Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für Umsatzsteuer

Zur Umsatzsteuerhaftung in der GmbH entschied das Finanzgericht München:

Der Geschäftsführer einer GmbH haftet nicht für Steuerschulden der Gesellschaft, wenn die Steuern erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig werden. Hinsichtlich Steuerschulden, die 14 Tage vor Beantragung des Insolvenzverfahrens entstehen, ist davon auszugehen, dass zur Bezahlung keine Geldmittel mehr vorhanden gewesen sind. Insofern scheidet eine Haftung ebenfalls aus.

Finanzgericht München 14. Senat, Beschluss vom 27.04.2011, 14 K 3235/09

Anwalt

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner ist bei der IHK Berlin als Nachtragsliquidator registriert

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich gegen den Bescheid vom 18. Mai 2009, mit dem er für Steuerschulden GmbH in Haftung genommen worden ist.

Der Antragsteller war seit 26. Februar 2008 alleiniger Geschäftsführer der GmbH.
Am 30. Juni 2008 nahm die GmbH eine Gewerbeabmeldung bei der Gemeinde vor, am 4. August 2008 stellte der Antragsteller beim Amtsgericht einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH, der vom Amtsgericht mit Beschluss vom 2. November 2009 mangels Masse abgelehnt worden ist.
Für die Zeiträume Januar bis Dezember 2007 sowie Januar bis August 2008 wurde eine Umsatzsteuersonderprüfung durchgeführt. Dabei wurden die steuerpflichtigen Umsätze zu einem Steuersatz von 19 % für das Jahr 2007, in dem die Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten erfolgte, anhand des festgestellten Zahlungseingangs angesetzt. Für die Voranmeldungszeiträume Januar bis August 2008, in denen die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten erfolgte, nahm das Finanzamt (FA-Antragsgegner) eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor, da die Kontoauszüge nur lückenhaft zur Prüfung vorgelegt worden seien. Jeweils mit Vorauszahlungsbescheid vom 11. März 2009 wurde die Umsatzsteuer für den Prüfungszeitraum geändert.
Nachdem die GmbH die sich aus der geänderten Umsatzsteuerfestsetzung ergebende Nachzahlung nicht entrichtet hatte und die Beitreibung der Steuerrückstände erfolglos geblieben war, nahm das Finanzamt den Antragsteller mit Bescheid vom 18. Mai 2009 für rückständige Umsatzsteuer des Zeitraums März 2007 bis Mai 2008 sowie Körperschaftsteuer für 2006, für das vierte Kalendervierteljahr 2007 und das dritte Kalendervierteljahr 2008 sowie Nebenleistungen und Verspätungszuschläge in Höhe von insgesamt 85.850,70 € in Haftung. Die Inhaftungnahme wurde damit begründet, dass der Antragsteller als Geschäftsführer nicht dafür Sorge getragen habe, dass die Steuern bei Fälligkeit aus Mitteln der GmbH ordnungsgemäß entrichtet wurden.
Das dagegen gerichtete Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg, mit Entscheidung vom 28. September 2009 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück.
Mit seiner dagegen eingelegten Klage trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass ihn das FA zu Unrecht in Haftung genommen habe. Seit 11. Februar 2009 stünden ihm aufgrund der Beschlagnahme durch die Steuerfahndung X keinerlei Unterlagen der GmbH zur Verfügung. Er werde in der Wahrnehmung und Ausübung seiner Rechte behindert und könne daher zu den Prüfungsfeststellungen des FA nicht Stellung nehmen. Insbesondere habe das FA die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen in weit überzogener Höhe vorgenommen. Das FA habe auch nicht berücksichtigt, dass die GmbH ihr Gewerbe bereits mit Schreiben vom 30. Juni 2008 bei der Gemeinde abgemeldet habe und deswegen in den Monaten Juli und August 2008 keine Umsätze mehr erwirtschaftet habe.
Im gegenwärtigen Verfahren hat der Antragsteller mit derselben Begründung unter Vorlage einer Erklärung über seine wirtschaftlichen Verhältnisse beantragt, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Das FA ist dem Antrag entgegengetreten, da keine hinreichende Aussicht auf Erfolg der Klage bestehe. Der Antragsteller sei zu Recht in Haftung genommen worden. Da für den Zeitraum 1-8/2008 von der GmbH keine Buchhaltungsunterlagen vorgelegt worden waren, habe die Prüferin die Voranmeldungszeiträume 4-8/2008 geschätzt. In den Haftungsbescheid sei jedoch nur die Umsatzsteuer bis einschließlich des Voranmeldungszeitraums Mai 2008 aufgenommen worden.
Der Einwand, dass der Antragsteller die Buchhaltungsunterlagen aufgrund der Beschlagnahme durch die Steuerfahndung nicht vorlegen habe können, greife nicht durch, weil die Umsatzsteuerprüfung zum Zeitpunkt der Beschlagnahme am 1. Februar 2009 bereits seit einem halben Jahr begonnen habe. Nachdem das Verfahren bei der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes noch nicht abgeschlossen sei, könnten die Unterlagen nicht herausgegeben werden. Der Antragsteller habe jedoch die Möglichkeit, die Unterlagen bei der Steuerfahndung einzusehen, im Übrigen habe der Antragsteller auch dort seinen Wohnsitz.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten sowie die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag hat Erfolg.

Gemäß § 142 Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihrem persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung im Haupt- oder Nebenverfahren nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht dann, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für seinen Eintritt spricht (vgl. Gräber, Kommentar zur FGO, 6. Aufl., § 142 Rdn. 11 und die dort angeführten Hinweise zur Rechtsprechung).
Im Streitfall bietet die Rechtsverfolgung überwiegend Aussicht auf Erfolg. Bei summarischer Prüfung hat das FA den Antragsteller zu Unrecht für Steuerschulden sowie für die dazu angefallenen Nebenleistungen und Verspätungszuschläge der GmbH in Haftung genommen, weil die Haftungsvoraussetzungen nach § 69 der Abgabenordnung (AO) nicht erfüllt sind.
Gemäß § 69 i. V. m. § 34 der AO haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§  37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die gesetzlichen Vertreter haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuerschulden bei Fälligkeit aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO).
Der Antragsteller, der seit 26. Februar 2008 als alleiniger Geschäftsführer der gesetzliche Vertreter der GmbH war und als solcher ihre steuerlichen Pflichten zu erfüllen hatte, haftet nicht wegen einer schuldhaften Verletzung seiner Steuerentrichtungspflichten (§ 69 Satz 1 AO  2. Alternative).
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die GmbH am 30. Juni 2008 eine Gewerbeabmeldung vorgenommen und der Antragsteller am 4. August 2008 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt hat, kann ihm nicht vorgeworfen werden, die am 21. Juli und 10. September 2008 fälligen Körperschaftsteuern für 2006, das vierte Quartal 2007, das dritte Quartal 2008 sowie die dazu angefallenen Nebenleistungen pflichtwidrig nicht bezahlt zu haben. Insbesondere ist davon auszugehen, dass rund vierzehn Tage vor Beantragung des Insolvenzverfahrens keine Geldmittel mehr vorhanden gewesen sind, mit denen der Antragsteller die Steuerschulden hätte begleichen können.
Die anderen Steuern und Nebenleistungen (insbesondere die Umsatzsteuer für 2007 und Jan. bis Mai 2008), für die der Antragsteller in Haftung genommen worden ist, sind erst nach Stellung des Insolvenzantrages fällig geworden (9. Februar 2009, 23. März 2009), eine Pflichtverletzung scheidet daher insoweit ebenfalls aus.
Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 FGO, § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis).