Auflösung, Abwicklung und Beendigung einer OHG effektiv!

Hervorgehoben

von Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner, Berlin

  1. Vorbemerkung

Das Ausscheiden einer Offenen Handelsgesellschaft aus dem Rechtsverkehr vollzieht sich in der Regel in drei Schritten. Am Beginn steht die Auflösung durch Gesellschafterbeschluss oder einen gesetzlichen Auflösungsgrund. Damit ist die recherche Existenz der Gesellschaft noch nicht beseitigt, zunächst müssen die laufenden Geschäfte abgewickelt und Forderungen beglichen beziehungsweise eingezogen werden. Dieses Stadium nennt man Auseinandersetzung oder Abwicklung, das Verfahren ist in den §§ 143 ff HGB geregelt.

HGB

Sechster Titel

Liquidation der Gesellschaft

§ 143 Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften
(1) Nach Auflösung der Gesellschaft findet die Liquidation statt, sofern nicht über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Ist die Gesellschaft durch Löschung wegen Vermögenslosigkeit aufgelöst, findet eine Liquidation nur statt, wenn sich nach der Löschung herausstellt, dass noch Vermögen vorhanden ist, das der Verteilung unterliegt.
(2) Die Gesellschafter können anstelle der Liquidation eine andere Art der Abwicklung vereinbaren. Ist aufgrund einer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag die Gesellschaft durch die Kündigung eines Privatgläubigers eines Gesellschafters oder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters aufgelöst, bedarf eine Vereinbarung über eine andere Art der Abwicklung der Zustimmung des Privatgläubigers oder des Insolvenzverwalters; ist im Insolvenzverfahren Eigenverwaltung angeordnet, tritt an die Stelle der Zustimmung des Insolvenzverwalters die Zustimmung des Schuldners.
(3) Die Liquidation erfolgt nach den folgenden Vorschriften dieses Titels, sofern sich nicht aus dem Gesellschaftsvertrag etwas anderes ergibt.

§ 144 Liquidatoren
(1) Zur Liquidation sind alle Gesellschafter berufen.
(2) Ist über das Vermögen eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, tritt dieser an die Stelle des Gesellschafters.
(3) Mehrere Erben eines Gesellschafters haben einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen.
(4) Durch Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss der Gesellschafter können auch einzelne Gesellschafter oder andere Personen zu Liquidatoren berufen werden.
(5) Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, gilt dies im Zweifel nicht für die Berufung und Abberufung eines Liquidators.

§ 145 Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren
(1) Auf Antrag eines Beteiligten kann aus wichtigem Grund ein Liquidator durch das Gericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, berufen und abberufen werden. Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche dieses Recht ausschließt, ist unwirksam.
(2) Beteiligte sind:
1. jeder Gesellschafter (§ 144 Absatz 1),
2. der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Gesellschafters (§ 144 Absatz 2),
3. der gemeinsame Vertreter (§ 144 Absatz 3) und
4. der Privatgläubiger des Gesellschafters, durch den die zur Auflösung der Gesellschaft führende Kündigung erfolgt ist (§ 143 Absatz 2 Satz 2).
(3) Gehört der Liquidator nicht zu den Gesellschaftern, hat er Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen und auf Vergütung für seine Tätigkeit. Einigen sich der Liquidator und die Gesellschaft hierüber nicht, setzt das Gericht die Aufwendungen und die Vergütung fest. Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung statt.

  1. § 146 Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren
  2. (1) Mit der Auflösung erlischt die einem Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag übertragene Befugnis zur Geschäftsführung und Vertretung. Diese Befugnis steht von der Auflösung an allen Liquidatoren gemeinsam zu.
  3. (2) Die bisherige Befugnis eines Gesellschafters zur Geschäftsführung gilt gleichwohl zu seinen Gunsten als fortbestehend, bis er von der Auflösung der Gesellschaft Kenntnis erlangt hat oder die Auflösung kennen muss.

§ 147 Anmeldung der Liquidatoren
(1) Die Liquidatoren und ihre Vertretungsbefugnis sind von sämtlichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Das Gleiche gilt für jede Änderung in der Person des Liquidators oder in seiner Vertretungsbefugnis. Wenn im Fall des Todes eines Gesellschafters anzunehmen ist, dass die Anmeldung den Tatsachen entspricht, kann die Eintragung erfolgen, auch ohne dass die Erben bei der Anmeldung mitwirken, sofern einer solchen Mitwirkung besondere Hindernisse entgegenstehen.
(2) Die Eintragung gerichtlich berufener Liquidatoren sowie die Eintragung der gerichtlichen Abberufung von Liquidatoren geschieht von Amts wegen.

§ 148 Rechtsstellung der Liquidatoren
(1) Die Liquidatoren haben, auch wenn sie vom Gericht berufen sind, den Weisungen Folge zu leisten, welche die Beteiligten in Bezug auf die Geschäftsführung beschließen. Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, bedarf der Beschluss der Zustimmung der Beteiligten nach § 145 Absatz 2 Nummer 2 und 4.
(2) Die Liquidatoren haben die laufenden Geschäfte zu beendigen, die Forderungen der Gesellschaft einzuziehen und das übrige Vermögen in Geld umzusetzen. Zur Beendigung der laufenden Geschäfte können die Liquidatoren auch neue Geschäfte eingehen.
(3) Die Liquidatoren haben bei Abgabe ihrer Unterschrift der Firma einen Liquidationszusatz beizufügen. Dies gilt entsprechend für die Pflicht nach § 125.
(4) Die Liquidatoren haben gegenüber den nach § 145 Absatz 2 Beteiligten zur Ermittlung des zu verteilenden Gesellschaftsvermögens bei Beginn und Beendigung der Liquidation eine Bilanz aufzustellen. Die Pflichten zur Buchführung (§§ 238 bis 241a) und Jahresrechnungslegung (§§ 242 bis 256a) bleiben unberührt.
(5) Aus dem Vermögen der Gesellschaft sind zunächst die Gläubiger der Gesellschaft zu befriedigen. Ist eine Verbindlichkeit noch nicht fällig oder ist sie streitig, ist das zur Berichtigung der Verbindlichkeit Erforderliche zurückzubehalten.
(6) Aus dem nach der Berichtigung der Verbindlichkeiten verbleibenden Gesellschaftsvermögen sind die geleisteten Beiträge zurückzuerstatten. Für Beiträge, die nicht in Geld bestanden haben, ist der Wert zu ersetzen, den sie zur Zeit der Einbringung gehabt haben. Für Beiträge, die in der Leistung von Diensten oder in der Überlassung der Benutzung eines Gegenstands bestanden haben, kann im Zweifel kein Ersatz verlangt werden.
(7) Das während der Liquidation entbehrliche Geld wird unter Berücksichtigung der den Gesellschaftern bei der Schlussverteilung zukommenden Beträge vorläufig verteilt.
(8) Das nach Berichtigung der Verbindlichkeiten und Rückerstattung der Beiträge verbleibende Vermögen der Gesellschaft ist unter den Gesellschaftern nach dem Verhältnis ihrer Kapitalanteile, wie sie sich aufgrund der Schlussbilanz im Sinne von Absatz 4 ergeben, schließlich zu verteilen.

§ 149 Haftung des Gesellschafters für Fehlbetrag
Reicht das Gesellschaftsvermögen zur Berichtigung der Verbindlichkeiten und zur Rückerstattung der Beiträge nicht aus, haben die Gesellschafter der Gesellschaft für den Fehlbetrag nach dem Verhältnis ihrer Kapitalanteile aufzukommen. Kann von einem Gesellschafter der auf ihn entfallende Betrag nicht erlangt werden, haben die anderen Gesellschafter den Ausfall nach dem gleichen Verhältnis zu tragen.

§ 150 Anmeldung des Erlöschens der Firma
Nach der Beendigung der Liquidation ist das Erlöschen der Firma von sämtlichen Liquidatoren zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden.

§ 151 Verjährung von Ansprüchen aus der Gesellschafterhaftung
(1) Ist die Gesellschaft durch Liquidation oder auf andere Weise erloschen, verjähren Ansprüche gegen einen Gesellschafter aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft in fünf Jahren, sofern nicht der Anspruch gegen die Gesellschaft einer kürzeren Verjährung unterliegt.
(2) Die Verjährung beginnt abweichend von § 199 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sobald der Gläubiger von dem Erlöschen der Firma Kenntnis erlangt hat oder das Erlöschen der Firma im Handelsregister eingetragen worden ist.
(3) Beginnt die Verjährung des Anspruchs gegen die Gesellschaft neu oder wird die Verjährung des Anspruchs gegenüber der Gesellschaft nach den §§ 203, 204, 205 oder 206 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt, wirkt dies auch gegenüber den Gesellschaftern, die der Gesellschaft zur Zeit des Erlöschens angehört haben.

§ 152 Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen; Einsicht in die Geschäftsunterlagen
(1) Die Geschäftsunterlagen der aufgelösten Gesellschaft werden einem der Gesellschafter oder einem Dritten in Verwahrung gegeben. In Ermangelung einer Verständigung wird der Gesellschafter oder der Dritte durch das Gericht bestimmt, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat.
(2) Die Gesellschafter und deren Erben behalten das Recht auf Einsicht und Benutzung der Geschäftsunterlagen.

Die Abwicklung ist vollständig beendet, wenn das letzte Aktivvermögen verteilt wurde. Mit der Vollbeendigung erlischt die Gesellschaft. Diese Rechtsfolge tritt „automatisch” ein und ist nicht mit der Löschung der Gesellschaft im Handelsregister verknüpft: Die Handelsregistereintragung hat nur eine klarstellende Funktion.

Denkbar ist aber auch, dass die Gesellschafter anstelle der Abwicklung eine andere Art der Auseinandersetzung vereinbaren, § 143 Absatz 1 HGB. Beispielsweise können die Gesellschafter eine Lösung dergestalt wählen, dass das Gesellschaftsvermögen im Ganzen auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird und es auf diese Weise zu einer Vollbeendigung der Gesellschaft ohne Abwicklung kommt.

Während der Abwicklung können die Gesellschafter die Fortführung der Gesellschaft jederzeit beschließen, es sei denn, der Auflösungsgrund liegt in der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und dieses wurde nicht auf Antrag des Schuldners, beziehungsweise durch einen bestätigten Insolvenzplan, der den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht, eingestellt.

  1. Auflösungsgründe

Auflösungsgründe können im Gesellschaftsvertrag vereinbart werden, daneben bestehen auch gesetzliche Auflösungsgründe. Letztere sind in § 138 HGB definiert. Die Auflösung tritt demnach ein durch:
– Zeitablauf, wenn die OHG für eine bestimmt Dauer gegründet wurde
– Auflösungsbeschluss der Gesellschafter
– Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft
gerichtliche Entscheidung

Auch außerhalb des Handelsgesetzbuches finden sich gesetzliche Auflösungsgründe, etwa in § 38 Abs. 2 KWG, wonach die BaFin bei juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften bestimmen kann, dass das Institut abzuwickeln ist. Die Entscheidung der BaFin wirkt wie ein Auflösungsbeschluß.

Bei Eintritt eines Auflösungsgrunds folgt automatisch die Abwicklung der Gesellschaft.

Keine Auflösung erfolgt bei der Umwandlung einer Offene Handelsgesellschaft in eine Kommanditgesellschaft oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts sowie bei einer Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz.

  1. Auflösung nach Zeitablauf

Ist im Gesellschaftsvertrag vereinbart worden, dass die Gesellschaft nur für eine bestimmte Zeit bestehen soll, ist die Offene Handelsgesellschaft nach Ablauf der Zeit automatisch aufgelöst. Die Zeitdauer muss kalendermäßig bestimmbar sein oder sich, wenn ein bestimmter Zeitpunkt noch nicht bestimmbar ist, an einem feststehenden Ereignis orientieren. Für den Fall, dass die Gesellschafter die Offene Handelsgesellschaft nach Eintritt des Zeitablaufes fortführen, gilt diese als Gesellschaft auf unbestimmte Zeit.

  1. Auflösungsbeschluss

Die Gesellschaft kann durch Gesellschafterbeschluss jederzeit aufgelöst werden. Das Gesetz gibt als Regelfall einen einstimmigen Gesellschafterbeschluss vor, im Gesellschaftsvertrag kann aber auch ein einfacher Mehrheitsbeschluss vorgesehen werden. Für den Auflösungsbeschluss ist keine bestimmte gesetzliche Form vorgeschrieben und er kann weder durch Gesellschaftsvertrag noch durch einen Vertrag mit Dritten ausgeschlossen werden. Solange die Offene Handelsgesellschaft nicht vollbeendet ist, können die Gesellschafter Fortsetzung der aufgelösten Gesellschaft beschließen.

  • Auflösung durch Eröffnung eines Insolvenzverfahrens

Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Offene Handelsgesellschaft wird die Gesellschaft aufgelöst. Eine Abwicklung nach den Regelungen der §§ 143 ff HGB findet in diesem Fall nicht statt. Stattdessen wird das Vermögen der Offenen Handelsgesellschaft nach den Vorschriften der Insolvenzordnung durch den Insolvenzverwalter zugunsten der Gläubiger verwaltet und verwertet. Daneben ist es Aufgabe des Insolvenzverwalters, die Gesellschaft bis zur Vollbeendigung abzuwickeln.

Unter bestimmten Voraussetzungen können die Gesellschafter beschließen, die Gesellschaft fortführen. Die Voraussetzungen einer Fortführung sind in § 142 HGB geregelt. Möglich ist die Fortsetzung beispielsweise, wenn das Insolvenzverfahren auf Antrag des Schuldners, also der Offenen Handelsgesellschaft, eingestellt wird. Oder wenn der Insolvenzplan, der ein Fortbestehen der Gesellschaft vorsieht, bestätigt wurde. Auch andere Fälle der Beendigung des Insolvenzverfahrens, etwa die Verfahrenseinstellung mangels Masse, ermöglichen eine Fortsetzung, sofern die materielle Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) behoben wird, da die Gesellschafter ihre Handlungsbefugnis zurückerlangen.

  • Auflösungsklage

Beim Vorliegen eines wichtigen Grundes haben die Gesellschafter die Möglichkeit die Auflösung der Gesellschaft einzuklagen. Die Auflösungsklage führt zur Zerschlagung der Gesellschaft und kann nur als letztes Mittel der Wahl angesehen werden. Deshalb müssen wichtige Gründe für eine Auflösungsklage vorliegen. Ein solcher Grund ist beispielsweise gegeben, wenn ein Gesellschafter eine wesentliche Gesellschafterpflicht verletzt, sich persönlich bereichert oder Straftaten zu Lasten der Gesellschaft begeht.

