Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner
Ausgangssituation
Am Anfang steht ein Ermittlungsauftrag des Rechteinhabers an eine Anwaltskanzlei, die Weitergabe von Dateien ueber das Internet zu verfolgen. Die Kanzleien beauftragen sogenannte Antipiracy Firmen damit, IP-Adressen der Filesharer zu ermitteln und zu protokollieren.
Die Antipiracy-Firmen loggen sich in die P2P Netzwerke ein und starten eine Suchanfrage hinsichtlich der zu überwachenden Dateien. Auf diesem Wege erhalten sie die IP-Adresse der Nutzer, die später abgemahnt werden sollen. Um die zu den IP-Adressen gehoerigen Adressen zu erfahren werden die jeweiligen Provider gebeten, die Verbindungsdaten zu speichern, da der Verdacht einer Straftat bestehe. Die Antipiracy-Firmen leiten die IP-Adressen dann an die Kanzleien weiter.
Die Kanzlei stellt dann mit der IP-Adresse bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Unbekannt. Die zugehoerige Straftat ergibt sich aus § 106 Abs. 1 UrhG (Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke) Demnach gilt:
„Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Die Staatsanwaltschaft fordert nun die zu der IP-Adresse gehörigen Verbindungsdaten vom Provider, der diese in der Regel bereits auf Bitten der Antipiracy-Firmen gespeichert hat. Die Kanzleien kommen nun durch Akteneinsicht an die Postanschrift des Nutzers. Es folgt die Abmahnung.
Rechtmaessigkeit der Datenweitergabe
Dabei ist die Rechtmaessigkeit der Weitergabe der Adressdaten an die Abmahner durchaus fraglich. Das Landgericht Frankenthal hat in einem Beschluss vom 21.05.2008 (Az.: 6 O 156/08) entschieden, dass die Weitergabe der Adressdaten gegen die Grundrechte der Betroffenen verstoesst.
Das Landgericht hatte in dem zu Grunde liegenden Fall den Unterlassungsanspruch der Abmahner zurückgewiesen. Die von der Staatsanwaltschaft an die Antragstellerin übermittelten Daten des Antragsgegners seien im zivilrechtlichen Verfahren unter Berücksichtigung der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts zur Verwertbarkeit von unter Verletzung von Grundrechten erlangten Beweismitteln (BVerfG, NJW 2002, 3619, 3624) nicht verwertbar. Eine solche Grundrechtsverletzung sah das Landgericht Frankenthal in der Übermittlung der gespeicherten Telekommunikationsdaten. Fuer die dynamischen IP-Adresse eines Internet-Anschlussinhabers nebst den dazu gehörigen Kundendaten bestehe ein strenger Schutz, insbesondere unterlaegen sie dem Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG). Diese Daten dürften nur dann – von dem Provider an staatliche Behörden (hier: Staatsanwaltschaft) – herausgegeben bzw. abgerufen und übermittelt werden, wenn der Verdacht auf Verübung einer schweren Straftat i.S.d. § 100a Abs. 2 StPO besteht. Dies sei bei einer Urheberrechtsverletzung nicht der Fall. Bereits in dem Abruf dieser Daten liege ein schwerwiegender und irreparabler Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 11.03.2008 – Az. 1 BvR 256/08). Allein das Interesse eines Rechteinhabers, sich ein Beweismittel zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche zu sichern, reiche nicht aus, um einen Eingriff in die Grundrechte eines (vermeintlichen) Rechteverletzers (hier: Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG) aufgrund der Übermittlung von Verkehrsdaten (hier: dynamische IP-Adresse) zu rechtfertigen. Die Entscheidung des LG Frankenthals ist jedoch durch das OLG Zweibrücken mit Beschluss vom 26.09.2008 ( Az.: 4 W 62/08) aufgehoben worden.
Filesharing durch minderjaehrige Kinder: Eltern haften fuer die Kinder?
Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit der Beaufsichtigung bedarf, ist gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nach § 832 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 BGB nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt. Das ist die gesetzliche Grundlage fuer den haeufig zu lesenden Satz: „Eltern haften fuer ihre Kinder“.
Ob die Eltern haftet haengt damit davon ab, ob die Eltern ihrer Aufsichtspflicht genuege getan haben.
Liest man sich die Filesharing Faelle mit Beteiligung Jugendlicher durch, kommt man allerdings zu folgender Erkenntnis: Die Gerichte schiessen in der Regel aus dem Umstand, dass Minderjaehrige Filesharing betrieben haben auf eine Verletzung der Aufsichtspflicht der Eltern. Immer waere es moeglich gewesen, das Filesharing der Kinder durch weitergehende Massnahmen zu verhindern. Eine Firewall muss eingerichtet werden, der Computer der Kinder muss regelmaessig kontrolliert werden, letzlich muss der Computer gesperrt werden, wenn alles nicht hilft.
Der Bundesgerichtshof hat nun in seinem Morpheus-Urteil vom 15. 11. 2012 (Az.: I ZR 74/12) die Kriterien fuer eine Verletzung der Aufsichtspflicht verbindlich aufgestellt. Dabei hat der BGH die Anforderungen an die Eltern auf ein vernuenftiges Mass zurueck gestutzt. In dem Urteil heisst es:
„Die Anforderungen an die Aufsichtspflicht, insbesondere die Pflicht zur Belehrung und Beaufsichtigung von Kindern, richten sich nach der Vorhersehbarkeit des schädigenden Verhaltens. Dabei hängt es hauptsächlich von den Eigenheiten des Kindes und seinem Befolgen von Erziehungsmaßahmen ab, in welchem Umfang allgemeine Belehrungen und Verbote ausreichen oder deren Beachtung auch überwacht werden muss (vgl. BGH, NJW 2009, 1952 Rn. 17; NJW 2009, 1954 Rn. 14, jeweils mwN).
Danach genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes 13-jähriges Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht.
Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt.
Es ist allerdings nicht zu bestreiten, dass erfahrungsgemäß Kinder und Jugendliche aus pädagogischen Gründen auferlegte Verbote gelegentlich übertreten (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2007 – I ZR 18/04, BGHZ 173, 188 Rn. 26 – Jugendgefährdende Medien bei eBay). Daraus folgt entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung aber keine Verpflichtung der Eltern, ohne konkreten Anlass regelmäßig zu kontrollieren, ob ihr Kind bei der Nutzung von Computer und Internet ihm auferlegte Verbote beachtet.
Eine solche Verpflichtung widerspräche der gesetzlichen Wertung des § 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB. Danach sollen die Eltern bei der Pflege und Erziehung die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln berücksichtigen. Mit diesem Erziehungsgrundsatz wäre es nicht zu vereinbaren, wenn Eltern die Nutzung des Internets durch ihr 13-jähriges Kind ohne konkreten Anlass regelmäßig kontrollieren müssten (vgl. Wenn, jurisPR-ITR 5/2008 Anm. 2; Krieg, jurisPR-ITR 16/2008 Anm. 3; Heckmann in jurisPK-Internetrecht, 3. Aufl., Kap. 3. 2 Rn. 81).
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass sich die Zumutbarkeit von Aufsichtsmaßnahmen nicht nur nach der Person des Aufsichtsbedürftigen, seiner Eigenart und seinem Charakter, sondern auch nach dem Ausmaß der Gefahr richtet, die außenstehenden Dritten durch das fragliche Verhalten des Aufsichtspflichtigen droht (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 1996 – VI ZR 86/95, NJW 1996, 1404, 1405).
Das Ausmaß der Gefahr, die Dritten dadurch droht, dass ein Kind urheberrechtsverletzende Tauschbörsen nutzt, ist wesentlich geringer als beispielsweise die Gefahr, der Dritte durch das Fehlverhalten eines Kindes im Straßenverkehr oder beim Umgang mit Feuer ausgesetzt sind. Die massenhafte Nutzung von Tauschbörsen beeinträchtigt die urheberrechtlich geschützten Rechte und wirtschaftlichen Interessen der Rechtsinhaber zwar auch dann ganz erheblich, wenn die einzelne Rechtsverletzung für sich genommen kein beträchtliches Ausmaß erreicht (BGH, Beschluss vom 19. April 2012 – I ZB 80/11, GRUR 2012, 1026 Rn. 23 = WRP 2012, 1250 – Alles kann besser werden). Daraus folgt entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung jedoch keine Verpflichtung von Eltern, die Nutzung des Internets durch ihre Kinder ohne konkreten Anhaltspunkt für derartige Rechtsverletzungen zu beschränken oder zu überwachen.
