Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Richter Raebel, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin Möhring für Recht erkannt:
Zum Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 1. Februar 2009 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der S. GmbH (fortan: Schuldnerin). Der Beklagte ist seit 1994/95 alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Schuldnerin. Zur Sicherung von Krediten, welche die S. (fortan: S.) der Schuldnerin gewährte, bestellte er an in seinem Alleineigentum stehenden Grundstücken Grundschulden im Nennwert von insgesamt 977. 389 €. Die Kredite waren außerdem durch Sicherungseigentum an Fahrzeugen der Schuldnerin gesichert. Der Kläger verwertete die Fahrzeuge und zahlte an die S. einen Betrag von 42. 189, 53 € (Verwertungserlös abzüglich Verwertungspauschalen und Umsatzsteuer).
Der Kläger hat zunächst Zahlung der Stammeinlage von 25. 564, 59 € (50. 000 DM) verlangt. Der Beklagte hat einen Betrag von 1. 278, 23 € anerkannt, insoweit ist Anerkenntnisurteil ergangen. Der Kläger hat den Anspruch auf Zahlung der Einlage sodann nur noch in Höhe von weiteren 1. 278, 23 € weiterverfolgt und desweiteren wegen des an die S. ausgekehrten Verwertungserlöses Zahlung von 42. 189, 53 € verlangt, weil die vom Beklagten persönlich gestellte Sicherheit in dieser Höhe freigeworden sei. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Verurteilung wegen der noch streitigen Einlageforderung in Höhe von 1. 278, 23 € aufrechterhalten und die weitergehende Klage abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Anspruch auf Zahlung von (weiteren) 42. 189, 53 € weiter.
Begründung des Gerichts:
Der Bundesgerichtshof stellt fest, der Anspruch des Insolvenzverwalters auf Erstattung des ausgekehrten Erlöses folge aus § 143 Abs. 3 S. 1 InsO analog. Im einzelnen führt er aus:
1. Das Gesetz regelt nicht, wie in der Insolvenz einer GmbH die Verwertung der von ihr gestellten Sicherheiten gegenüber einem Gesellschafter wirkt, der für das gesicherte Darlehen eigene Sicherheiten erbracht hat. Folgerichtig gibt es auch keine Vorschriften dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen die Masse von einem Gesellschafter Erstattung verlangen kann, dessen Sicherheit hierdurch freigeworden ist. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 135 Abs. 2, § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO hat das Berufungsgericht zutreffend verneint.
a) Nach § 135 Abs. 2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte. Der Gesellschafter hat dann die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten (§ 143 Abs. 3 Satz 1 InsO). Anfechtbar sind nach der allgemeinen Vorschrift des § 129 Abs. 1 InsO, die auch für den Anfechtungstatbestand des § 135 InsO gilt, jedoch nur solche Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen. „Rechtshandlung“ im Sinne von § 135 Abs. 2 InsO ist die Befreiung des Gesellschafters, welcher die Sicherheit gestellt hatte (K. Schmidt, BB 2008, 1966, 1969; Mitlehner, EWiR 2011, 195, 196; vgl. auch Altmeppen, ZIP 2011, 741, 747). Diese fand im vorliegenden Fall nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens statt. Sie erfolgte durch Auskehrung des für die sicherungsübereigneten Fahrzeuge erzielten Erlöses an die S.
b) Die Vorschrift des § 135 Abs. 2 InsO kann – entgegen der vom Kläger in den Vorinstanzen vertretenen Ansicht – nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie Rechtshandlungen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfasst. § 135 Abs. 2 InsO verweist zwar auf § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wo es heißt, dass die anzufechtende Rechtshandlung „im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag“ vorgenommen worden war. Für sich genommen, erfasst diese Formulierung auch Handlungen, die erst nach der Eröffnung stattgefunden haben. Handlungen „nach dem Eröffnungsantrag“ kommen in zahlreichen anfechtungsrechtlichen Vorschriften vor (vgl. etwa § 130 Abs. 1 Nr. 2, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 132 Abs. 1 Nr. 2, § 133 Abs. 1 InsO). Gemeinsame Voraussetzung aller dieser Anfechtungstatbestände und damit auch des § 135 Abs. 2 InsO ist gemäß § 129 Abs. 1 InsO vorbehaltlich der in § 147 InsO geregelten, hier nicht einschlägigen Ausnahmen eine Rechtshandlung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Vorschrift des § 135 Abs. 3 InsO, die für die Zeit von einem Jahr ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt, enthält keinen Anfechtungstatbestand.
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Gesetzgeber bewusst von einer Regelung des vorliegenden Problems abgesehen hat. …
4. Die aufgezeigte Regelungslücke ist durch eine entsprechende Anwendung des § 143 Abs. 3 InsO zu füllen.
a) Eine Einschränkung des Wahlrechts des doppelt gesicherten Gläubigers entsprechend § 44a InsO kommt nach geltendem Recht nicht in Betracht.
aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 32a Abs. 2 GmbHG aF, der Vorgängervorschrift des § 44a InsO, unterlag es der freien Entscheidung des Drittgläubigers, die Gesellschafts- oder die Gesellschaftersicherheit in Anspruch zu nehmen (grundlegend BGH, Urteil vom 19. November 1984 – II ZR 84/84, ZIP 1985, 158; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Oktober 1985 – II ZR 280/84, ZIP 1986, 30, 31; vom 9. Dezember 1991 – II ZR 43/91, ZIP 1992, 108; vgl. auch den Fall BGH, Urteil vom 20. Juli 2009 – II ZR 36/08, ZIP 2009, 1806 Rn. 15 f). Begründet wurde dieses Ergebnis wie folgt: Der Gesellschafter solle mit der (kapitalersetzenden) Sicherheit zur Haftung für die Gesellschaftsschulden herangezogen werden. Daraus folge aber nur, dass der sicherungsgebende Gesellschafter unter den Voraussetzungen des § 32a Abs. 2 GmbHG aF nicht von jeglicher Verpflichtung freiwerden könne, nachdem der Darlehensgeber von der Gesellschaft Befriedigung erlangt habe, sondern dass er in diesem Falle einem Erstattungsanspruch der Gesellschaft ausgesetzt sei. Außerdem stehe der Drittgläubiger außerhalb des Verhältnisses zwischen der Gesellschaft und dem sicherungsgebenden Gesellschafter. Wenn er vorrangig die Gesellschaftersicherung in Anspruch nehmen und das damit verbundene Kosten- und Ausfallrisiko tragen müsse, obwohl er aus der Gesellschaftssicherung Befriedigung erlangen könnte, stelle dies einen erheblichen Eingriff in seine Rechtsstellung dar, die nicht ohne eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers vorgenommen werden könne (BGH, Urteil vom 19. November 1984, aaO S. 159).
bb) Diese Gründe haben nach dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999 und des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen am 1. November 2008 weiterhin Bestand.
(1) Die Insolvenzordnung hat die Rechte des absonderungsberechtigten Gläubigers eingeschränkt. Insbesondere kennt sie keine § 4 Abs. 2 KO entsprechende Bestimmung, nach welcher die abgesonderte Befriedigung unabhängig vom Konkursverfahren erfolgte. Die Verwertung beweglicher Gegenstände (Sachen und Forderungen), an denen ein Absonderungsrecht besteht, obliegt nunmehr überwiegend dem Insolvenzverwalter (vgl. § 166 Abs. 1 und 2 InsO), der auch die Verwertung eines mit Absonderungsrechten belasteten unbeweglichen Gegenstandes betreiben kann (§ 165 InsO). Auf der anderen Seite verlöre der Gläubiger durch die Anordnung eines Vorrangs der Gesellschaftersicherheit seine am Vermögen der Gesellschaft bestellte Sicherheit nicht. Fiele er mit der Gesellschaftersicherheit aus, könnte er jene nach wie vor in Anspruch nehmen. In der Literatur wird die Einschränkung des Wahlrechts eines doppelt gesicherten Gläubigers deshalb als rein abwicklungstechnischer Beitrag dazu gesehen, dass der kreditähnliche Finanzierungsbeitrag der Gesellschaft auch wirklich zum Tragen kommt (K. Schmidt, BB 2008, 1966, 1968; Gundlach/Frenzel/Strandmann, DZWiR 2010, 232, 235). Der Senat kann sich dieser Ansicht nicht anschließen. Die Annahme eines Vorrangs der Gesellschaftersicherheit vor der Gesellschaftssicherheit würde eine weitere Verschlechterung der Rechtsstellung des Absonderungsberechtigten bedeuten, für welche eine gesetzliche Grundlage fehlt (Art. 14 Abs. 1 GG).
(2) Das MoMiG sieht einen Erstattungsanspruch des Insolvenzverwalters gegen den freigewordenen Gesellschafter nicht vor, schließt ihn aber auch nicht aus. Bis zum Inkrafttreten des MoMiG wurde der Ausgleichsanspruch der Masse gegen den befreiten Gesellschafter gesellschaftsrechtlich, nicht anfechtungsrechtlich begründet (grundlegend BGH, Urteil vom 13. Juli 1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252, 259 ff zum Rechtszustand vor Einführung der Novellenregeln durch die GmbH-Reform 1980). Der novellenrechtliche Erstattungsanspruch aus §§ 32b, 32a Abs. 2, 3 GmbHG aF stellte sachlich zwar einen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzenden Anfechtungstatbestand dar (BGH, Urteil vom 26. Januar 2009 – II ZR 260/07, BGHZ 179, 249 Rn. 16 mwN). Von § 32b GmbHG aF wurden – jedenfalls nach dem Wortlaut der Norm – jedoch nur Rückzahlungen binnen Jahresfrist vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfasst. Der Rückzahlungsanspruch der Gesellschaft konnte daneben jedoch aus den Rechtsprechungsregeln analog §§ 30, 31 GmbHG hergeleitet werden, soweit der Gesellschafter durch die Tilgung der Schuld aus gebundenem Vermögen der Gesellschaft von seiner (vorrangigen) Sicherungspflicht befreit wurde (BGH, Urteil vom 26. Januar 2009, aaO Rn. 10). Ein Rückgriff auf die Rechtsprechungsregeln ist, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, durch den Nichtanwendungsbefehl des § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG ausgeschlossen. Über die Auslegung der Anfechtungsvorschriften der Insolvenzordnung ist damit jedoch nichts gesagt. Auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften wird von dem Nichtanwendungsbefehl nicht erfasst.
b) Durchgreifende Argumente gegen eine analoge Anwendung der Anfechtungsvorschrift des § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO gibt es nicht.
aa) Der Fall, dass ein doppelt gesicherter Gläubiger nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwertung der Gesellschaftssicherheit befriedigt und die Gesellschaftersicherheit hierdurch frei wird, ist gesetzlich nicht geregelt. Es handelt sich, wie gezeigt, um eine unbeabsichtigte Regelungslücke. Bei wertender Betrachtung besteht kein Unterschied zwischen der Rückzahlung eines gesellschaftergesicherten Darlehens innerhalb der Fristen des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO und derjenigen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
bb) Gegen eine analoge Anwendung der Anfechtungsvorschriften wird im Wesentlichen eingewandt, der Verzicht auf die Anfechtungsvoraussetzungen des § 129 InsO – die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtshandlung sowie die Gläubigerbenachteiligung, deren Vorliegen ebenfalls in Zweifel gezogen wird – stelle einen Systembruch dar, der nur als letzte Möglichkeit in Betracht gezogen werden solle (Bork, aaO S. 147; ähnlich Altmeppen, aaO S. 746: „dogmatisch ohne Kontur“). Diese Bedenken teilt der Senat nicht. Es geht hier nicht um die Auslegung einer anfechtungsrechtlichen Vorschrift, sondern um deren entsprechende Anwendung. Die entsprechende Anwendung einer Norm kommt von vornherein nur dann in Betracht, wenn nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale dieser Norm erfüllt sind. § 143 Abs. 3 InsO stellt insofern einen Sonderfall im System des Insolvenzanfechtungsrechts dar, als der Anspruch sich nicht gegen den Empfänger der Leistung – der Darlehensrückzahlung – richtet, sondern gegen einen Dritten, nämlich den Gesellschafter, der hierdurch nur mittelbar – durch Freiwerden der von ihm gestellten Sicherheit – begünstigt worden ist. Die Anfechtung von Rechtshandlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist dem Gesetz nicht völlig fremd, wie insbesondere die Vorschrift des § 147 InsO zeigt (vgl. HK-InsO/Kreft, aaO § 147 Rn. 9).
Diese Vorschrift regelt die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen vor allem des Insolvenzschuldners, die aufgrund des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs, des Schiffsregisters und der Luftfahrzeugrolle wirksam sind. Sie zeigt, dass § 129 Abs. 1 InsO mit dem Bezug auf Rechtshandlungen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine für das Anfechtungsrecht schlechthin unentbehrliche Voraussetzung bezeichnet, die jede Durchbrechung ausschließt. Der hier zu entscheidende Fall der Verwertung einer von der Insolvenzschuldnerin gestellten Sicherheit steht § 147 InsO insofern nahe, als der Insolvenzverwalter ausgehend von der Annahme, dass der Gläubiger frei entscheiden kann, ob er zuerst die Gesellschafts- oder zuerst die Gesellschaftersicherheit verwertet (s. o. unter a) – den Zugriff des Gläubigers auf die Sicherheit der Masse nicht abwenden kann. Ausgangspunkt ist also jeweils eine masseschmälernde Verfügung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die vom Insolvenzverwalter trotz dessen umfassender Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 InsO) nicht verhindert werden kann. Dies rechtfertigt in beiden Fällen eine Abweichung von der anfechtungsrechtlichen Grundnorm des § 129 Abs. 1 InsO, die davon ausgeht, dass der Verwalter von der Eröffnung an Gläubigerbenachteiligungen verhindert. Die Frage der Gläubigerbenachteiligung stellt sich in allen Fällen der doppelten Besicherung der Darlehensforderung, mag die Forderung vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Mitteln der Gesellschaft befriedigt worden sein. Der gesetzlich geregelte Fall (§ 135 Abs. 2, § 143 Abs. 3 InsO) lässt ausreichen, dass Mittel der Gesellschaft aufgewandt wurden und dass die vom Gesellschafter gestellte Sicherheit hierdurch freigeworden ist. Nichts anderes gilt in dem hier zu entscheidenden Fall der Befriedigung des Gläubigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.