  • Tod eines Gesellschafters

Der Tod eines Gesellschafters führt nicht automatisch zur Auflösung der Gesellschaft. Wenn im Gesellschaftsvertrag dazu nichts geregelt ist, geht der Gesetzgeber von der Fortführung der Gesellschaft aus. Anders ist es, wenn der Gesellschaftsvertrag die Auflösung beim Tod bzw. Wegfall eines Gesellschafters vorsieht. Besonderheiten sind nur dann zu beachten, wenn es um einen von zwei verbliebenen Gesellschaftern handelt.

  • Ausscheiden eines von zwei verbliebenen Gesellschaftern

Hat eine Offene Handelsgesellschaft nur (noch) zwei Gesellschafter, führt das Ausscheiden des einen Gesellschafters zum Erlöschen der Gesellschaft ohne Abwicklung. Das Gesellschaftsvermögen geht auf den verbliebenen Gesellschafter über. Der verbliebene Gesellschafter kann das Unternehmen alleine fortführen. Sofern das Unternehmen (noch) den Umfang eines Handelgewerbes einnimmt, müsste sich der verbliebene, fortführende Gesellschafter als „eingetragener Kaufmann (e.K)” im Handelsregister eintragen lassen.

  1. Besonderheiten, wenn kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist

Hier führen folgende weitere Gründe zur Auflösung der Gesellschaft

  • Rechtskraft des Beschlusses, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde
  • Löschung wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 FamFG
  • Eintragung der Auflösung

Die Auflösung muss in notariell beglaubigter Form von sämtlichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden, § 141 Abs. 1 HGB. Es empfiehlt sich den Auflösungsgrund bei der Anmeldung mit bekanntzugeben. Die Eintragung an sich hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Auflösung, da sie nur deklaratorisch ist. Mit der Eintragung wird die Auflösung aber dokumentiert und erleichtert so die Berechnung von Haftungsfristen.

Abweichendes gilt bei der Eröffnung oder Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft. In diesen Fällen muss das Gericht die Auflösung und ihren Grund von Amts wegen im Handelsregister eintragen. Bei Löschung wegen Vermögenslosigkeit der Gesellschaften entfällt die Eintragung der Auflösung der Gesellschaft.

  • Liquidatoren

Die Liquidatoren haben Geschäftsführer- und Vertretungsbefugnisse. Sie vertreten die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Allerdings sind diese Befugnisse auf den Abwicklungszweck beschränkt.

Das Abwicklungsverfahren besteht im wesentlichen aus fünf Aufgaben:

  • Aufstellung einer Bilanz
  • Beendigung aller laufender Geschäfte
  • Forderungseinzug und Schuldenbegleichung
  • Umsetzung des restlichen Vermögens
  • Verteilung des Gesellschaftsvermögens

Bestellt werden die Liquidatoren aufgrund gesetzlicher oder gesellschaftsvertraglicher Regelung. Nach dem Gesetz werden sämtliche Gesellschafter automatisch zu Liquidatoren. Grundsätzlich können die Gesellschafter aber im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss einen oder mehrere Liquidatoren bestimmen. Beim Vorliegen eines wichtigen Grundes kann jeder Abwicklungsbeteiligte die gerichtliche Bestellung von Liquidatoren beantragen.

Neben der Auflösung müssen alle Gesellschafter die Liquidatoren und deren Vertretungsmacht zur Eintragung ins Handelsregister anmelden. Die Liquidatoren müssen mit Beginn der Abwicklung eine Eröffnungsbilanz erstellen. Diese dient als reine Vermögensbilanz die den Liquidatoren einen Überblick über das Gesellschaftsvermögen schaffen soll. Mit Beendigung der Abwicklung ist ebenfalls eine Bilanz aufzustellen. Diese dient dann bei der Verteilung des Geschäftsvermögens als Grundlage.

  • Beendigung der laufenden Geschäfte, geordnete Abwicklung

Die Liquidatoren müssen die laufenden Geschäfte beenden, vgl. Hopt-Roth, HGB, 42. Aufl. 2023, § 149 Rn. 2.

Außerdem sind schwebende Verfahren weiterzuführen und abzuschließen. Zur Befriedigung schwebender Geschäfte (§ 147 Abs. 1 S. 1 HGB)dürgen die Liquidatoren neue Geschäfte eingehen.

Die Liquidatoren haben die Forderungen der Gesellschaft einzuziehen und das übrigen Vermögensgegen in Geld umzusetzen, vgl. Hopt-Roth, HGB, 42. Aufl. 2023, § 149 Rn. 3, 4.

Denkbar ist aber auch, dass neue Geschäfte getätigt werden, um den laufenden Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten um so eine geordnete Abwicklung erst zu ermöglichen.

  • Einzug/Begleichung von Forderungen

Sämtliche Forderungen der Gesellschaft sind fällig zu stellen und einzufordern. Notfalls sind sie einzuklagen. Alle anfallenden Maßnahmen, die zum Einzug oder sonstiger Verwertung von Forderungen zweckdienlich sind, zählen hier zu den Aufgaben der Liquidatoren.

Gleichermaßen müssen die Liquidatoren alle Schulden der Gesellschaft tilgen.vgl. Hopt-Roth, HGB, 42. Aufl. 2023, § 149 Rn. 2 die Liquidatoren haben die Klägbiger zu begriedigen. Sie haften diesen nur nach § 826 BGB. § 147 HGB ust bucgt Geettz zum Schutz der Gläubiger i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB, vgl. vgl. Hopt-Roth, HGB, 42. Aufl. 2023, § 149 Rn. 5.

Die Begründetheit der Forderung ist vor Bezahlung zu überprüfen und bei Bedarf sind Einwendungen oder Klage zu erheben.

  • Umsetzung des Restvermögens

Das verbleibende Vermögen ist unter den Gesellschaftern aufzuteilen. Der Verteilungsmaßstab für die Gesellschafter ist hierbei der jeweilige Kapitalanteil an der Gesellschaft. Es ist das gesamte Geldvermögen der Gesellschaft aufzuteilen, wobei die Kosten für die Verwahrung der Unterlagen im Vorfeld abzuziehen sind. Im Gesellschaftsvertrag kann auch eine andere Art der Auseinandersetzung vereinbart werden. Es ist auch möglich, solche Vereinbarungen auch noch während des Abwicklungsverfahrens zu treffen.

  • Abschluss der Abwicklung

Mit Abschluss der Schlussverteilung oder mit der Hinterlegung im Streitfall ist die Abwicklung beendet. Nach Vollbeendigung kann die Gesellschaft nicht mehr wiederhergestellt werden. Die Gesellschafter können nur eine völlig neue Gesellschaft gründen. Die Beendigung der Abwicklung muss von allen Gesellschaftern zur Eintragung ins Handelsregister angemeldet werden. Bei der Eintragung ist mit anzugeben, wo die Bücher und Papiere der Gesellschaft verwahrt werden. Die Löschung der Gesellschaft wird von Amtswegen durch das Registergericht bekannt gegeben. Eine zusätzliche Veröffentlichung seitens der Liquidatoren ist nicht notwendig. Sofern noch nicht geschehen, ist das Gewerbe der Gesellschaft beim Gewerbeamt abzumelden.

  • Nachtragsabwicklung

Sollte sich nach Beendigung der Abwicklung herausstellen, das die Gesellschaft doch noch über Vermögen verfügt bzw. noch Abwicklungsmaßnahmen durchzuführen sind, dann kann die Gesellschaft für die Dauer der Abwicklung mit den selben Liquidatoren als wieder in Abwicklung befindlich eingetragen werden.

Die Voraussetzungen sind in § 143 Abs. 1 S. 2 HGB: geregelt:

  • durch Löschung wegen Vermögenslosigkeit aufgelöst;
  • nach der Löschung herausstellt, dass noch Vermögen vorhanden.
  • Haftung

Ansprüche aus Gesellschaftsverbindlichkeiten verjähren fünf Jahre nach Eintragung der Auflösung in das Handelsregister. Wird eine Forderung erst nach Eintragung der Auflösung fällig, so läuft die Frist ab diesem Zeitpunkt. Die Liquidatoren haften gegenüber der Gesellschaft nach den gleichen Grundsätzen wie geschäftsführende Gesellschafter.

Ihr Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Meine Unterstützung richtet sich, entsprechend dem mir zu erteilenden Auftrag von Unternehmen aus Berlin, Deutschland und international.

EU hat AI Act verabschiedet

Einheitliche Regeln für Künstliche Intelligenz in der EU

Die EU-Mitgliedstaaten haben das weltweit erste Gesetz zur Regulierung von KI verabschiedet. Die Bundesregierung steht für eine Balance zwischen Innovation und Risikoschutz. Sie muss den AI Act nun in nationales Recht umsetzen.

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) wird in Zukunft eine immer größere Rolle spielen – sei es im Arbeitsalltag oder privat zuhause. Um das Vertrauen in die Technologie zu stärken, braucht es klare Regeln.

Künstliche Intelligenz beschreibt die Fähigkeit von Maschinen, basierend auf Algorithmen Aufgaben autonom auszuführen und dabei die Problemlösungs- und Entscheidungsfähigkeiten des menschlichen Verstandes nachzuahmen.

Der Rat der 27 EU-Mitgliedstaaten hat am 21. Mai 2024 daher den AI Act und damit einen einheitlichen Rahmen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Europäischen Union verabschiedet. Die KI-Verordnung ist das weltweilt erste umfassende Regelwerk für KI. Mit dem AI Act hat die EU nun ein starkes Fundament für die Regulierung von Künstlicher Intelligenz, das Vertrauen und Akzeptanz in die Technologie schafft und Innovationen „made in Europe“ ermöglicht.

AI Act: Strenge Vorgaben bei hohem Risiko

Der  AI Act schreibt vor, dass KI-Anwendungen nicht missbraucht werden dürfen. Ebenso muss der Schutz der Grundrechte gewährleistet sein. Gleichzeitig brauchen Wissenschaft und Wirtschaft Freiraum für Innovationen. Der AI Act verfolgt hier einen sogenannten risikobasierten Ansatz. Das heißt, je höher das Risiko bei der Anwendung eingeschätzt wird, desto strenger sind auch die Vorgaben.

Ein inakzeptables Risiko stellen zum Beispiel KI-Systeme dar, die eingesetzt werden können, um das Verhalten von Personen gezielt zu beeinflussen und sie so zu manipulieren. Für sie gilt ein Verbot, genauso wie für KI-basiertes „Social Scoring“, also die Vergabe von Punkten nach erwünschtem Verhalten.

Es gibt außerdem eine Transparenzpflicht. Das heißt, künstlich erzeugte oder bearbeitete Inhalte (Audios, Bilder, Videos) müssen eindeutig als solche gekennzeichnet werden.

Hochriskante KI-Systeme – zum Beispiel in den Bereichen kritische Infrastruktur, Beschäftigung sowie Gesundheits- oder Bankenwesen – müssen eine Reihe von Anforderungen erfüllen, um für den EU-Markt zugelassen zu werden. Für Anwendungen mit einem geringen Risiko gelten lediglich eingegrenzte Transparenz- und Informationspflichten.

EU will „Gesellschaft fit für die Zukunft machen“

Die EU-Mitgliedstaaten müssen den AI Act nun in nationales Recht umsetzen. Bundesdigitalminister Volker Wissing dazu: „Wir brauchen KI in allen Bereichen, wenn wir unsere Gesellschaft fit für die Zukunft machen und unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig halten wollen.“ Die KI-Verordnung könne die Grundlage für einen breiten und sicheren Einsatz von KI in unserem Land sein. Gleichzeitig betonte Wissing, dass bei der Umsetzung in nationales Recht darauf zu achten ist, die maximalen Spielräume für Innovationen zu nutzen, „damit KI-Unternehmen in Deutschland und Europa eine Zukunft haben“.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich am 21. Mai 2024 auf Einladung Südkoreas und Großbritanniens an einem KI-Gipfel beteiligt. Während auf der Vorgängerkonferenz im Herbst 2023 in London das Thema Sicherheit besprochen wurde, tauschten sich die Staats- und Regierungschefs nun darüber aus, wie man Innovationen durch KI besser fördern kann – und wie sichergestellt wird, dass möglichst viele Menschen von den neuen technologischen Möglichkeiten profitieren.

So fördert die Bundesregierung KI

Der Bundesregierung ist es wichtig, sich mit den Risiken auseinandersetzen, gleichzeitig aber auch die Chancen von KI zu betonen. Für diese Balance setzt sie sich ein. Mit ihrer nationalen KI-Strategie will die Bundesregierung Deutschland zu einem führenden Standort für die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien machen. Dafür unterstützt sie die Erforschung und Anwendung von KI in einer Reihe von Vorhaben, zum Beispiel deutschlandweit in neu eingerichteten KI-Servicezentren für die Wissenschaft und Wirtschaft, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen.

AI Act – Juristische Beratung zur KI-VO

Was Unternehmen über die AI-Verordnung der EU wissen müssen

Was die Veröffentlichung von ChatGPT mit dem neuen AI Act der EU zu tun hat und welche Auswirkungen das Ganze auf Unternehmen haben wird.

Die Veröffentlichung von ChatGPT schlug hohe Wellen bei Fans und Kritikern der künstlichen Intelligenz. Begeisterung über erste Gehversuche mit dem Programm traf schnell auf mahnende Stimmen; schließlich folgte sogar die Warnung führender KI-Unternehmer, innezuhalten und sich auf einen Regelkatalog für die revolutionäre Technologie zu einigen.

Jedem ist klar, dass künstliche Intelligenz reguliert werden muss. Vorschläge für einen freiwilligen KI-Verhaltenskodex kursieren, auch die Forderung nach einer unabhängigen internationalen Behörde zur Überwachung von KI steht im Raum.

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner, Berlin
Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner

Im Dezember 2023 erzielte die EU nach 37 Stunden Verhandlungen eine vorläufige Einigung über ihr KI-Gesetz. Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, bezeichnete diese Entwicklung als „historisch“. Sie soll das erste umfassende internationale Gesetz zur Regulierung der künstlichen Intelligenz einleiten.

Was plant die EU?

Brüssel geht es darum, einen verantwortungsvollen Umgang mit künstlicher Intelligenz zu etablieren. Die Regulierungen der EU sollen dafür sorgen, dass die neuen Möglichkeiten zum Wohl der Öffentlichkeit eingesetzt werden und Persönlichkeitsrechte geschützt werden.

Um das Feld zu regulieren, unterscheidet Brüssel die KI-Anwendungsfelder nach den vier Risikoklassen niedrig, mittel, hoch und inakzeptabel.

