdem der Prokurist verstorben war, nahm die Klägerin unter anderem seine Erben auf Rückzahlung dieser Beträge bzw. Schadensersatz in dieser Höhe in Anspruch. Sie begründete dies damit, dass der Prokurist ihr faktischer Geschäftsführer gewesen sei; er (bzw. seine Erben als seine Rechtsnachfolger) hafte deswegen nach der für Geschäftsführer geltenden Regelung des § 43 Abs. 2 GmbHG für die durch die Überweisungen vom Geschäftskonto der Klägerin entstandenen Schäden. In der ersten Instanz blieb die Klägerin mit dieser Argumentation erfolglos; in der Berufungsinstanz gab das OLG München jedoch der Klage statt.
Das OLG München bestätigte die Auffassung der Klägerin, dass der Prokurist faktischer Geschäftsführer der Klägerin gewesen sei und deswegen für die bei der Klägerin entstandenen Schäden (in Form der Überweisungen an sich selbst und die in seinem Alleineigentum stehende Gesellschaft) nach der Vorschrift des § 43 Abs. 2 GmbHG hafte. Er (bzw. nach seinem Tod seine Erben) sei daher zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe der zu Unrecht vom Geschäftskonto der Klägerin überwiesenen Beträge verpflichtet.
Haftungsrisiken für faktische Geschäftsführer
Der Geschäftsführer einer GmbH ist zur ordentlichen Unternehmensleitung verpflichtet und haftet – wenn er diesen Pflichten schuldhaft nicht gerecht wird – gegenüber der GmbH für alle daraus entstandenen Schäden (§ 43 Abs. 2 GmbH). Dies gilt – das ruft das Urteil des OLG München erneut in Erinnerung – ebenso, wenn jemand zwar nicht formell zum Geschäftsführer einer GmbH bestellt wurde, sich aber wie ein solcher verhält (sog. faktischer Geschäftsführer).
Obgleich die Rechtsauffassung des OLG München zur Haftung des faktischen Geschäftsführers in der Vergangenheit bereits mehrfach von der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wurde, ist die Klarstellung durch das OLG München erfreulich. Denn die Argumentation des OLG München erleichtert es erheblich, bei Pflichtverletzungen Schadensansprüche gegen einen faktischen Geschäftsführer geltend zu machen. Ohne eine analoge Anwendung des § 43 Abs. 2 GmbHG würden nämlich Schadensersatz- oder Rückzahlungsansprüche gegen einen faktischen Geschäftsführer häufig nur bestehen, wenn mit diesem auch ein Anstellungsvertrag abgeschlossen wurde oder er selbst die schädigenden Zahlungen vereinnahmt hat (was die Möglichkeit, einen faktischen Geschäftsführer in Anspruch zu nehmen, wesentlich einschränken würde).
Für Personen, die entscheidend in die Unternehmensleitung einer GmbH eingebunden sind, ohne deren (organschaftlich bestellter) Geschäftsführer zu sein, ist das Urteil des OLG München umgekehrt ein guter Anlass für die Überprüfung der eigenen Tätigkeit auf etwaige Haftungsrisiken. Besonders diejenigen, die mit Wissen der Gesellschafter im laufenden Geschäft der GmbH nach außen hin wie ein Geschäftsführer auftreten, sollten dabei prüfen, ob sie im Einzelfall als faktischer Geschäftsführer anzusehen sind und sich daraus für sie bislang unbekannte Haftungsrisiken ergeben (neben der Haftung für Schäden aufgrund von Pflichtverletzungen haften faktische Geschäftsführer nämlich beispielsweise auch für Zahlungen der GmbH nach Eintritt der Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 GmbHG).