Nach diesen Maßstäben haben die Beklagten ihrer Aufsichtspflicht dadurch genügt, dass sie ihrem Sohn die rechtswidrige Teilnahme an Internettauschbörsen nach einer entsprechenden Belehrung verboten haben. Die Beklagten haben vorgetragen, sie hätten mit ihren Kindern immer wieder über das Thema des illegalen Downloads von Musik und Filmen aus dem Internet diskutiert und ihnen dies ausdrücklich untersagt. Damit sind die Beklagten, wie auch das Berufungsgericht insoweit mit Recht angenommen hat, den an die Vorgabe von Verhaltensregeln zu stellenden Anforderungen nachgekommen.
Die Revisionserwiderung macht ohne Erfolg geltend, die Aufklärung des Sohnes über die Gefahren des illegalen Filesharing könne nicht so intensiv gewesen sein, wie die Beklagten behaupten; denn dieser habe bei seiner polizeilichen Vernehmung bekundet, er habe gar nicht gewusst, dass er die Lieder nicht nur herunterlade, sondern sie auch über eine Tauschbörse zur Verfügung stelle. Eine besonders intensive Belehrung war indessen im Blick darauf nicht erforderlich, dass es sich beim Sohn der Beklagten um ein normal entwickeltes, einsichtsfähiges und verhaltensunauffälliges 13-jähriges Kind handelte. Zu Überwachungsmaßnahmen waren die Beklagten dagegen nicht verpflichtet. Für die Beklagten beststanden keine Anhaltspunkte, dass sich ihr Sohn nicht an das ihm auferlegte Verbot hält. Sie waren daher entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts weder verpflichtet, ihren 13-jährigen Sohn etwa durch Installation einer Firewall oder eines Sicherheitsprogramms daran zu hindern, auf seinem Computer weitere Programme zu installieren, noch verpflichtet, ihn dadurch zu überwachen, dass sie seinen Computer beispielsweise durch eine monatliche Kontrolle der Softwareliste und des Computerdesktop nach bereits installierten Tauschbörsenprogrammen durchsuchen.“
Keinen Computer besessen
Wie eine erfolgreiche Verteidigung gegen den Abmahnvorwurf aussehen kann zeigt ein Fall des Landgerichts Muenchen. Im Urteil vom 22.03.2013, 21 S 28809/11, fuehrt das Gericht aus:
„Ihrer sekundaeren Darlegungslast ist die die Beklagte dadurch nachgekommen, dass sie erstinstanzlich vorgetragen hat, sie habe zum streitgegenstaendlichen Zeitpunkt keinen Computer mehr besessen, da sie ihn im Juni 2009 verkauft haette, sie habe keine weiteren internetfaehigen Geraetschften besessen, um Filesharing-Netzwerke nutzen zu koennen, sie habe keinen WLAN-Router, sondern nur einen sogenannten Splitter besessen, habe zum vermeintlichen Tatzeitpunkt alleine gewohnt und es habe keine bekannte Person den nur theoretisch vorhandenen, aber mangels Router nicht nutzbaren Internetanschluss der Beklagten verwendet.
Diese von der Beklagten im Rahmen ihrer sekunaeren Darlegungslast vorgebrachten Tatsachen schliessen es – auch bei Anlegung eines nach Auffassung der Kammer anzulegenden strengen Massstabs an den Detailgrad und die Plausibilitaet des Saachvortrags – aus, dass die Klaegerin zum Tatzeitpunkt tatsaechlich selbst ueber den beauskunfteten Internetanschluss die Rechtsverletzung durch ein oeffentliches Zugaenglichmachen begangen hat. Dass sich in ihrer Besitz/ und Gewahrsamssphaere lediglich ein nicht zugangsfaehiger Splitter, jedoch kein DSL-Router oder WLAN-Router befunden hat und die Klaegerin nach ihrer Darlegung weder ueber einen
Computer noch ueber ein sonstiges internetfaehiges Geraet verfuegte, schliesst es aus, dass der vermutungsbegruendende Geschehensablauf einer eigenen Tatbegehung des Anschlussinhabers stattgefunden hat.“