Inakzeptable KI-Anwendungen sind etwa in Echtzeit und ferngesteuerte Gesichtserkennungssysteme oder sprachgesteuerte, verhaltensmanipulierende Anwendungen. Auch Anwendungen, die zur Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern dienen und damit demokratiefeindlichen Zwecken dienen können, fallen in diese Kategorie.

Als KI-Anwendungen mit hohem Risiko klassifiziert die EU nach dem bisherigen Plan Anwendungen für biometrische Identifizierung, für den Betrieb von kritischer Infrastruktur, für Bildungs- und Ausbildungszwecke, für Grenzkontrollen und z. B. im Rechtsbereich.

Im mittleren Risikobereich sieht Brüssel generative KI wie ChatGPT, die Bilder und Texte generieren kann. Geht es nach der EU, unterliegt ChatGPT künftig besonderen Transparenzregeln: Nutzerinnen und Nutzer müssen informiert werden, dass sie ein KI-generiertes Bild oder einen KI-generierten Text vor sich haben und die Hersteller müssen sicherstellen, dass Anwendungen wie ChatGPT nicht für die Produktion von illegalen Inhalten verwendet werden.

Einzig KI-Anwendungen mit niedrigem Risiko, etwa Programme die Bilder manipulieren können, sollen mit niedrigen Transparenz-Anforderungen belegt werden.

Zur Regulierung sieht Brüssel Risikomanagement-Systeme für die Anwendungen vor, die stetig aktualisiert werden müssen. Auch eine technische Dokumentation, eine menschliche Aufsicht und die Möglichkeit der Abschaltung werden gefordert. Beim Verstoß gegen die Regulierungen sollen Unternehmen mit Strafen bis zu 40 Millionen Euro oder 7 Prozent des Jahresumsatzes belegt werden.

Im Juni wurde der AI Act bereits im Europaparlament angenommen. Im nächsten Schritt müssen sich die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten abstimmen, schon zum Jahresende könnte die Regulierung in Kraft treten. Nach einigen Übergangsfristen würden die Regeln dann voraussichtlich ab 2026 greifen. Über die Einzelheiten des Gesetzes muss noch entschieden werden – es wird wahrscheinlich frühestens 2025 in Kraft treten.

Schützender Standard oder Bremse?

Manche KI-Experten sind der Ansicht, gut definierte Standards für KI auf europäischer Ebene könnten für Deutschland und Europa zum Standortvorteil werden, weil Nutzerinnen und Nutzer dann wüssten, worauf sie sich einlassen.

Doch mehr als 100 hochrangige europäische Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter, darunter die CEOs von Siemens, Airbus und ARM, beklagten im Juni 2023 in einem Brandbrief, das geplante Gesetz gehe zu weit.

Ein besonderer Dorn im Auge sind ihnen Brüssels Regulierungsansätze für die generative KI nach dem Vorbild von ChatGPT, die Bilder und Texte generieren können. Ihre Sorge: Unternehmen müssten dann eventuell allein für die Transparenz-Anforderungen der EU für generative KI-Anwendungen eigene Compliance-Abteilungen einrichten. Der damit verbundene Aufwand und die Kosten würden die Wettbewerbsfähigkeit Europas gefährden und Unternehmen dazu zwingen, ihre Aktivitäten ins Ausland zu verlagern, argumentieren die Unterstützer des Briefes.

Die europäischen Wirtschaftsvertreter fürchten, dass mit der Regulierung aus Brüssel die Entwicklung von KI-Anwendungen behindert wird, während vor allem in den USA die weitgehend unregulierte Konkurrenz ungehemmt voranpreschen kann. Deshalb forderten die Wirtschaftsbosse eine engere Abstimmung der EU mit den USA, um ein transatlantisches Regelwerk aufzustellen.

Tatsächlich lässt auch die US-Regierung derzeit prüfen, ob die USA die Branche regulieren sollten; denkbar wäre auch ein Zertifizierungsprozess für Anwendungen. US-Regierungsbehörden werden beim Einsatz von künstlicher Intelligenz bereits Regeln auferlegt, für die freie Wirtschaft gelten sie jedoch noch nicht. Ob die EU und die USA sich bei der Regulierung von KI tatsächlich enger abstimmen, ist noch nicht abschätzbar – undenkbar ist es nicht.

Rat der Europäischen Union Pressemitteilung 9 Dezember 2023

Gesetz über künstliche Intelligenz: Rat und Parlament einigen sich über weltweit erste Regelung von KI

Nach dreitägigen Marathonverhandlungen haben der Ratsvorsitz und die Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments eine vorläufige Einigung über die vorgeschlagenen harmonisierten Vorschriften für künstliche Intelligenz – das sogenannte KI-Gesetz – erzielt. Mit dem Verordnungsentwurf soll gewährleistet werden, dass KI-Systeme, die auf dem EU-Markt in Verkehr gebracht und in der Union verwendet werden, sicher sind und die Grundrechte und die Werte der EU wahren. Ziel dieses wegweisenden Vorschlags ist es auch, Investitionen und Innovationen im KI-Bereich in Europa anzuregen.

Dies ist eine historische Errungenschaft und ein großer Schritt in die Zukunft! Mit der heutigen Einigung gehen wir eine globale Herausforderung in einem technologischen Umfeld an, das im raschen Wandel begriffen ist, und das ein Schlüsselbereich für die Zukunft unserer Gesellschaften und Volkswirtschaften ist. Dabei ist es uns gelungen, ein äußerst empfindliches Gleichgewicht zu wahren, nämlich einerseits Innovationen und die Nutzung von künstlicher Intelligenz in Europa zu fördern und andererseits dafür zu sorgen, dass die Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger uneingeschränkt geachtet werden. Carme Artigas, spanische Staatssekretärin für Digitalisierung und künstliche Intelligenz

Das KI-Gesetz ist eine legislative Leitinitiative und hat das Potenzial, die Entwicklung und Verbreitung sicherer und vertrauenswürdiger KI durch private und öffentliche Akteure im gesamten EU-Binnenmarkt zu fördern. Im Wesentlichen geht es darum, KI zu regulieren, da sie gesellschaftlichen Schaden anrichten könnte; dabei gilt es, einen „risikobasierten“ Ansatz zu verfolgen: Je höher das Risiko, desto strenger die Vorschriften. Als weltweit erster Legislativvorschlag dieser Art könnte er – wie schon die DSGVO – zu einem globalen Standard für die Regulierung von KI in anderen Rechtsräumen werden und so dem europäischen Ansatz bei der Regulierung von Technologien auf globaler Ebene größere Geltung verschaffen.

Wichtigste Bestandteile der vorläufigen Einigung

Im Vergleich zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag lassen sich die wichtigsten neuen Elemente der vorläufigen Einigung wie folgt zusammenfassen:

  • Vorschriften für KI-Systeme mit allgemeinem Verwendungszweck und beträchtlichen Auswirkungen, die zukünftig systemische Risiken verursachen können, sowie für Hochrisiko-KI-Systeme
  • ein überarbeitetes Governance-System mit bestimmten Durchsetzungsbefugnissen auf EU-Ebene
  • eine Erweiterung der Liste der Verbote, jedoch mit der Möglichkeit, den Strafverfolgungsbehörden vorbehaltlich bestimmter Schutzvorkehrungen zu erlauben, im öffentlichen Raum biometrische Fernidentifizierung einzusetzen
  • besser geschützte Rechte, indem die Betreiber von Hochrisiko-KI-Systemen verpflichtet werden, vor der Inbetriebnahme eines KI-Systems eine Folgenabschätzung in Bezug auf die Grundrechte durchzuführen.

Konkret geht es in der vorläufigen Einigung um folgende Aspekte:

Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich

Um sicherzustellen, dass die Definition eines KI-Systems ausreichend klare Kriterien zur Unterscheidung zwischen KI und einfacheren Softwaresystemen enthält, wird sie im ausgehandelten Kompromiss an den von der OECD vorgeschlagenen Ansatz angepasst.

Außerdem wird klargestellt, dass die Verordnung nur für Bereiche gilt, die in den Anwendungsbereich des EU-Rechts fallen, und keinesfalls die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten oder anderer, mit entsprechenden Aufgaben betrauter Stellen in Bezug auf die nationale Sicherheit berühren sollte. Darüber hinaus wird das KI-Gesetz nicht für Systeme gelten, die ausschließlich militärischen oder verteidigungspolitischen Zwecken dienen. Ausgenommen sind auch KI-Systeme, die ausschließlich für Forschung und Innovation verwendet werden, sowie Personen, die KI aus nichtgewerblichen Gründen nutzen.

Klassifizierung von KI-Systemen als Hochrisiko-Systeme und verbotene KI-Praktiken

Der ausgehandelte Kompromiss enthält eine horizontale Schutzebene (zu der auch die Hochrisiko-Klassifizierung gehört), um sicherzustellen, dass KI-Systeme, die wahrscheinlich keine schwerwiegenden Grundrechtsverletzungen oder andere bedeutende Risiken verursachen, nicht erfasst werden. Für KI-Systeme mit begrenztem Risiko würden nur sehr geringe Transparenzpflichten gelten, z. B. die Offenlegung, dass die Inhalte KI-generiert sind, sodass Nutzerinnen und Nutzer fundierte Entscheidungen über deren Weiterverwendung treffen können.

Eine ganze Reihe von Hochrisiko-KI-Systemen würden zugelassen, müssten aber bestimmte Anforderungen und Verpflichtungen erfüllen, um Zugang zum EU-Markt zu erhalten. Die Anforderungen wurden dahingehend präzisiert und angepasst, dass sie technisch machbarer sind und für die, die sie einhalten müssen, eine geringere Belastung darstellen, wenn es zum Beispiel um die Datenqualität oder die technische Dokumentation geht, die von KMU erstellt werden sollte, um nachzuweisen, dass ihre Hochrisiko-KI-Systeme den Anforderungen entsprechen.

Da KI-Systeme über komplexe Wertschöpfungsketten entwickelt und verbreitet werden, enthält der ausgehandelte Kompromiss Änderungen, mit denen die Zuweisung der Zuständigkeiten und Aufgaben der verschiedenen Akteure in diesen Ketten, insbesondere der Anbieter und Nutzer von KI-Systemen, klargestellt werden. Präzisiert wird auch die Beziehung zwischen den Verantwortlichkeiten im Rahmen des KI-Gesetzes und jenen, die bereits im Rahmen anderer Rechtsvorschriften bestehen, wie etwa der einschlägigen Datenschutz- oder sektoralen Rechtsvorschriften der EU.

KI-Anwendungen, deren Risiko als unannehmbar gilt, werden in der EU verboten. Unter dieses Verbot sollen laut vorläufiger Einigung unter anderem folgende Anwendungen fallen: kognitive Verhaltensmanipulation, das ungezielte Auslesen („Scraping“) von Gesichtsbildern aus dem Internet oder aus CCTV-Aufzeichnungen, Emotionserkennung am Arbeitsplatz oder in Bildungseinrichtungen, Sozialkreditsysteme, biometrische Kategorisierung, die auf sensible Daten wie die sexuelle Orientierung oder religiöse Überzeugungen schließen lässt, sowie bestimmte Fälle vorausschauender Polizeiarbeit („Predictive Policing“) in Bezug auf einzelne Personen.

Ausnahmen für die Strafverfolgung

Angesichts der besonderen Situation von Strafverfolgungsbehörden und der Notwendigkeit, dass sie weiterhin in der Lage sein müssen, KI für ihre unverzichtbare Arbeit zu nutzen, wurden mehrere Änderungen des Kommissionsvorschlags in Bezug auf den Einsatz von KI-Systemen für Strafverfolgungszwecke vereinbart. Vorbehaltlich angemessener Schutzvorkehrungen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Vertraulichkeit sensibler operativer Daten im Zusammenhang mit den Tätigkeiten der Strafverfolgungsbehörden gewahrt werden muss. So wurde beispielsweise ein Notfallverfahren eingeführt, das es Strafverfolgungsbehörden erlaubt, in dringenden Fällen auch Hochrisiko-KI-Instrumente einzusetzen, die das Konformitätsbewertungsverfahren nicht bestanden haben. Zugleich wurde jedoch ein spezifischer Mechanismus eingeführt, um sicherzustellen, dass die Grundrechte ausreichend vor potenziellem Missbrauch durch KI-Systeme geschützt werden.

In Bezug auf die Verwendung biometrischer Echtzeit-Fernidentifizierungssysteme im öffentlichen Raum werden zudem die Ziele präzisiert, für die eine solche Verwendung zu Strafverfolgungszwecken unbedingt notwendig ist, und zu denen den Strafverfolgungsbehörden die Verwendung solcher Systeme daher ausnahmsweise gestattet werden sollte. In der Kompromissvereinbarung sind jedoch zusätzliche Schutzvorkehrungen vorgesehen; zudem bleiben die genannten Ausnahmen auf Fälle und Situationen beschränkt, in denen es um Opfer bestimmter Straftaten, um die Verhütung echter, gegenwärtiger bzw. vorhersehbarer Bedrohungen wie Terroranschläge oder um die Suche nach Personen geht, die schwerster Straftaten verdächtigt werden.

KI-Systeme mit allgemeinem Verwendungszweck und Basismodelle

Neue Bestimmungen wurden hinzugefügt, um Situationen Rechnung zu tragen, in denen KI-Systeme für viele verschiedene Zwecke genutzt werden können (KI mit allgemeinem Verwendungszweck) und die Technologie anschließend in ein anderes System integriert wird, das als hochriskant gilt. In der vorläufigen Einigung wird auch auf den Sonderfall der KI-Systeme mit allgemeinem Verwendungszweck („general purpose artificial intelligence systems“, GPAI) eingegangen.

Spezielle Vorschriften sollen auch für Basismodelle gelten – große Systeme, die ein breites Spektrum verschiedener Aufgaben erfüllen und z. B. Videos, Texte und Bilder erzeugen, Gespräche führen, Daten verarbeiten und Computercodes erstellen können. So ist vorgesehen, dass sie bestimmte Transparenzpflichten erfüllen müssen, bevor sie in Verkehr gebracht werden dürfen. Für Basismodelle mit erheblichen Auswirkungen wurde eine strengere Regelung eingeführt. Dabei geht es um Basismodelle, die mit großen Datenmengen trainiert werden und durch ihre fortgeschrittene Komplexität, Fähigkeiten und Leistung weit über dem Durchschnitt liegen. Dies birgt die Gefahr, dass systemische Risiken entlang der Wertschöpfungskette weiterverbreitet werden.

Eine neue Governance-Architektur

Nach den neuen Vorschriften für GPAI-Modelle und angesichts der offenkundigen Notwendigkeit ihrer Durchsetzung auf EU-Ebene wird bei der Kommission ein Amt für künstliche Intelligenz („KI-Amt“) eingerichtet. Seine Aufgabe wird es sein, die am weitesten fortgeschrittenen KI-Modelle zu überwachen; daneben soll es Normen und Testverfahren fördern und die gemeinsamen Vorschriften in allen Mitgliedstaaten durchsetzen. Ein wissenschaftliches Gremium unabhängiger Sachverständiger wird das KI-Amt zu GPAI-Modellen beraten. So soll es dazu beitragen, Methoden zur Bewertung der Fähigkeiten von Basismodellen zu entwickeln, sich zur Benennung und Entstehung von Basismodellen mit erheblichen Auswirkungen äußern und mögliche materielle Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit Basismodellen überwachen.

Der aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzte Ausschuss für künstliche Intelligenz (KI-Ausschuss), soll wie vorgeschlagen als Koordinierungsplattform und beratendes Gremium für die Kommission fungieren. Die Mitgliedstaaten würden somit eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Verordnung spielen, etwa bei der Ausarbeitung von Verhaltenskodizes für Basismodelle. Schließlich wird ein Beratungsforum für Interessenträger wie Vertreter der Industrie, KMU, Start-ups, Zivilgesellschaft und Hochschulen/Wissenschaft eingerichtet, das dem KI-Ausschuss technisches Fachwissen zur Verfügung stellt.

Sanktionen

Die Geldbußen für Verstöße gegen das KI-Gesetz wurden als Prozentsatz des weltweiten Jahresumsatzes des zuwiderhandelnden Unternehmens im vorangegangenen Geschäftsjahr bzw. als im Voraus festgelegter Betrag festgelegt, je nachdem, welcher Betrag höher ist. Das wären 35 Mio. € bzw. 7 % für Verstöße im Zusammenhang mit verbotenen KI-Anwendungen, 15 Mio. € bzw. 3 % für Verstöße gegen die im KI-Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtungen und 7,5 Mio. € bzw. 1,5 % für die Bereitstellung von Fehlinformationen. Für KMU und Start-ups sind jedoch verhältnismäßigere Obergrenzen vorgesehen.

Im ausgehandelten Kompromiss wird auch klargestellt, dass eine natürliche oder juristische Person bei der zuständigen Marktüberwachungsbehörde eine Beschwerde wegen Nichteinhaltung des KI-Gesetzes einreichen und erwarten kann, dass eine solche Beschwerde gemäß den dafür eingerichteten Verfahren dieser Behörde bearbeitet wird.

Transparenz und Schutz der Grundrechte

In der vorläufigen Einigung ist eine Folgenabschätzung in Bezug auf die Grundrechte vorgesehen, die durchgeführt werden muss, bevor ein Hochrisiko-KI-System in Verkehr gebracht wird. Zudem wird mehr Transparenz bei der Verwendung von Hochrisiko-KI-Systemen gefordert. Insbesondere wurden einige Bestimmungen des Kommissionsvorschlags geändert, um darauf hinzuweisen, dass bestimmte Nutzer von Hochrisiko-KI-Systemen, die öffentliche Einrichtungen sind, ebenfalls verpflichtet sein werden, sich in der EU-Datenbank für Hochrisiko-KI-Systeme zu registrieren. Darüber hinaus wurden Bestimmungen hinzugefügt, bei denen der Schwerpunkt auf der Pflicht für Nutzer eines Emotionserkennungssystems liegt, die von dem System betroffenen natürlichen Personen entsprechend zu informieren.

Maßnahmen zur Innovationsförderung

Mit dem Ziel, einen innovationsfreundlicheren Rechtsrahmen zu schaffen, und um faktengestütztes regulatorisches Lernen zu fördern, wurden die Bestimmungen in Bezug auf Maßnahmen zur Innovationsförderung im Vergleich zum Kommissionsvorschlag maßgeblich geändert.

Insbesondere wurde klargestellt, dass die regulatorischen KI-Reallabore, die eine kontrollierte Umgebung für die Entwicklung, Testung und Validierung innovativer KI-Systeme schaffen sollen, auch das Testen innovativer KI-Systeme unter realen Bedingungen ermöglichen sollten. Ferner wurden neue Bestimmungen aufgenommen, wonach KI-Systeme unter realen Bedingungengetestet werden können, wenn bestimmte Bedingungen und Schutzvorkehrungen erfüllt werden. Um den Verwaltungsaufwand für kleinere Unternehmen zu mindern, sind Maßnahmen zu ihrer Unterstützung aufgelistet und einige begrenzte, klar festgelegte Ausnahmeregelungen vorgesehen.

Inkrafttreten

Laut vorläufiger Einigung soll das KI-Gesetz – mit Ausnahme einiger spezifischer Bestimmungen – zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten zur Anwendung kommen.

Nächste Schritte

Nach der heute erzielten vorläufigen Einigung werden die Arbeiten in den kommenden Wochen auf fachlicher Ebene fortgesetzt, um die Einzelheiten der neuen Verordnung fertigzustellen. Anschließend wird der Vorsitz den Vertretern der Mitgliedstaaten (AStV) den Kompromisstext zur Billigung vorlegen.

Der vollständige Text muss dann noch vom Rat und vom Parlament bestätigt und von den Rechts- und Sprachsachverständigen überarbeitet werden, bevor er von den beiden gesetzgebenden Organen förmlich angenommen wird.

Diese Pressemitteilung wurde am 2. Februar 2024 aktualisiert, um den endgültigen Kompromisstext im Hinblick auf eine Einigung hinzuzufügen.

BFH Urteil vom 19. März 2024, II R 33/22

Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. März 2024, Aktenzeichen II R 33/22, befasst sich mit der Bekanntgabe eines Grunderwerbsteuerbescheids bei einem Formwechsel einer KG in eine GmbH. Es wurde entschieden, dass ein solcher Bescheid auch nach dem Formwechsel an die KG wirksam ist, da sich lediglich die Rechtsform ändert, während die rechtliche und wirtschaftliche Identität der Gesellschaft unverändert bleibt.

BFH Urteil vom 19. März 2024, II R 33/22

Rechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner, BerlinRechtsanwalt Dr. Dietmar Höffner berät zu grenzüberschreitenden Formwechsel. Er begleitet fachkundig den gesamte (grenzüberschreitenden) Formwechselvorgang und arbeitet dafür mit versierten Partnern zusammen, insbesondere erfahrene Notaren in Deutschland, versierte Buch- und Wirtschaftsprüfer und für den Gründungsvorgang im jeweiligen Ausland die ausländischen Rechtsanwaltskollegen und die dort benötigten Notare.

Leitsätze

Wird eine KG formwechselnd in eine GmbH umgewandelt, ist ein nach dem Formwechsel noch an die KG adressierter Grunderwerbsteuerbescheid wirksam. Bei einem Formwechsel ändert sich nur die Rechtsform, während die rechtliche und wirtschaftliche Identität der Gesellschaft unverändert bleibt. Bei einer falschen Adressierung handelt es sich allenfalls um die unrichtige Bezeichnung ein und derselben Rechtsperson.

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine ausländische Kapitalgesellschaft, ist durch mehrere Umwandlungen entstanden. Sie geht ursprünglich auf die KG1 zurück.Die KG1 war Eigentümerin eines Grundstücks in X. Kommanditisten der KG1 waren A mit einer Beteiligung in Höhe von 58,9 %, B mit einer Beteiligung von 36,1 % und die KG2 mit einer Beteiligung von 5 %.

Mit Vertrag vom 30.09.2011 haben A und B ihre Anteile an der KG1 in die KG3 eingebracht, an der sie als (alleinige) Kommanditisten beteiligt waren, sodass die KG3 nun zu 95 % an der KG1 beteiligt war. A hielt an der KG3 einen Anteil in Höhe von 62 % und B einen Anteil in Höhe von 38 %.

    Am 28.08.2012 hat die KG3 die noch verbliebenen 5 % der Kommanditanteile der KG1 erworben. Am 29.08.2012 ist der Formwechsel der KG1 in die B-GmbH (Klägerin beim Finanzgericht ‑‑FG‑‑) erfolgt. Nach einer Umfirmierung der B-GmbH in die C-GmbH im Januar 2021 hat sich am 08.12.2021 der grenzüberschreitende Formwechsel der C-GmbH in die Klägerin angeschlossen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) hat aufgrund einer Kontrollmitteilung im Jahr 2014 Kenntnis von der am 30.09.2011 erfolgten Einbringung der Anteile der KG1 in die KG3 erhalten. Auf Anforderung hat die Klägerin (unter ihrer damaligen Firma B-GmbH) dem FA am 14.11.2014 unter anderem den Einbringungsvertrag übersandt. Außerdem hat sie mitgeteilt, dass die vormalige KG1 nunmehr die B-GmbH sei.

Am 08.04.2015 hat das FA einen Grunderwerbsteuerbescheid erlassen und ausgeführt, dass die Einbringung der Anteile von A und B an der KG1 in die KG3 zwar gemäß § 1 Abs. 2a des Grunderwerbsteuergesetzes in der im Streitzeitraum anwendbaren Fassung (GrEStG) der Grunderwerbsteuer unterliege, die Steuer aber nach § 6 Abs. 3 GrEStG wegen des Übergangs der Anteile von einer Gesamthand auf eine andere Gesamthand nicht erhoben werde. Der Bescheid war an die KG1 adressiert. Er ist bestandskräftig geworden.

Am 02.02.2018 hat das FA einen weiteren Grunderwerbsteuerbescheid erlassen, der an die Klägerin (unter ihrer damaligen Firma B-GmbH) als Rechtsnachfolgerin der KG1 adressiert war. Für den zum 01.10.2011 Wirkung entfaltenden Einbringungsvorgang vom 30.09.2011 hat es nunmehr, ausgehend von einem Schätzwert des Grundstücks in Höhe von … €, Grunderwerbsteuer in Höhe von … € festgesetzt. Die Steuerbegünstigung nach § 6 Abs. 3 GrEStG ist aufgrund des Formwechsels der KG1 in die B-GmbH im Jahr 2012 nicht mehr gewährt worden.

Während des gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 02.02.2018 geführten Einspruchsverfahrens hat das FA nach Erlass eines entsprechenden Wertfeststellungsbescheids mit Änderungsbescheid vom 22.08.2018 die Grunderwerbsteuer auf … € herabgesetzt.

Die nachfolgend erhobene Untätigkeitsklage blieb ohne Erfolg. Das FG kam zu dem Ergebnis, dass dem Erlass des Grunderwerbsteuerbescheids vom 02.02.2018 der bestandskräftige Grunderwerbsteuerbescheid vom 08.04.2015 nicht entgegengestanden habe, da dieser aufgrund falscher Adressatenbezeichnung nichtig gewesen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2022, 1774 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine rechtsfehlerhafte Anwendung des § 125 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO). Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 08.04.2015 sei nicht nichtig. Er sei an den richtigen Adressaten wirksam bekanntgegeben worden. Bei einer formwechselnden Umwandlung bleibe die Identität des Rechtsträgers erhalten. Deshalb richteten sich Verwaltungsakte, die trotz erfolgter formwechselnder Umwandlung unter Nennung der ehemaligen Rechtsform adressiert würden, dennoch an die zutreffende Rechtsperson. Es handele sich folglich um eine bloße falsche Bezeichnung der zutreffenden Rechtsperson, welche nicht zur Nichtigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids führe.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils sowie zur Stattgabe der Klage. Der Senat entscheidet in der Sache selbst und hebt den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid vom 02.02.2018 und den Änderungsbescheid vom 22.08.2018 auf (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Entgegen der Auffassung des FG stand dem Erlass des Grunderwerbsteuerbescheids vom 02.02.2018 und dem Änderungsbescheid vom 22.08.2018 die Steuerfestsetzung durch den Grunderwerbsteuerbescheid vom 08.04.2015 entgegen. Letztgenannter Bescheid wurde an die KG1 als richtige Inhaltsadressatin wirksam bekanntgegeben und erwuchs mangels Anfechtung in formelle und materielle Bestandskraft. Die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift (§§ 172 ff. AO) sind nicht erfüllt.

1. Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 08.04.2015 wurde der KG1 als richtige Inhaltsadressatin wirksam bekanntgegeben.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) muss ein Verwaltungsakt bestimmt, unzweideutig und vollständig den Willen der Behörde zum Ausdruck bringen und damit auch klar erkennen lassen, an wen er sich richtet (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 21.10.1985 – GrS 4/84, BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230, unter C.I.1., m.w.N.). Die Angabe des Inhaltsadressaten ist nach § 157 Abs. 1 Satz 2 AO konstituierender Bestandteil eines jeden Verwaltungsakts. In diesem muss gemäß § 119 Abs. 1 AO hinreichend bestimmt sein, wem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll (BFH-Urteil vom 11.11.2020 – XI R 11/18, BFHE 271, 41, BStBl II 2021, 415, Rz 27).

b) Ein nach einem Formwechsel im Sinne der §§ 190 ff., 214 ff. des Umwandlungsgesetzes (UmwG) noch an den formwechselnden Rechtsträger und nicht bereits an den Rechtsträger neuer Rechtsform adressierter Bescheid ist wirksam (ebenso FG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.12.2008 – 4 K 1236/07, EFG 2009, 894; FG Münster, Urteile vom 25.02.2005 – 9 K 861/02 G, EFG 2005, 1211; vom 25.04.2006 – 11 K 6822/02 und vom 06.10.2011 – 9 K 1308/10 K, EFG 2012, 990 [jeweils im Nachgang vom BFH aus anderen Gründen aufgehoben bzw. eingestellt]; Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ‑‑OVG‑‑ Berlin-Brandenburg vom 27.01.2011 – OVG 9 N 45.09; OVG-Urteil Nordrhein-Westfalen vom 20.08.2002 – 15 A 1031/01, Zeitschrift für Kommunalfinanzen 2003, 124; BeckOK AO/Füssenich, 27. Ed. [15.01.2024], AO § 125 Rz 32.3; Güroff in Gosch, AO § 122 Rz 9; Müller-Franken in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 122 AO Rz 222; Pahlke in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 122 AO Rz 144; Seer in Tipke/Kruse, § 122 AO Rz 25; a.A. FG Münster, Urteil vom 25.11.2021 – 5 K 3819/18 U, EFG 2022, 148; Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 03.12.2019 – AN 1 K 17.02722 [zu einem identitätswahrenden Formwechsel außerhalb des Umwandlungsgesetzes]). Die Falschbezeichnung ist insoweit unschädlich.

    aa) Nach § 190 Abs. 1 UmwG kann ein Rechtsträger durch Formwechsel eine andere Rechtsform erhalten. Formwechselnder Rechtsträger kann gemäß § 191 Abs. 1 Nr. 1 UmwG eine Personenhandelsgesellschaft sein. Rechtsträger neuer Rechtsform kann gemäß § 191 Abs. 2 Nr. 2 UmwG eine Kapitalgesellschaft sein. Der Formwechsel führt zwar zu einer Änderung der Rechtsform. Die rechtliche und wirtschaftliche Identität der Gesellschaft bleibt jedoch unverändert; die Gesellschaft tauscht nur ihr „Rechtskleid“ aus (vgl. z.B. Hoger in Lutter, Umwandlungsgesetz, 7. Aufl. 2024, § 190 Rz 1, m.w.N.). Danach besteht der formwechselnde Rechtsträger in der in dem Formwechselbeschluss bestimmten Rechtsform weiter (vgl. § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Der Rechtsträger neuer Rechtsform darf grundsätzlich seine bisher geführte Firma beibehalten (§ 200 Abs. 1 Satz 1 UmwG).

bb) Nach einer formwechselnden Umwandlung steht der Rechtswirksamkeit eines Bescheids daher nicht entgegen, wenn dieser noch an die Gesellschaft unter dem Namen der alten Rechtsform gerichtet ist. Denn es handelt sich allenfalls um die unrichtige Bezeichnung ein und derselben Rechtsperson (vgl. dazu grundlegend Beschluss des Großen Senats des BFH vom 21.10.1985 – GrS 4/84, BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230, C.II.2.). Dies hat der Senat bereits mit Urteil vom 26.06.1974 – II R 199/72 (BFHE 113, 90, BStBl II 1974, 724) für einen Grunderwerbsteuerbescheid entschieden, der noch auf eine OHG lautete, nachdem die OHG sich formwechselnd in eine KG umgewandelt hatte. Der Senat hat bereits in dieser Entscheidung darauf abgestellt, dass die Identität der Gesellschaft durch den Formwechsel unberührt blieb. Diese Grundsätze können auf den Formwechsel einer KG in eine GmbH nach Einführung des Umwandlungsgesetzes übertragen werden, da auch in diesem Fall sich die Rechtsperson der Gesellschaft nicht ändert.

2. Nach diesen Grundsätzen ist das FG zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Grunderwerbsteuerbescheid vom 08.04.2015 mangels wirksamer Bekanntgabe nichtig war …

a) Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 08.04.2015 wurde der KG1 als richtige Inhaltsadressatin nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO wirksam bekanntgegeben. Die KG1 wurde formwechselnd in die Klägerin (unter ihrer damaligen Firmierung als B-GmbH) umgewandelt. Ein Rechtsträgerwechsel erfolgte nicht. Die Falschbezeichnung der KG1 im Bescheid vom 08.04.2015 stellt deshalb die bloße unrichtige Bezeichnung der Klägerin als identische Rechtsperson dar.

b) Mit der wirksamen Bekanntgabe an die KG1 als richtige Inhaltsadressatin erwuchs der Grunderwerbsteuerbescheid vom 08.04.2015 in materieller Bestandskraft. Danach war das FA an die in diesem Bescheid getroffene Regelung inhaltlich gebunden und konnte ‑‑vorbehaltlich etwaiger Änderungsvorschriften nach §§ 172 ff. AO‑‑ nicht mehr in einem neuen Bescheid eine damit unvereinbare Regelung treffen.

 …

 3. Die Kostenentscheidung …..

Mogelpackung wenn 1/3 der Packung leer ist.

Bundesgerichtshof zu „Mogelpackungen“

Urteil vom 29. Mai 2024 – I ZR 43/23

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht („Mogelpackung“) wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte.

Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.

Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann entgegen § 3a UWG in Verbindung mit § 43 Abs. 2 MessEG ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Falle des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes gegen § 43 Abs. 2 MessEG, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.

Mit ihrer vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Unterlassungsanspruch weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision hat Erfolg. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 3, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit § 43 Abs. 2 MessEG kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung entgegen § 43 Abs. 2 MessEG ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Der für diese Frage entscheidende Schutzzweck des § 43 Abs. 2 MessEG besteht darin, den Verkehr vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) zu schützen. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.

Der Bundesgerichtshof hat in der Sache selbst entschieden und die Beklagte zur Unterlassung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 3, § 3 Abs. 1 und 2, § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG verurteilt.

Der Senat konnte dahinstehen lassen, ob die übrigen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 MessEG erfüllt sind, insbesondere, ob die Werbung für ein Produkt oder das bloße Angebot unter den Begriff der Bereitstellung auf dem Markt im Sinne des § 2 Nr. 1 MessEG fällt. Denn soweit – wie hier – Handlungen von Unternehmen gegenüber Verbrauchern betroffen sind, kommt die Vorschrift des § 43 Abs. 2 MessEG aufgrund der vollharmonisierenden Wirkung von Art. 3 und 4 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken nicht zur Anwendung, und die Beurteilung der Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung hat alleine nach § 5 UWG zu erfolgen.

Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG. Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.

Vorinstanzen:

LG Düsseldorf – Urteil vom 30. November 2021 – 37 O 42/20

OLG Düsseldorf – Urteil vom 23. März 2023 – 20 U 176/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 43 Abs. 2 Mess- und Eichgesetz (MessEG)

Es ist verboten, Fertigpackungen herzustellen, herstellen zu lassen, in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zu verbringen, in Verkehr zu bringen oder sonst auf dem Markt bereitzustellen, wenn sie ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vortäuschen als in ihnen enthalten ist.

§ 3a Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 5 UWG

(1) Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

(2) Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält:

1. die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Vorteile, Risiken, Zusammensetzung, Zubehör, Verfahren oder Zeitpunkt der Herstellung, Lieferung oder Erbringung, Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, Menge, Beschaffenheit, Kundendienst und Beschwerdeverfahren, geographische oder betriebliche Herkunft, von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse oder die Ergebnisse oder wesentlichen Bestandteile von Tests der Waren oder Dienstleistungen; (…)

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken

Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.

Art. 4 der Richtlinie 2005/29/EG

Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken.

Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29/EG

Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die a) irreführend im Sinne der Artikel 6 und 7 (…) sind.

Karlsruhe, den 29. Mai 2024

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

Pressemitteilung Nr. 119/24 vom 29.5.2024

Haftung des faktischen Geschäftsführers

Wer ist Geschäftsführer einer GmbH?

Nach den Vorschriften des GmbH-Gesetzes wird eine GmbH grundsätzlich durch einen oder mehrere Geschäftsführer geleitet und vertreten.

§ 6 Geschäftsführer

(1) Die Gesellschaft muß einen oder mehrere Geschäftsführer haben.

§ 35 Vertretung der Gesellschaft

(1) 1Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten.

Die formale Stellung als Organ der Gesellschaft erlangen die Geschäftsführer durch einen entsprechenden Beschluss der Gesellschafterversammlung und ihr Einverständnis zur Amtsübernahme.

§ 46 Aufgabenkreis der Gesellschafter

Der Bestimmung der Gesellschafter unterliegen:

5.         die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführern sowie die Entlastung derselben;
 6.         die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung;

Wer ist faktischer Geschäftsführer einer GmbH?

Die Figur des faktischen Geschäftsführers hingegen wurde von den Gerichten entwickelt und ist gesetzlich nicht geregelt. Die Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführung können daher nicht aus dem Gesetz abgeleitet werden und sind z.T. auch noch nicht abschließend durch die Gerichte bestimmt worden. Anders als bei förmlichen Geschäftsführern kommt es für die Stellung eines faktischen Geschäftsführers nicht auf eindeutige formale Handlungen (insb. die Fassung eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses) oder den Willen des Betroffenen an. Entscheidend ist vielmehr das tatsächliche Gesamtbild der Tätigkeiten im konkreten Einzelfall.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist entscheidend, ob eine Gesamtschau aller Umstände ergibt, dass die betreffende Person in maßgeblichem Umfang Geschäftsführungsfunktionen übernommen, d.h. die „Geschicke der Gesellschaft maßgeblich in die Hand genommen“ hat. Dabei muss der faktische Geschäftsführer den oder die bestellten Geschäftsführer nicht völlig aus ihrer Position verdrängen. Maßgeblich ist vielmehr, wer die für den Fortbestand des Unternehmens entscheidenden Maßnahmen trifft. Für die Praxis ist jedoch mit diesen generischen Umschreibungen nicht viel gewonnen.

Von großer Bedeutung ist jedoch, dass zur Begründung einer faktischen Geschäftsführung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest ein Handeln im Außenverhältnis erforderlich ist. Weiter konkretisieren lassen sich die Umschreibungen des BGH, wenn man sich einen Kriterienkatalog des Kernbereichs der Geschäftsführung vergegenwärtigt. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat das Vorliegen einer faktischen Geschäftsführung insofern bejaht, wenn mindestens sechs der nachstehenden acht Kriterien erfüllt sind:

  • Bestimmung der Unternehmenspolitik,
  • Unternehmensorganisation,
  • Einstellung von Mitarbeitern,
  • Gestaltung der Geschäftsbeziehung zu Vertragspartnern,
  • Verhandlung mit Kreditgebern,
  • eine dem Geschäftsführergehalt entsprechende Vergütung,
  • Entscheidung in Steuerangelegenheiten,
  • Steuerung der Buchhaltung.

Zwar haben die (zivilrechtlichen) Senate des BGH diese Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht übernommen. Die Kriterien können gleichwohl eine Orientierungshilfe bieten.

Wie haftet der faktischer Geschäftsführer im Vergleich zum leitenden Angestellten?

Der faktische Geschäftsführer haftet ebenso wie der förmliche Geschäftsführer, insbesondere gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG. Dies hat jüngst das OLG München noch einmal unterstrichen. Die Entscheidung des Gerichts sollte als Warnung für faktische Geschäftsführer dienen, denn die Organhaftung ist ein scharfes Schwert:

So hat der (faktische) Geschäftsführer bereits bei leicht fahrlässiger Pflichtverletzung den gesamten der GmbH hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Einem Angestellten käme hingegen bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit eine Haftungsprivilegierung zugute: Nach ständiger Rechtsprechung gilt für Arbeitnehmer ein dreistufiges Haftungsmodell, wonach den Arbeitnehmer im Falle leichter und leichtester Fahrlässigkeit keine Haftung trifft, der Schaden im Falle mittlerer Fahrlässigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geteilt wird und der Arbeitnehmer nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz den gesamten Schaden zu tragen hat. Zwar ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, ob auch leitende Angestellte in den Genuss der Grundsätze zur Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung kommen. Es spricht jedoch viel dafür, dies mit der herrschenden Meinung zu bejahen.

Zudem greifen bei einem faktischen Geschäftsführer Sonderregelungen im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast: Demnach muss die Gesellschaft lediglich den Eintritt eines Schadens und dessen Verursachung durch ein Verhalten des faktischen Geschäftsführers, das sich als möglicherweise pflichtwidrig darstellt, darlegen und beweisen. Ist dies der Fall, trifft den faktischen Geschäftsführer die Beweislast, dass entweder das schadensauslösende Verhalten nicht pflichtwidrig war oder ihm zumindest kein Schuldvorwurf hinsichtlich der Pflichtverletzung zu machen ist. Auch diesbezüglich wäre Herr Weber als leitender Angestellter bessergestellt, da ihn in diesem Fall nicht die Beweislast treffen würde.

Diese Regelung kann in der Praxis ausschlaggebend sein, denn manche Vorgänge lassen sich im Nachhinein – eine Untersuchung findet oftmals erst mehrere Jahre nach den zugrunde liegenden Geschehnissen statt – nicht mehr vollständig aufklären. GmbH

Genießt ein faktischer Geschäftsführer Versicherungsschutz?

Vor diesem Hintergrund ist (leitenden) Angestellten einer GmbH, die geschäftsführungsnahe Aufgaben übernehmen, zu erhöhter Wachsamkeit zu raten. Bestehen Zweifel, ob die übernommenen Tätigkeiten die Stellung als faktischer Geschäftsführer begründen, sollte unbedingt ein gesellschaftsrechtlich versierter Rechtsanwalt zu Rate gezogen werden. Auch im Hinblick auf den versicherungsrechtlichen Schutz ist Vorsicht angebracht. Zwar sichern GmbHs ihre Geschäftsführer zumeist über D&O-Versicherungen ab. Allerdings bestehen bei den im Markt verbreitenden Policen erhebliche Unterschiede dahingehend, ob auch faktische Geschäftsführer zum versicherten Personenkreises gehören. Hier sollte unbedingt auf eine Nennung des „faktischen Geschäftsführers“ im D&O-Versicherungsschutzes geachtet werden.

Die Entscheidung des OLG München vom 23.01.2019 (Az. 7 U 2282/17)

Verletzt der faktische Geschäftsführer einer GmbH seine Pflichten gegenüber dieser GmbH, haftet er dieser gegenüber für die entstandenen Schäden (§ 43 Abs. 2 GmbHG).

Der Hintergrund

Die Klägerin ist eine GmbH, die zwar eine Geschäftsführerin bestellt hatte, faktisch jedoch von ihrem – inzwischen verstorbenen – Prokuristen geführt wurde. Dieser Prokurist überwies mehrfach Beträge in fünfstelliger Höhe vom Geschäftskonto der Klägerin an sich selbst bzw. eine Gesellschaft, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer er war; einen rechtlichen Grund für diese Zahlungen gab es nicht. Nachdem der Prokurist verstorben war, nahm die Klägerin unter anderem seine Erben auf Rückzahlung dieser Beträge bzw. Schadensersatz in dieser Höhe in Anspruch. Sie begründete dies damit, dass der Prokurist ihr faktischer Geschäftsführer gewesen sei; er (bzw. seine Erben als seine Rechtsnachfolger) hafte deswegen nach der für Geschäftsführer geltenden Regelung des § 43 Abs. 2 GmbHG für die durch die Überweisungen vom Geschäftskonto der Klägerin entstandenen Schäden. In der ersten Instanz blieb die Klägerin mit dieser Argumentation erfolglos; in der Berufungsinstanz gab das OLG München jedoch der Klage statt.

Das OLG München bestätigte die Auffassung der Klägerin, dass der Prokurist faktischer Geschäftsführer der Klägerin gewesen sei und deswegen für die bei der Klägerin entstandenen Schäden (in Form der Überweisungen an sich selbst und die in seinem Alleineigentum stehende Gesellschaft) nach der Vorschrift des § 43 Abs. 2 GmbHG hafte. Er (bzw. nach seinem Tod seine Erben) sei daher zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe der zu Unrecht vom Geschäftskonto der Klägerin überwiesenen Beträge verpflichtet.

Haftungsrisiken für faktische Geschäftsführer

Der Geschäftsführer einer GmbH ist zur ordentlichen Unternehmensleitung verpflichtet und haftet – wenn er diesen Pflichten schuldhaft nicht gerecht wird – gegenüber der GmbH für alle daraus entstandenen Schäden (§ 43 Abs. 2 GmbH). Dies gilt – das ruft das Urteil des OLG München erneut in Erinnerung – ebenso, wenn jemand zwar nicht formell zum Geschäftsführer einer GmbH bestellt wurde, sich aber wie ein solcher verhält (sog. faktischer Geschäftsführer).

Obgleich die Rechtsauffassung des OLG München zur Haftung des faktischen Geschäftsführers in der Vergangenheit bereits mehrfach von der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wurde, ist die Klarstellung durch das OLG München erfreulich. Denn die Argumentation des OLG München erleichtert es erheblich, bei Pflichtverletzungen Schadensansprüche gegen einen faktischen Geschäftsführer geltend zu machen. Ohne eine analoge Anwendung des § 43 Abs. 2 GmbHG würden nämlich Schadensersatz- oder Rückzahlungsansprüche gegen einen faktischen Geschäftsführer häufig nur bestehen, wenn mit diesem auch ein Anstellungsvertrag abgeschlossen wurde oder er selbst die schädigenden Zahlungen vereinnahmt hat (was die Möglichkeit, einen faktischen Geschäftsführer in Anspruch zu nehmen, wesentlich einschränken würde).

Für Personen, die entscheidend in die Unternehmensleitung einer GmbH eingebunden sind, ohne deren (organschaftlich bestellter) Geschäftsführer zu sein, ist das Urteil des OLG München umgekehrt ein guter Anlass für die Überprüfung der eigenen Tätigkeit auf etwaige Haftungsrisiken. Besonders diejenigen, die mit Wissen der Gesellschafter im laufenden Geschäft der GmbH nach außen hin wie ein Geschäftsführer auftreten, sollten dabei prüfen, ob sie im Einzelfall als faktischer Geschäftsführer anzusehen sind und sich daraus für sie bislang unbekannte Haftungsrisiken ergeben (neben der Haftung für Schäden aufgrund von Pflichtverletzungen haften faktische Geschäftsführer nämlich beispielsweise auch für Zahlungen der GmbH nach Eintritt der Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 GmbHG).

Geschäftsführerhaftung: Ersatz pflichtwidriger Zahlungen nach § 15b Abs. 4 S. 1 InsO

Die gesetzlichen Grundlagen für die Ersatzpflicht des Geschäftsführers der GmbH bzw. des Vorstands der AG lauten:

§ 15b Abs. 1 InsO:

„Die nach § 15a Absatz 1 Satz 1 antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person dürfen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der juristischen Person keine Zahlungen mehr für diese vornehmen. Dies gilt nicht für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.“

§ 15b Abs. 2 S. 1 InsO:

„Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, gelten vorbehaltlich des Absatzes 3 als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.“

§ 15b Abs. 3 InsO:

Ist der nach § 15a Absatz 1 Satz 1 und 2 für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitpunkt verstrichen und hat der Antragspflichtige keinen Antrag gestellt, sind Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.

§ 15b Abs. 4 S. 1 InsO:

Werden entgegen Absatz 1 Zahlungen geleistet, sind die Antragspflichtigen der juristischen Person zur Erstattung verpflichtet.

Das Kammergericht hat in einem Urteil die Anwendungen dieser Vorschrift (zum damals gültigen § 64 GmbHG a.F.) durchexerziert. Durch diese Entscheidung wird deutlich, in welchem Ausmaß die Geschäftsführer und Vorstände

KG, Urt. v. 28.04.2022  – 2 U 39/18, Rn. 42 – 50:

Hiernach sind die Zahlungen der Schuldnerin aus dem Zeitraum vom 14.03.2013 bis zum 11.04.2013 pflichtwidrig gewesen. Um welche Zahlungen es dabei geht, hat der Kläger auf Hinweis des Landgerichts durch die Angabe von Datum, Empfänger und Höhe hinreichend konkretisiert. Insgesamt werden im Ausgangspunkt Zahlungen von dem Konto der Schuldnerin bei der S. in Höhe von EUR 1,810 Mio. und Zahlungen von dem Konto bei der C. im Umfang von EUR 3,778 Mio. erstattet verlangt. Durch die in dieser Weise nachgewiesenen Zahlungsvorgänge ist Liquidität an die jeweiligen Zahlungsempfänger abgeflossen, welche nicht als Insolvenzmasse zur Verfügung steht. Den Zahlungen steht auch nicht insoweit ein Massezufluss gegenüber, als diese an den Vertriebsdienstleister, an Energielieferanten oder an Verteilungsnetzbetreiberin erfolgt sind. Die Ersatzpflicht des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 GmbHG a.F. entfällt zwar, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – II ZR 355/18 –, BGHZ 227, 221, Rn. 33). Auf die durch die fraglichen Zahlungen und die damit verbundene Weiterführung der Geschäftstätigkeit begründeten Vergütungsforderungen gegen Kunden kann jedoch mangels unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs nicht abgestellt werden (dazu a.). Soweit durch die Zahlungen dagegen Dienstleistungen beschafft worden oder Netze offengehalten worden sind, waren diese Gegenleistungen der Zahlungsempfänger für die Gläubiger nicht verwertbar (dazu b.). Dass zwischenzeitlich Anfechtungserlöse den Zahlungsabfluss ausgeglichen hätten, ist nicht zu erkennen (dazu c.).
a) Die durch die Weiterführung des Geschäftsbetriebs erwirtschafteten Vergütungsforderungen gegen Kunden stellen keinen berücksichtigungsfähigen Massezufluss dar. Denn tatsächlich hatten die meisten der von der Schuldnerin bedienten Kunden bereits erhebliche Vorauszahlungen geleistet, so dass durch die Fortführung des Geschäftsbetriebes zumindest bei zutreffender Berechnung der Vorauszahlungen allenfalls in einem Bruchteil tatsächlich ein wirtschaftlicher Mehrwert für die Schuldnerin erwirtschaftet werden konnte.
Nichts anderes ergibt sich, soweit die Fortführung des Geschäftsbetriebs tatsächliche Voraussetzung dafür war, weiter Neukunden für erstmalige Vorauszahlungen und Bestandskunden für erneute Vorauszahlungen gewinnen zu können. Denn mit der Hereinnahme weiterer Vorauszahlungen wurde die Schuldnerin zugleich mit der Verpflichtung belastet, entsprechende Lieferungen zu erbringen. Doch selbst wenn man dies außer Betracht ließe, ist nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich der Masseschmälerung zu berücksichtigen. Vielmehr ist ein unmittelbarer wirtschaftlicher, nicht notwendig zeitlicher Zusammenhang mit der Zahlung erforderlich, damit der Massezufluss der an und für sich erstattungspflichtigen Masseschmälerung zugeordnet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 – II ZR 146/20 –, Rn. 8; BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13 –, BGHZ 203, 218, Rn. 10; Noack/Servatius/Haas/Haas, 23. Aufl. 2022, GmbHG § 64 Rn. 159). Maßgeblich ist, ob ein wirtschaftlich zuzuordnender, in die Masse gelangender Gegenwert festgestellt werden kann, wobei kein zeitlicher Zusammenhang erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 04. Juli 2017 – II ZR 319/15 –, Rn. 16, juris).
Nach diesem Maßstab hat der Beklagte aber keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den fraglichen Zahlungen an den Vertriebsdienstleister, die Energielieferanten und die Verteilungsnetzbetreiber und den Vergütungszahlungen der Kunden aufzuzeigen vermocht. Denn bei den Vergütungszahlungen der Kunden handelt es sich nur um einen indirekten Folgeeffekt der Vertragsanbahnung oder Vertragserfüllung durch die Schuldnerin. Die Zahlungen der belieferten Kunden oder auch nur die gegen sie begründeten Zahlungsansprüche stammen auch nicht aus der Sphäre der entsprechenden Zahlungsempfänger, was ebenfalls Voraussetzung für die Annahme eines unmittelbaren Zusammenhanges ist (vgl. Noack/Servatius/Haas/Haas, 23. Aufl. 2022, GmbHG § 64 Rn. 162 mwN., 163).
b) Soweit dagegen die fraglichen Dienstleister für die geleistete Vergütung ihrerseits Leistungen an die Schuldnerin erbracht haben, stellen diese Leistungen für sich genommen noch keinen berücksichtigungsfähigen Massezufluss dar. Um die Masseverkürzung ausgleichen zu können, muss die in die Masse gelangende Gegenleistung nämlich zumindest für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein (vgl. BGH, Urteil vom 04. Juli 2017 – II ZR 319/15 –, Rn. 18, juris; Henssler/Strohn/Arnold, 5. Aufl. 2021, GmbHG § 64 Rn. 20a). Dies lässt sich nicht feststellen:

  • Die Leistungen des Vertriebsdienstleisters waren nicht für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet, weil Dienstleistungen nicht zu einer Erhöhung der Aktivmasse führen und damit kein Ausgleich des Masseabflusses sind (vgl. BGH, Urteil vom 04. Juli 2017 – II ZR 319/15 –, Rn. 18, juris, am Ende).
  • Auch die von den Energielieferanten zur Verfügung gestellte elektrische Energie war nicht zur Verwertung durch die Gläubiger geeignet. Denn die bezogene Energie wurde sogleich an die Kunden geliefert. Entsprechende zu bilanzierende Vorräte bestanden nach der Natur des Wirtschaftsgutes nicht, so dass kein Vermögensgegenstand feststellbar wäre, welchen der Insolvenzverwalter durch Verkauf zugunsten der Masse hätte verwerten können.
  • Ebenso verhält es sich im Ergebnis hinsichtlich der Leistungen der Verteilungsnetzbetreiber. Insoweit kommt ein Masseausgleich ohnehin nur in dem Umfang in Betracht, als diese zum fraglichen Zeitpunkt bereits auf Vorkasse der Schuldnerin bestanden. In welchem Umfang dieses der Fall war, ist jedoch weder dargetan noch ersichtlich. Im Übrigen handelt es sich auch bei den Leistungen der Verteilungsnetzbetreiber um ein flüchtiges Wirtschaftsgut, das einer Verwertung im Insolvenzverfahren schon wegen der zeitlichen Bindung und der Unmöglichkeit nachholender Zurverfügungstellung nicht zugänglich ist. Die von der Berufungserwiderung aufgemachte Parallele zwischen dem Offenhalten einer Kreditlinie und dem Offenhalten eines Verteilernetzes besteht dagegen offensichtlich nicht. Der durch die weitergehende Belieferung entstehende Vergütungsanspruch gegen Kunden steht auch nicht in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Zahlung an die Verteilungsnetzbetreiber und stammt auch nicht aus deren Sphäre.

c) Ohne Erfolg verweisen die Streithelfer schließlich auf den Umstand, dass kein Erstattungsanspruch gegen das Organ mehr besteht, soweit es dem Insolvenzverwalter gelingt, durch die Insolvenzanfechtung eine Rückerstattung der Zahlung zu erreichen und so die Masseschmälerung wettzumachen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13 –, BGHZ 203, 218, Rn. 9, mwN.). Denn ein solches „Wettmachen“ behaupten der Beklagte und die Streithelfenden ohne tatsächliche Grundlage. Der Kläger hat seinerseits bereits mit der Replik (dort Seiten 47 – 48 = Bd. II Bl. 49 – 50 d.A.) ausgeführt, dass er die Gesamtsumme der geleisteten Zahlungen in einem einzigen Rechtsstreit gegen einen Prozessgegner einklagen könne, anstatt eine Vielzahl von Anfechtungsprozessen gegen verschiedene Zahlungsempfänger führen zu müssen, weil die Anfechtungsmöglichkeit die Erstattungspflicht nicht berühre. Damit hat sich der Kläger dahingehend erklärt, dass Anfechtungsprozesse nicht geführt worden seien. Insoweit kann sich der Insolvenzverwalter nach Zweckmäßigkeitserwägungen richten. Der aus § 64 GmbHG a.F. auf Ersatz in Anspruch genommene Geschäftsführer ist nicht berechtigt, die Erfüllung dieser Verpflichtung gegenüber der Masse mit der Begründung zu verweigern, der Insolvenzverwalter habe es unterlassen, aussichtsreiche Anfechtungsrechte gegen Zahlungsempfänger geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1995 – II ZR 277/94 –, BGHZ 131, 325, LS).

BGH erweitert Haftung des Geschäftsführers der geschäftsführenden GmbH einer GmbH & Co. KG

Nach dem BGH erstreckt sich die Haftung des Geschäftsführers der geschäftsführenden GmbH einer GmbH & Co. KG auch dann auf die Kommanditgesellschaft, wenn die Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft nicht die alleinige oder wesentliche Aufgabe der GmbH ist. In der Begründung des Urteils führt der BGH dazu aus:

Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten als Geschäftsführer der geschäftsführenden Kommanditisten-GmbH aus § 43 Abs. 2 GmbHG wegen sorgfaltswidriger Geschäftsführung rechtsfehlerfrei bejaht.

1. Der Schutzbereich des zwischen der Kommanditisten-GmbH und ihrem Geschäftsführer bestehenden Organ- und Anstellungsverhältnisses erstreckt sich im Hinblick auf seine Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG im Falle einer sorgfaltswidrigen Geschäftsführung auf die Kommanditgesellschaft. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass die Führung der Geschäfte der Kommanditgesellschaft die alleinige oder wesentliche Aufgabe der GmbH darstellt.

a) Der Bundesgerichtshof erstreckt in ständiger Rechtsprechung den Schutzbereich des zwischen der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG und ihrem Geschäftsführer bestehenden Organ- und Anstellungsverhältnisses im Hinblick auf die Haftung des Geschäftsführers aus § 43 Abs. 2 GmbHG auf die Kommanditgesellschaft (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1979 – II ZR 174/77, BGHZ 75, 321, 323 f.; Urteil vom 17. März 1987 – VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190, 193 f.; Urteil vom 10. Februar 1992 – II ZR 23/91, WM 1992, 691, 692 f.; Urteil vom 25. Februar 2002 – II ZR 236/00, ZIP 2002, 984, 985; Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 15 f.; Urteil vom 22. September 2020- II ZR 141/19, ZIP 2020, 2117 Rn. 18).

b) Die Grundsätze dieser Rechtsprechung sind auf den vorliegenden Fall übertragbar. Auch der Geschäftsführer der geschäftsführenden Kommanditisten-GmbH haftet gegenüber der Kommanditgesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wie gegenüber der GmbH. Denn die Kommanditgesellschaft ist in den Schutzbereich des zwischen der geschäftsführenden Kommanditisten-GmbH und ihrem Geschäftsführer bestehenden Organ- und Anstellungsverhältnisses einbezogen. Auch ohne die Voraussetzungen des § 328 BGB kann nämlich ein am Vertrag nicht beteiligter, aber von dessen Risiken mit betroffener Dritter berechtigt sein, gegen eine Vertragspartei Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer Schutzpflicht geltend zu machen (BGH, Urteil vom 12. November 1979- II ZR 174/77, BGHZ 75, 321, 322 f. mwN). Die Annahme einer Schutzwirkung zu Gunsten Dritter setzt voraus, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommt und der Gläubiger ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags hat. Für die Ausdehnung des Vertragsschutzes muss nach Treu und Glauben ein Bedürfnis bestehen. Die Einbeziehung Dritter muss schließlich dem Schutzpflichtigen bekannt oder für ihn zumindest erkennbar sein (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1979 – II ZR 174/77, BGHZ 75, 321, 322 f. mwN; Urteil vom 27. Februar 2020 – VII ZR 151/18, BGHZ 225, 23 Rn. 22; Urteil vom 9. Juli 2020 – IX ZR 289/19, ZIP 2020, 1720 Rn. 12, jeweils mwN). So liegt der Fall hier.

aa) Die Kommanditgesellschaft kommt bestimmungsgemäß mit der Leistung des Geschäftsführers in Berührung, wenn eine Kommanditisten-GmbH die Geschäfte der Kommanditgesellschaft führt, weil sich Fehlleistungen der Geschäftsführung zwangsläufig stets und in erster Linie zum Nachteil der Kommanditgesellschaft auswirken.

bb) Das wohlverstandene Interesse der die Geschäfte einer Kommanditgesellschaft führenden und an dieser beteiligten GmbH geht dahin, dass ihr Geschäftsführer die Leitung der GmbH & Co. KG im Rahmen seiner Organpflichten ordnungsgemäß ausübt. Sie muss auf eine günstige wirtschaftliche Entwicklung ihrer Beteiligung bedacht sein. Vor allem aber haftet sie der Kommanditgesellschaft für Schäden aus der Verletzung der von ihr im Gesellschaftsvertrag übernommenen Geschäftsführungsaufgaben und muss sich dabei gemäß § 31 BGB analog Pflichtverletzungen ihres Geschäftsführers, dessen sie sich zur Erfüllung ihrer Geschäftsführungsaufgaben bedient, zurechnen lassen (für die Komplementär-GmbH: BGH, Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 18 mwN; Urteil vom 19. Dezember 2017 – II ZR 255/16, ZIP 2018, 276 Rn. 16; Urteil vom 22. September 2020 – II ZR 141/19, ZIP 2020, 2117 Rn. 38). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die geschäftsführende GmbH die Komplementärin oder eine Kommanditistin der Kommanditgesellschaft ist; anderes zeigt auch die Revision nicht auf.

cc) Für die Ausdehnung des Vertragsschutzes besteht nach Treu und Glauben ein Bedürfnis. Die Kommanditgesellschaft ist gegenüber der geschäftsführenden GmbH und deren Geschäftsführer schutzbedürftig, ohne dass es darauf ankommt, ob die geschäftsführende GmbH ihre Komplementärin oder ihre Kommanditistin ist.

(1) Eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers bei der Führung der Geschäfte der Kommanditgesellschaft geht vor allem zu deren Lasten. Die Kommanditgesellschaft bzw. die Kommanditisten sind daher auf die Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit des Geschäftsführers der geschäftsführenden GmbH angewiesen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 18 mwN), unabhängig davon, ob diese die Geschäftsführung als Komplementärin oder als Kommanditistin ausübt.

(2) Die Kommanditgesellschaft bzw. die Kommanditisten haben regelmäßig keine Befugnisse, wie namentlich ein Weisungsrecht, um unmittelbar auf den Geschäftsführer der geschäftsführenden GmbH einzuwirken (für die Komplementär-GmbH vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1979 – II ZR 174/77, BGHZ 75, 321, 323; Urteil vom 14. November 1994 – II ZR 160/93, ZIP 1995, 738, 745; Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 18). Dieses Ungleichgewicht wird noch dadurch verstärkt, dass die geschäftsführende GmbH in gewissen Grenzen auf (pfändbare) Ersatzansprüche gegen ihren Geschäftsführer verzichten oder ihn trotz Kenntnis eines pflichtwidrigen Verhaltens entlasten kann (für die Komplementär-GmbH: BGH, Urteil vom 12. November 1979- II ZR 174/77, BGHZ 75, 321, 323; vgl. auch Urteil vom 14. November 1994- II ZR 160/93, ZIP 1995, 738, 745 f.). Nur wenn der Kommanditgesellschaft aus dem Organ- und Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers zur GmbH ein eigener Anspruch gegen den Geschäftsführer zusteht, führt seine Entlastung durch die Gesellschafterversammlung der GmbH nicht zugleich zum Ausschluss der Kommanditgesellschaft mit Ansprüchen gegenüber dem Geschäftsführer (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 2020 – II ZR 141/19, ZIP 2020, 2117 Rn. 21 mwN). Dies gilt für die geschäftsführende Komplementär-GmbH und die geschäftsführende Kommanditisten-GmbH gleichermaßen.

(3) Die Schutzbedürftigkeit der Kommanditgesellschaft gegenüber der Kommanditisten-GmbH ist entgegen der Auffassung der Revision auch nicht deswegen entscheidend herabgesetzt, weil deren Vollmacht widerruflich ist oder ein Widerspruchsrecht hinsichtlich der Geschäftsführung besteht.

Eine eventuelle Widerrufsmöglichkeit bzw. ein Widerspruchsrecht stünde, wovon auch die Revision ausgeht, lediglich dem Komplementär zu, dessen Interessen mit den schutzbedürftigen Interessen der Kommanditgesellschaft bzw. der übrigen Kommanditisten nicht deckungsgleich sein müssen. Hier waren die weiteren Geschäftsführer der geschäftsführenden Kommanditistin, die ehemaligen Beklagten zu 1 und 3, zugleich die Geschäftsführer der Komplementärin, deren Alleingesellschafter zudem mittelbar der ehemalige Beklagte zu 1 war.

dd) Entgegen der Auffassung der Revision war das Interesse der geschäftsführenden Kommanditisten-GmbH an der Einbeziehung der Schuldnerin in den Schutzbereich des Organ- und Anstellungsverhältnisses zum Beklagten für diesen als Geschäftsführer der Kommanditisten-GmbH erkennbar und ihm die Erstreckung der Schutzwirkung auf die Schuldnerin zumutbar, auch wenn die GmbH die Geschäfte in weiteren Fondsgesellschaften geführt hat und daher die Geschäftsführung der Schuldnerin nicht ihre alleinige oder wesentliche Aufgabe war.

(1) Der Bundesgerichtshof hat bisher offengelassen, ob der Geschäftsführer der Komplementärin einer GmbH & Co. KG gegenüber der Kommanditgesellschaft auch dann nach § 43 Abs. 2 GmbHG haftet, wenn die Wahrnehmung der Geschäftsführung nicht die alleinige oder wesentliche Aufgabe der GmbH ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1992 – II ZR 23/91, WM 1992, 691, 693). In der Literatur wird im Einklang mit einem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf (ZIP 1984, 825, 833) und weiteren Entscheidungen des Berufungsgerichts (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 29. März 2018 – 11 U 174/16, juris Rn. 67) befürwortet, die Kommanditgesellschaft auch dann in den Schutzbereich des Organ- und Anstellungsverhältnisses des Geschäftsführers mit der geschäftsführenden GmbH einzubeziehen, wenn die GmbH noch weitere wesentliche Aufgaben zu erfüllen hat (vgl. Altmeppen, GmbHG, 11. Aufl., § 43 Rn. 97; Blaum in: Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Stand: April 2022, § 55 Rn. 3218; Staub/Casper, HGB, 5. Aufl., § 164 Rn. 57; MünchKommHGB/Grunewald, 5. Aufl., § 161 Rn. 86; Mussaeus in Hesselmann/Tillmann/Müller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 20. Aufl., § 4 Rn. 56, 70; BeckOGK HGB/Notz/Zinger, Stand: 15.1.2021, § 161 Rn. 233; Uwe H. Schneider in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl., § 2 Rn. 2.61; Schnorbus in Rowedder/Pentz, GmbHG, 7. Aufl., § 43 Rn. 139; Scholz/Verse, GmbHG, 13. Aufl., § 43 Rn. 445; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, 198; Mühlhaus/Wenzel, GmbH-StB 2014, 87, 92; Otte-Gräbener, BB 2022, 212; Schmitt, WuB 2022, 385, 388; Uwe H. Schneider, GmbHR 2017, 680, 681; Theiselmann, EWiR 2022, 172, 174; differenzierend Nietsch, GmbHR 2014, 348, 353 f.).

(2) Der Senat schließt sich dem an. Die Haftung des Geschäftsführers der geschäftsführenden GmbH einer GmbH & Co. KG erstreckt sich auch dann auf die Kommanditgesellschaft, wenn die Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft nicht die alleinige oder wesentliche Aufgabe der GmbH ist.

(a) Entgegen der Auffassung der Revision bleibt die Haftungserstreckung auf die Kommanditgesellschaft für den Geschäftsführer der geschäftsführenden GmbH auch dann erkennbar, wenn die GmbH, wie hier vom Berufungsgericht festgestellt, die Geschäfte in weiteren Gesellschaften führt. Am Pflichtenkreis des Geschäftsführers ändert sich durch Mehrfach-Geschäftsführungen im Grundsatz nichts; dieser hat sich bei Übernahme der Geschäftsführung über den Umfang der damit verbundenen Aufgaben einen Überblick zu verschaffen. Die Kommanditgesellschaft darf dabei darauf vertrauen, dass die geschäftsführende GmbH bzw. deren Geschäftsführer ihr die geschuldete Obhut und Fürsorge unabhängig von der Anzahl weiterer übernommener Geschäftsführungen oder sonstiger gesellschaftsfremder Aufgaben entgegenbringt. Kann die geschäftsführende GmbH dies nicht gewährleisten, ist nicht der Haftungsumfang zu reduzieren. Vielmehr muss die geschäftsführende GmbH ihre Aufgaben auf das Maß begrenzen, das ihr die geschuldete ordnungsgemäße Erfüllung aller übernommenen Pflichten ermöglicht.

(b) Die unmittelbare Haftung des Geschäftsführers einer GmbH, die in mehreren Gesellschaften die Geschäftsführung übernommen hat, gegenüber der Kommanditgesellschaft ist nicht deswegen unzumutbar, weil es in der Person des Geschäftsführers zu einem Interessenkonflikt kommen könnte. Einer im Hinblick auf die Tätigkeit für mehrere Gesellschaften möglichen Pflichtenkollision kann im Einzelfall auf der Rechtfertigungs- oder Verschuldensebene Rechnung getragen werden (vgl. MünchKommHGB/Grunewald, 5. Aufl., § 161 Rn. 86; Nietsch, GmbHR 2014, 348, 353 f.). Die darüberhinausgehende Annahme eines abstrakten Interessenkonflikts bei der Geschäftsführung für mehrere Gesellschaften ist nicht geboten, zumal es zwischen den Gesellschaften nicht zwangsläufig wettbewerbsrechtliche Berührungspunkte geben muss.

2.Der Haftung des Beklagten als Geschäftsführer der U. GmbH nach § 43 Abs. 2 GmbHG steht nicht entgegen, dass nach der revisionsrechtlich zu unterstellenden internen Ressortverteilung die Geschäftsführung der Schuldnerin nicht seine wesentliche Aufgabe war.

a) Den Geschäftsführer einer GmbH trifft kraft seiner Amtsstellung grundsätzlich die Pflicht zur Geschäftsführung im Ganzen. Eine gleichwohl zulässige Ressortverteilung innerhalb der Geschäftsführung einer GmbH lässt daher die Verantwortung für die ordnungsgemäße Führung der Geschäfte der Gesellschaft nicht entfallen. Auch bei einer zulässigen Verteilung von Aufgaben verbleiben dem organisatorisch nicht betroffenen Geschäftsführer wegen seiner Allzuständigkeit Überwachungspflichten, deren Reichweite nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu bestimmen sind. Insbesondere muss der Geschäftsführer Hinweisen auf Fehlentwicklungen oder Unregelmäßigkeiten in einem fremden Ressort immer und unverzüglich nachgehen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 1985- II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135, 1136; Urteil vom 20. März 1986 – II ZR 114/85, ZIP 1987, 1050; Urteil vom 1. März 1993 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891, 892; Urteil vom 15. Oktober 1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 376 ff.; Urteil vom6. November 2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 Rn. 15, 36).

b) Hinsichtlich der dem ressortunzuständigen Geschäftsführer verbleibenden Überwachungspflichten gibt es keinen sachlichen Grund, die Schutzwirkung zugunsten der Kommanditgesellschaft zu beschränken und die Überwachungspflichten anders zu behandeln als die Geschäftsführerpflichten im Übrigen. Die Kommanditgesellschaft ist insoweit in gleicher Weise schutzbedürftig wie hinsichtlich der Pflicht zur Geschäftsführung im Ganzen. Der Ressortunzuständigkeit wird bereits durch die Herabstufung der Geschäftsführungspflichten zu Überwachungspflichten ausreichend Rechnung getragen. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich anderes insbesondere nicht aus der Entscheidung des Senats vom 6. November 2018 (II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 Rn. 24). Danach dienen zwar die aus dem Gebot zur sorgfältigen Unternehmensführung gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG abgeleiteten Organisationspflichten nicht dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger. Hier geht es aber um die Schutzwirkung der bei dem ressortunzuständigen Geschäftsführer verbleibenden Überwachungspflichten zugunsten der in den Schutzbereich des Organ- und Anstellungsverhältnisses zur GmbH einbezogenen Kommanditgesellschaft selbst. 3. Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass der Beklagte seine Überwachungspflichten als Geschäftsführer der geschäftsführenden Kommanditistin verletzt hat ….

Anmerkungen:

Die Haftung der Geschäftsführer ist die Durchbruchsstelle der beschränkten Haftung in der GmbH. Hier müssen die Geschäftsführer Sorge tragen, dass sie in problematischen Konstellationen nicht in den Fokus der Gesellschaftsgläubiger geraten. Für die Gesellschaftsgläubiger ist die Haftung der Geschäftsführer in vielen Fällen die einzige Möglichkeit, z.B. höhere Schadenersatzforderungen, die eigentlich die GmbH betreffen, zu realisiern. Deshalb wird die Geschäftsführerhaftung von den Gesellschaftsgläubigern mit besonderer Akribie bearbeitet.

Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters und Vollstreckungsverbot

Das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO gilt für Zwangsvollstreckungen in die Insolvenzmasse und in das sonstige Vermögen des Schuldners. Nachdem der Insolvenzverwalter einen Vermögensgegenstand freigegeben hat, ist dieser aus der Insolvenzmasse ausgeschieden und in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners zurückgelangt. Es ist damit Teil des sonstigen Vermögens des Schuldners im Sinne von § 89 Abs. 1 InsO.

Die Systematik der §§ 35 bis 37 InsO rechtfertigt keine andere Beurteilung. Diese Bestimmungen regeln, was zur Insolvenzmasse gehört. Sie beschreiben nicht abschließend, was – da nicht zur Insolvenzmasse gehörend – das sonstige Vermögen des Schuldners bildet. Als auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezogene Regelung sagen sie nichts über die Zuordnung von Gegenständen aus, die wie im Falle der Freigabe zu einem späteren Zeitpunkt aus der Insolvenzmasse ausscheiden.

Auch die Entstehungsgeschichte des § 89 Abs. 1 InsO spricht nicht gegen eine Zuordnung freigegebener Gegenstände zum sonstigen Vermögen des Schuldners. Vorläufer von § 89 Abs. 1 InsO war § 14 Abs. 1 KO. Das bereits in dieser Norm enthaltene Verbot der Zwangsvollstreckung einzelner Konkursgläubiger auch in das nicht zur Konkursmasse gehörige, sonstige Vermögen des Schuldners sollte es dem Schuldner ermöglichen, bereits während des Konkursverfahrens eine neue wirtschaftliche Existenz zu begründen. Diesem Gesichtspunkt kommt unter der Geltung der Insolvenzordnung, die anders als die Konkursordnung (§ 1 Abs. 1 KO) auch den Neuerwerb der Insolvenzmasse zuordnet (§ 35 Abs. 1 InsO), nur noch eine geringere Bedeutung zu. In Kenntnis dieses Umstands hat der Gesetzgeber das sonstige Vermögen des Schuldners auch in § 89 Abs. 1 InsO für die Dauer des Insolvenzverfahrens dem Zugriff der Insolvenzgläubiger entzogen. Das geringere Gewicht des Zwecks, dem Schuldner durch den Schutz des sonstigen Vermögens einen Neuanfang zu ermöglichen, ist angesichts dieses gesetzgeberischen Willens kein Argument dafür, freigegebene Gegenstände vom Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO auszunehmen.

Es ist daher in Rechtsprechung und Schrifttum nahezu einhellige Meinung, dass das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO auch für vom Insolvenzverwalter (oder Treuhänder) aus der Insolvenzmasse freigegebene Gegenstände gilt, weil sie zum sonstigen Vermögen des Schuldners gehören.

Hierzu die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Beschluss vom 12. Februar 2009, IX ZB 112/06:

(Gründe)

I.

Die Beteiligte zu 2 ist Miteigentümerin eines Grundstücks in Ilshofen, verbunden mit dem Sondereigentum an einer Wohnung und einem Tiefgaragenstellplatz. Über ihr Vermögen wurde am 8. März 2005 das (Verbraucher-) Insolvenzverfahren eröffnet. Der im Insolvenzverfahren ernannte Treuhänder erklärte mit Schreiben vom 11. Juli 2005 gegenüber der Beteiligten zu 2 die Freigabe der Wohnungseigentumsrechte aus der Insolvenzmasse. Die Beteiligte zu 1 ist Verwalterin der Eigentümergemeinschaft. Sie beantragte am 17. Oktober 2005 wegen titulierter Hausgeldrückstände aus dem Jahr 2004 die Anordnung der Zwangsverwaltung über das Wohnungseigentum der Beteiligten zu 2. Der Antrag blieb beim Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – und beim Beschwerdegericht ohne Erfolg. Beide Gerichte stellten sich auf den Standpunkt, dass die Zwangsvollstreckung nach § 89 Abs. 1 InsO unzulässig sei. Ein Recht auf abgesonderte Befriedigung lehnte das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in Rpfleger 2006, 430 veröffentlicht ist, ab. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte zu 1 ihr Begehren weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.

Mit Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass der Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung nach § 89 Abs. 1 InsO unzulässig ist. Nach dieser Norm sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.

1. Die von der Antragstellerin vertretene Wohnungseigentümergemeinschaft ist als Insolvenzgläubigerin (§ 38 InsO) vom Vollstreckungsverbot des § 89 InsO betroffen. Mit ihrem Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung betreibt sie die Vollstreckung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen und titulierten persönlichen Anspruchs. Sie wäre nur dann nicht als Insolvenzgläubigerin zu behandeln, wenn mit dem Antrag ein Absonderungsrecht verwertet werden sollte (MünchKomm-InsO/Breuer, 2. Aufl. § 89 Rn. 21; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 89 Rn. 11; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl. § 89 Rn. 7). So liegt der Fall jedoch nicht. Ein Absonderungsrecht bestand zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Bezug auf die vollstreckten Forderungen nicht.

a) Die Antragstellerin betreibt die Vollstreckung in unbewegliches Vermögen der Schuldnerin. Gemäß § 49 InsO sind Gläubiger, denen ein Recht auf Befriedigung aus unbeweglichen Gegenständen zusteht, zur abgesonderten Befriedigung nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung berechtigt. Was ein Recht zur Befriedigung aus dem Grundstück gewährt, ist den §§ 10 ff, 155 ZVG zu entnehmen (MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 49 Rn. 3). Danach kommen zunächst dingliche Rechte an einem Grundstück im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG in Betracht. Hierzu gehören die Grundpfandrechte und Reallasten (§§ 1105111311911199 BGB). Kraft ihres gesetzlichen Inhalts verschaffen diese dinglichen Rechte ihrem Inhaber im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Absonderungsrecht, ohne dass weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Inhaberin eines derartigen dinglichen Rechts ist die Eigentümergemeinschaft nicht.

b) Dem Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung liegen vielmehr rückständige, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordene Hausgeldansprüche (§ 16 Abs. 2, § 28 Abs. 2 und 5 WEG) zugrunde. Dies sind persönliche Forderungen. Auch solche können zu einem Recht auf Befriedigung aus einem Grundstück führen (§ 155 Abs. 2 Satz 1, § 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG), jedoch erst ab dem Zeitpunkt, zu dem das Grundstück zugunsten des Gläubigers im Zwangsversteigerungs- oder Zwangsverwaltungsverfahren beschlagnahmt wird. Die Tatsache allein, dass ein persönlicher Gläubiger mit seinem Anspruch in die Rangklasse 5 des § 10 Abs. 1 ZVG eingeordnet ist, verschafft ihm noch kein Befriedigungsrecht aus dem Grundstück (MünchKomm-InsO/ Ganter, aaO Rn. 76; Smid/Depre, InsO 2. Aufl. § 49 Rn. 17). Ein Absonderungsrecht nach § 49 InsO besteht nur, wenn das Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits entstanden war. Persönliche Gläubiger müssen daher bis zu diesem Zeitpunkt die Beschlagnahme des Grundstücks bewirkt haben, indem sie die Anordnung der Zwangsversteigerung bzw. Zwangsverwaltung selbst erwirkt haben (§§ 20146 Abs. 1 ZVG) oder einem laufenden Verfahren beigetreten sind (§§ 27151 Abs. 2 ZVG; vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, aaO). Daran fehlt es hier.

c) Ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück kann schließlich auch in den Fällen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZVG bestehen (MünchKomm-InsO/Ganter, aaO Rn. 47 ff; Depre aaO Rn. 16: Absonderungsrecht aufgrund besonderer gesetzlicher Anordnung; vgl. auch Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 49 Rn. 14; FK-InsO/Imberger, 5. Aufl. § 49 Rn. 28-31). Ansprüche der Eigentümergemeinschaft auf Hausgeld fielen nach der bis zum 30. Juni 2007 geltenden Rechtslage jedoch nicht in diese Rangklassen. Erst seit der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und anderer Gesetze vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 370) sind Ansprüche auf Hausgeld nach § 16 Abs. 2, § 28 Abs. 2 und 5 WEG bei der Vollstreckung in ein Wohneigentum nicht mehr der fünften, sondern der zweiten Rangklasse zugewiesen. Damit besteht für solche Ansprüche nunmehr ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück, das im Insolvenzverfahren im Wege der abgesonderten Befriedigung verfolgt werden kann, ohne dass eine Beschlagnahme des Wohnungseigentums vor Insolvenzeröffnung vorausgesetzt wäre (Hintzen/Alff ZInsO 2008, 480, 483 f). Die neue Rechtslage gilt jedoch nur für Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsverfahren, die ab Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Juli 2007 anhängig werden (§ 62 Abs. 1 WEG). Rückstände von Ansprüchen der zweiten Rangklasse können nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG in gewissem Umfang (aus dem Jahr der Beschlagnahme und den letzten zwei Jahren davor) in einem Zwangsversteigerungsverfahren, gemäß § 155 Abs. 2 Satz 2 ZVG aber nicht im Zwangsverwaltungsverfahren geltend gemacht werden. Ein Recht zur Befriedigung aus dem Grundstück im Wege der Zwangsverwaltung besteht daher auch nach neuem Recht für die von der Antragstellerin verfolgten Hausgeldrückstände nicht.

2. Das Wohnungseigentum der Beteiligten zu 2 fällt unter das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO. Das Verbot gilt für Zwangsvollstreckungen in die Insolvenzmasse und in das sonstige Vermögen des Schuldners. Nachdem der Treuhänder das Wohnungseigentum der Beteiligten zu 2 freigegeben hat, ist es aus der Insolvenzmasse ausgeschieden und in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Schuldnerin zurückgelangt (vgl. zur Freigabe BGHZ 35, 180, 181; 148, 252, 258 f; 163, 32, 34 f; Pape ZInsO 2008, 465, 470 f). Es ist damit entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde Teil des sonstigen Vermögens der Schuldnerin im Sinne von § 89 Abs. 1 InsO.

a) Der Wortlaut der Norm schränkt den Begriff des sonstigen Vermögens nicht ein. Freigegebene Gegenstände im Eigentum des Schuldners gehören begrifflich zweifelsfrei zu seinem sonstigen Vermögen.

b) Die Systematik der §§ 35 bis 37 InsO rechtfertigt keine andere Beurteilung. Diese Bestimmungen regeln, was zur Insolvenzmasse gehört. Sie beschreiben nicht abschließend, was – da nicht zur Insolvenzmasse gehörend – das sonstige Vermögen des Schuldners bildet. Als auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezogene Regelung sagen sie nichts über die Zuordnung von Gegenständen aus, die wie im Falle der Freigabe zu einem späteren Zeitpunkt aus der Insolvenzmasse ausscheiden.

c) Auch die Entstehungsgeschichte des § 89 Abs. 1 InsO spricht nicht gegen eine Zuordnung freigegebener Gegenstände zum sonstigen Vermögen des Schuldners. Vorläufer von § 89 Abs. 1 InsO war § 14 Abs. 1 KO. Das bereits in dieser Norm enthaltene Verbot der Zwangsvollstreckung einzelner Konkursgläubiger auch in das nicht zur Konkursmasse gehörige, sonstige Vermögen des Schuldners sollte es dem Schuldner ermöglichen, bereits während des Konkursverfahrens eine neue wirtschaftliche Existenz zu begründen (Motive II S. 51 f; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 14 Rn. 2). Diesem Gesichtspunkt kommt unter der Geltung der Insolvenzordnung, die anders als die Konkursordnung (§ 1 Abs. 1 KO) auch den Neuerwerb der Insolvenzmasse zuordnet (§ 35 Abs. 1 InsO), nur noch eine geringere Bedeutung zu. In Kenntnis dieses Umstands hat der Gesetzgeber das sonstige Vermögen des Schuldners auch in § 89 Abs. 1 InsO für die Dauer des Insolvenzverfahrens dem Zugriff der Insolvenzgläubiger entzogen (Begründung zum Regierungsentwurf einer Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443, S. 137). Das geringere Gewicht des Zwecks, dem Schuldner durch den Schutz des sonstigen Vermögens einen Neuanfang zu ermöglichen, ist angesichts dieses gesetzgeberischen Willens kein Argument dafür, freigegebene Gegenstände vom Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO auszunehmen.

d) Es ist daher in Rechtsprechung und Schrifttum fast einhellige Meinung, dass das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO auch für vom Insolvenzverwalter oder Treuhänder aus der Insolvenzmasse freigegebene Gegenstände gilt, weil sie zum sonstigen Vermögen des Schuldners gehören (BGHZ 166, 74, 83, Rn. 26; LG Berlin ZMR 2005, 910; OLG Hamm Rpfleger 1971, 109 [zu § 14 KO]; Jaeger/Eckardt, InsO § 89 Rn. 29 und 7; MünchKomm-InsO/Breuer, aaO § 89 Rn. 18; HK-InsO/Kayser, aaO § 89 Rn. 16; Uhlenbruck, aaO § 89 Rn. 15; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 89 Rn. 14; HmbKomm-InsO/Kuleisa 2. Aufl. § 89 Rn. 9; Gerhardt in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch 3. Aufl. § 33 Rn. 12; BK-InsO/Blersch/v. Olshausen, § 89 Rn. 12; Nerlich/Römermann/ Wittkowski, InsO § 89 Rn. 4; a.A. Schmidberger Rpfleger 2006, 431 f).

e) Die Unzulässigkeit des Antrags auf Anordnung der Zwangsverwaltung führt nicht zu einem für die Wohnungseigentümergemeinschaft unzumutbaren Ergebnis. Zum einen fallen etwaige Mieteinkünfte des Schuldners aus der freigegebenen Wohnung als Neuerwerb in die Masse. Zum anderen hat die Gläubigerin die Möglichkeit, sich einen Vollstreckungstitel bezüglich der in § 10 Abs. 1 Nr. 2 n.F., § 155 Abs. 2 Satz 2 ZVG aufgeführten Hausgeldansprüche zu verschaffen und gestützt auf diesen Titel die Zwangsverwaltung des Wohnungseigentums der Beteiligten zu 2 zu beantragen.